Nach drei durchschmachteten Jahren, hat- te finstere Melancholie in seinem Herzen fe- sten Sitz genommen, er sah mit wahrer Be- gierde dem Tod entgegen, er wünschte sehn- lichst, daß er bald nahen, bald sein namlo- ses Leiden enden möge. Schon im zweiten Jahre hatte ihm die besuchende Fürstin zu ver- stehen gegeben, daß so tiefe und erniedri- gende Verstellung izt nicht mehr nöthig sei, daß er in einem entferntern Lande, unter- stützt durch seine Wohlthäterin, angeneh- mer und besser leben könne, aber die Ein- samkeit war seinem Schmerze schon unent- behrlich geworden, er flehte, daß man ihn länger hier dulden möge, und versicherte dreust, daß ihn noch weitere Entfernung, wo er gar keine Nachricht mehr von seiner Gattin erhalten würde, zum Wahnsinn rei- zen werde. Die Fürstin ehrte seine Gründe, und versprach ihm, durch öftere Nachrichten von seiner Gattin zu erfreuen, aber sie
Nach drei durchſchmachteten Jahren, hat- te finſtere Melancholie in ſeinem Herzen fe- ſten Sitz genommen, er ſah mit wahrer Be- gierde dem Tod entgegen, er wuͤnſchte ſehn- lichſt, daß er bald nahen, bald ſein namlo- ſes Leiden enden moͤge. Schon im zweiten Jahre hatte ihm die beſuchende Fuͤrſtin zu ver- ſtehen gegeben, daß ſo tiefe und erniedri- gende Verſtellung izt nicht mehr noͤthig ſei, daß er in einem entferntern Lande, unter- ſtuͤtzt durch ſeine Wohlthaͤterin, angeneh- mer und beſſer leben koͤnne, aber die Ein- ſamkeit war ſeinem Schmerze ſchon unent- behrlich geworden, er flehte, daß man ihn laͤnger hier dulden moͤge, und verſicherte dreuſt, daß ihn noch weitere Entfernung, wo er gar keine Nachricht mehr von ſeiner Gattin erhalten wuͤrde, zum Wahnſinn rei- zen werde. Die Fuͤrſtin ehrte ſeine Gruͤnde, und verſprach ihm, durch oͤftere Nachrichten von ſeiner Gattin zu erfreuen, aber ſie
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Nach drei durchſchmachteten Jahren, hat-
te finſtere Melancholie in ſeinem Herzen fe-
ſten Sitz genommen, er ſah mit wahrer Be-
gierde dem Tod entgegen, er wuͤnſchte ſehn-
lichſt, daß er bald nahen, bald ſein namlo-
ſes Leiden enden moͤge. Schon im zweiten
Jahre hatte ihm die beſuchende Fuͤrſtin zu ver-
ſtehen gegeben, daß ſo tiefe und erniedri-
gende Verſtellung izt nicht mehr noͤthig ſei,
daß er in einem entferntern Lande, unter-
ſtuͤtzt durch ſeine Wohlthaͤterin, angeneh-
mer und beſſer leben koͤnne, aber die Ein-
ſamkeit war ſeinem Schmerze ſchon unent-
behrlich geworden, er flehte, daß man ihn
laͤnger hier dulden moͤge, und verſicherte
dreuſt, daß ihn noch weitere Entfernung,
wo er gar keine Nachricht mehr von ſeiner
Gattin erhalten wuͤrde, zum Wahnſinn rei-
zen werde. Die Fuͤrſtin ehrte ſeine Gruͤnde,
und verſprach ihm, durch oͤftere Nachrichten
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/169>, abgerufen am 22.11.2024.
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