Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

der schrecklichen Wahrheit, und überließ sie
nun, ohne Hülfe zu versuchen, dem Raube des
Wahnsinnes.

Ihr Kind starb nach zehn Wochen, sie hat-
te es zärtlich geliebt, aber sie sahs ohne Rüh-
rung, ohne Thräne zu Grabe tragen. Viel-
leicht gönnte ihr der Wahnsinn die glückliche Ue-
berzeugung, daß es ihm jenseits besser, als in
diesem Jammerthale, ergehen würde.

Anfangs sprach sie selten und äusserst we-
nig, saß mit starrendem Blicke in einem finstern
Winkel des Zimmers, arbeitete gar nichts, for-
derte aber auch nie Speise oder Trank. Man
machte dem Vater ihr Unglück kund, er eilte
zur möglichen Hülfe herbei, aber sie wurde
vergebens verwendet. Tiefe Reue und innigen
Schmerz fühlte der Alte, als ihn sein unglück-
liches Kind nicht mehr kannte, ihn mit Verach-

der ſchrecklichen Wahrheit, und uͤberließ ſie
nun, ohne Huͤlfe zu verſuchen, dem Raube des
Wahnſinnes.

Ihr Kind ſtarb nach zehn Wochen, ſie hat-
te es zaͤrtlich geliebt, aber ſie ſahs ohne Ruͤh-
rung, ohne Thraͤne zu Grabe tragen. Viel-
leicht goͤnnte ihr der Wahnſinn die gluͤckliche Ue-
berzeugung, daß es ihm jenſeits beſſer, als in
dieſem Jammerthale, ergehen wuͤrde.

Anfangs ſprach ſie ſelten und aͤuſſerſt we-
nig, ſaß mit ſtarrendem Blicke in einem finſtern
Winkel des Zimmers, arbeitete gar nichts, for-
derte aber auch nie Speiſe oder Trank. Man
machte dem Vater ihr Ungluͤck kund, er eilte
zur moͤglichen Huͤlfe herbei, aber ſie wurde
vergebens verwendet. Tiefe Reue und innigen
Schmerz fuͤhlte der Alte, als ihn ſein ungluͤck-
liches Kind nicht mehr kannte, ihn mit Verach-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0212" n="214[198]"/>
der &#x017F;chrecklichen Wahrheit, und u&#x0364;berließ &#x017F;ie<lb/>
nun, ohne Hu&#x0364;lfe zu ver&#x017F;uchen, dem Raube des<lb/>
Wahn&#x017F;innes.</p><lb/>
        <p>Ihr Kind &#x017F;tarb nach zehn Wochen, &#x017F;ie hat-<lb/>
te es za&#x0364;rtlich geliebt, aber &#x017F;ie &#x017F;ahs ohne Ru&#x0364;h-<lb/>
rung, ohne Thra&#x0364;ne zu Grabe tragen. Viel-<lb/>
leicht go&#x0364;nnte ihr der Wahn&#x017F;inn die glu&#x0364;ckliche Ue-<lb/>
berzeugung, daß es ihm jen&#x017F;eits be&#x017F;&#x017F;er, als in<lb/>
die&#x017F;em Jammerthale, ergehen wu&#x0364;rde.</p><lb/>
        <p>Anfangs &#x017F;prach &#x017F;ie &#x017F;elten und a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t we-<lb/>
nig, &#x017F;aß mit &#x017F;tarrendem Blicke in einem fin&#x017F;tern<lb/>
Winkel des Zimmers, arbeitete gar nichts, for-<lb/>
derte aber auch nie Spei&#x017F;e oder Trank. Man<lb/>
machte dem Vater ihr Unglu&#x0364;ck kund, er eilte<lb/>
zur mo&#x0364;glichen Hu&#x0364;lfe herbei, aber &#x017F;ie wurde<lb/>
vergebens verwendet. Tiefe Reue und innigen<lb/>
Schmerz fu&#x0364;hlte der Alte, als ihn &#x017F;ein unglu&#x0364;ck-<lb/>
liches Kind nicht mehr kannte, ihn mit Verach-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214[198]/0212] der ſchrecklichen Wahrheit, und uͤberließ ſie nun, ohne Huͤlfe zu verſuchen, dem Raube des Wahnſinnes. Ihr Kind ſtarb nach zehn Wochen, ſie hat- te es zaͤrtlich geliebt, aber ſie ſahs ohne Ruͤh- rung, ohne Thraͤne zu Grabe tragen. Viel- leicht goͤnnte ihr der Wahnſinn die gluͤckliche Ue- berzeugung, daß es ihm jenſeits beſſer, als in dieſem Jammerthale, ergehen wuͤrde. Anfangs ſprach ſie ſelten und aͤuſſerſt we- nig, ſaß mit ſtarrendem Blicke in einem finſtern Winkel des Zimmers, arbeitete gar nichts, for- derte aber auch nie Speiſe oder Trank. Man machte dem Vater ihr Ungluͤck kund, er eilte zur moͤglichen Huͤlfe herbei, aber ſie wurde vergebens verwendet. Tiefe Reue und innigen Schmerz fuͤhlte der Alte, als ihn ſein ungluͤck- liches Kind nicht mehr kannte, ihn mit Verach-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/212
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 214[198]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/212>, abgerufen am 30.11.2024.