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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

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Von diesem Augenblicke an war dieser Ge-
danke ihre einzige Beschäftigung. Sie wußte,
daß der Kerkermeister, welcher die adlichen
Staatsgefangnen in einem besondern Thurme
verwahrte, ehemals als Heiduke der Murter
des Fürsten diente, und mit Widerwillen den
einträglichen Dienst eines Kerkermeisters zur
Belohnung seiner treuen Dienste annahm; ihr
war ferner bekannt, daß er kein Weib, kein
Kind, keine nahen Freunde habe, und daher
durch nichts ans Vaterland gefesselt werde.
Auf diese Gründe baute ihre Hofnung die
Möglichkeit der Ausführung. Sie eilte nach
ihrem Garten, wo sie oft stundenlang verweil-
te. Eine vertraute Kammerfrau war ihre
einzige Begleiterin, diese mußte sich im Gar-
tenhause verkleiden, und durch eine Neben-
thüre entschlüpfen, um dem Kerkermeister mit
dem Auftrage der größten Verschwiegenheit
dahin zu berufen und zu leiten.

Von dieſem Augenblicke an war dieſer Ge-
danke ihre einzige Beſchaͤftigung. Sie wußte,
daß der Kerkermeiſter, welcher die adlichen
Staatsgefangnen in einem beſondern Thurme
verwahrte, ehemals als Heiduke der Murter
des Fuͤrſten diente, und mit Widerwillen den
eintraͤglichen Dienſt eines Kerkermeiſters zur
Belohnung ſeiner treuen Dienſte annahm; ihr
war ferner bekannt, daß er kein Weib, kein
Kind, keine nahen Freunde habe, und daher
durch nichts ans Vaterland gefeſſelt werde.
Auf dieſe Gruͤnde baute ihre Hofnung die
Moͤglichkeit der Ausfuͤhrung. Sie eilte nach
ihrem Garten, wo ſie oft ſtundenlang verweil-
te. Eine vertraute Kammerfrau war ihre
einzige Begleiterin, dieſe mußte ſich im Gar-
tenhauſe verkleiden, und durch eine Neben-
thuͤre entſchluͤpfen, um dem Kerkermeiſter mit
dem Auftrage der groͤßten Verſchwiegenheit
dahin zu berufen und zu leiten.

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[139/0149] Von dieſem Augenblicke an war dieſer Ge- danke ihre einzige Beſchaͤftigung. Sie wußte, daß der Kerkermeiſter, welcher die adlichen Staatsgefangnen in einem beſondern Thurme verwahrte, ehemals als Heiduke der Murter des Fuͤrſten diente, und mit Widerwillen den eintraͤglichen Dienſt eines Kerkermeiſters zur Belohnung ſeiner treuen Dienſte annahm; ihr war ferner bekannt, daß er kein Weib, kein Kind, keine nahen Freunde habe, und daher durch nichts ans Vaterland gefeſſelt werde. Auf dieſe Gruͤnde baute ihre Hofnung die Moͤglichkeit der Ausfuͤhrung. Sie eilte nach ihrem Garten, wo ſie oft ſtundenlang verweil- te. Eine vertraute Kammerfrau war ihre einzige Begleiterin, dieſe mußte ſich im Gar- tenhauſe verkleiden, und durch eine Neben- thuͤre entſchluͤpfen, um dem Kerkermeiſter mit dem Auftrage der groͤßten Verſchwiegenheit dahin zu berufen und zu leiten.

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/149>, abgerufen am 21.11.2024.