ihr sittsames Betragen unter allen übrigen Tänzerinnen aufs vortheilhafteste auszeichne- te. Er führte sie heim, gestand ihr Liebe, und erhielt von ihr die Erlaubnis, sie dann und wann besuchen zu dürfen.
Eben hatte er zum Beweise ihrer Liebe den ersten Kuß erhalten, und wandelte, ihn noch fühlend und genüssend, über den Schloß- hof, als sich plözlich ein Fenster öfnete, an welchem der Marggraf stand, der ihn rück- wärts rief. Zagend erschien der Jüngling vor ihm, langsam und trauernd ging er von dan- nen, wie man ihn auf des Marggrafs Gebot nach der Hauptwache führte, und bald nach- her die Granadiermütze aufsetzte. Weinend empfing ihn die Mutter, seufzend grüßte ihn der Vater, wie er mit diesem untrüglichen Kennzeichen seines künftigen Standes vor ih- nen erschien. Als aber beide vernahmen, daß der Marggraf ihm, weil er der einzige Sohn
ihr ſittſames Betragen unter allen uͤbrigen Taͤnzerinnen aufs vortheilhafteſte auszeichne- te. Er fuͤhrte ſie heim, geſtand ihr Liebe, und erhielt von ihr die Erlaubnis, ſie dann und wann beſuchen zu duͤrfen.
Eben hatte er zum Beweiſe ihrer Liebe den erſten Kuß erhalten, und wandelte, ihn noch fuͤhlend und genuͤſſend, uͤber den Schloß- hof, als ſich ploͤzlich ein Fenſter oͤfnete, an welchem der Marggraf ſtand, der ihn ruͤck- waͤrts rief. Zagend erſchien der Juͤngling vor ihm, langſam und trauernd ging er von dan- nen, wie man ihn auf des Marggrafs Gebot nach der Hauptwache fuͤhrte, und bald nach- her die Granadiermuͤtze aufſetzte. Weinend empfing ihn die Mutter, ſeufzend gruͤßte ihn der Vater, wie er mit dieſem untruͤglichen Kennzeichen ſeines kuͤnftigen Standes vor ih- nen erſchien. Als aber beide vernahmen, daß der Marggraf ihm, weil er der einzige Sohn
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ihr ſittſames Betragen unter allen uͤbrigen
Taͤnzerinnen aufs vortheilhafteſte auszeichne-
te. Er fuͤhrte ſie heim, geſtand ihr Liebe,
und erhielt von ihr die Erlaubnis, ſie dann
und wann beſuchen zu duͤrfen.
Eben hatte er zum Beweiſe ihrer Liebe
den erſten Kuß erhalten, und wandelte, ihn
noch fuͤhlend und genuͤſſend, uͤber den Schloß-
hof, als ſich ploͤzlich ein Fenſter oͤfnete, an
welchem der Marggraf ſtand, der ihn ruͤck-
waͤrts rief. Zagend erſchien der Juͤngling vor
ihm, langſam und trauernd ging er von dan-
nen, wie man ihn auf des Marggrafs Gebot
nach der Hauptwache fuͤhrte, und bald nach-
her die Granadiermuͤtze aufſetzte. Weinend
empfing ihn die Mutter, ſeufzend gruͤßte ihn
der Vater, wie er mit dieſem untruͤglichen
Kennzeichen ſeines kuͤnftigen Standes vor ih-
nen erſchien. Als aber beide vernahmen, daß
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/16>, abgerufen am 21.11.2024.
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