Dies war aller Trost, alle Hofnung, an welche sich durch einen langen Monat die kla- gende Mutter halten konnte. Die redliche, aber auch mit der großen Welt ganz unbe- kannte Pfarrerswittwe konnte keine ihrer Fra- gen beantworten, ihr in dem Labyrinthe von Zweifel, und Ahndung gar keinen Weg zei- gen. Sie war immer hübsch daheim gesessen, hatte Arndts Paradies-Gärtlein durchblät- tert, indeß Amalie ungehinderte Freiheit ge- noß, ihren Plan zu entwerfen, und auszu- führen.
Nach Monatsfrist ward der Leidenden der erste Trost, sie erhielte einen Brief von ih- rer Tochter. Diese bat sie des gewagten Schrittes wegen innig und rührend um Ver- gebung, schilderte ihr aber die Liebe zu ei- nem der edelsten Männer so groß, und ihr künftiges Glück in seinen Armen so reizend, daß die gute Mutter willig verzieh, und
Dies war aller Troſt, alle Hofnung, an welche ſich durch einen langen Monat die kla- gende Mutter halten konnte. Die redliche, aber auch mit der großen Welt ganz unbe- kannte Pfarrerswittwe konnte keine ihrer Fra- gen beantworten, ihr in dem Labyrinthe von Zweifel, und Ahndung gar keinen Weg zei- gen. Sie war immer huͤbſch daheim geſeſſen, hatte Arndts Paradies-Gaͤrtlein durchblaͤt- tert, indeß Amalie ungehinderte Freiheit ge- noß, ihren Plan zu entwerfen, und auszu- fuͤhren.
Nach Monatsfriſt ward der Leidenden der erſte Troſt, ſie erhielte einen Brief von ih- rer Tochter. Dieſe bat ſie des gewagten Schrittes wegen innig und ruͤhrend um Ver- gebung, ſchilderte ihr aber die Liebe zu ei- nem der edelſten Maͤnner ſo groß, und ihr kuͤnftiges Gluͤck in ſeinen Armen ſo reizend, daß die gute Mutter willig verzieh, und
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Dies war aller Troſt, alle Hofnung, an
welche ſich durch einen langen Monat die kla-
gende Mutter halten konnte. Die redliche,
aber auch mit der großen Welt ganz unbe-
kannte Pfarrerswittwe konnte keine ihrer Fra-
gen beantworten, ihr in dem Labyrinthe von
Zweifel, und Ahndung gar keinen Weg zei-
gen. Sie war immer huͤbſch daheim geſeſſen,
hatte Arndts Paradies-Gaͤrtlein durchblaͤt-
tert, indeß Amalie ungehinderte Freiheit ge-
noß, ihren Plan zu entwerfen, und auszu-
fuͤhren.
Nach Monatsfriſt ward der Leidenden der
erſte Troſt, ſie erhielte einen Brief von ih-
rer Tochter. Dieſe bat ſie des gewagten
Schrittes wegen innig und ruͤhrend um Ver-
gebung, ſchilderte ihr aber die Liebe zu ei-
nem der edelſten Maͤnner ſo groß, und ihr
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/123>, abgerufen am 21.11.2024.
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