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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

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Um beides nach Gefallen auszuüben, muß-
te ich wenigstens einige Freiheit genüssen, um
diese zu genüssen, wandte ich alle Mittel an,
die Räuber zu überzeugen, daß ich gerne in
ihrer Mitte zöge, mich willig dem bestimmten
Schicksale fügen würde. Meine List gelang, sie
bewachten mich nicht mehr so sorgfältig, achte-
ten mich verwahrt genug, wenn sie sich rings
um mich lagerten und ruhig schliefen. Der
Zug ging stets durch Einöden und Wälder,
ging langsam, weil die Rosse schwer mit Beute
beladen waren. Ich konnte oft entfliehen, aber
ich wagte die Flucht nicht, weil ich den Hun-
gertod ahndete, ihn um deinetwillen nur fürch-
tete.

Nach einer weiten Reise lagerten wir uns
im Thale eines Forstes, ich staunte, ich konnte
kaum Thränen der wehmüthigen Freude ver-
bergen, als ich hinter den Felsen die Kapelle
erblickte, in welcher ich so oft betete. Mein
Herz schlug ängstlich und hoffend, wie mein
Auge endlich gar den Wartthurm der väterli-

Um beides nach Gefallen auszuuͤben, muß-
te ich wenigſtens einige Freiheit genuͤſſen, um
dieſe zu genuͤſſen, wandte ich alle Mittel an,
die Raͤuber zu uͤberzeugen, daß ich gerne in
ihrer Mitte zoͤge, mich willig dem beſtimmten
Schickſale fuͤgen wuͤrde. Meine Liſt gelang, ſie
bewachten mich nicht mehr ſo ſorgfaͤltig, achte-
ten mich verwahrt genug, wenn ſie ſich rings
um mich lagerten und ruhig ſchliefen. Der
Zug ging ſtets durch Einoͤden und Waͤlder,
ging langſam, weil die Roſſe ſchwer mit Beute
beladen waren. Ich konnte oft entfliehen, aber
ich wagte die Flucht nicht, weil ich den Hun-
gertod ahndete, ihn um deinetwillen nur fuͤrch-
tete.

Nach einer weiten Reiſe lagerten wir uns
im Thale eines Forſtes, ich ſtaunte, ich konnte
kaum Thraͤnen der wehmuͤthigen Freude ver-
bergen, als ich hinter den Felſen die Kapelle
erblickte, in welcher ich ſo oft betete. Mein
Herz ſchlug aͤngſtlich und hoffend, wie mein
Auge endlich gar den Wartthurm der vaͤterli-

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[274/0284] Um beides nach Gefallen auszuuͤben, muß- te ich wenigſtens einige Freiheit genuͤſſen, um dieſe zu genuͤſſen, wandte ich alle Mittel an, die Raͤuber zu uͤberzeugen, daß ich gerne in ihrer Mitte zoͤge, mich willig dem beſtimmten Schickſale fuͤgen wuͤrde. Meine Liſt gelang, ſie bewachten mich nicht mehr ſo ſorgfaͤltig, achte- ten mich verwahrt genug, wenn ſie ſich rings um mich lagerten und ruhig ſchliefen. Der Zug ging ſtets durch Einoͤden und Waͤlder, ging langſam, weil die Roſſe ſchwer mit Beute beladen waren. Ich konnte oft entfliehen, aber ich wagte die Flucht nicht, weil ich den Hun- gertod ahndete, ihn um deinetwillen nur fuͤrch- tete. Nach einer weiten Reiſe lagerten wir uns im Thale eines Forſtes, ich ſtaunte, ich konnte kaum Thraͤnen der wehmuͤthigen Freude ver- bergen, als ich hinter den Felſen die Kapelle erblickte, in welcher ich ſo oft betete. Mein Herz ſchlug aͤngſtlich und hoffend, wie mein Auge endlich gar den Wartthurm der vaͤterli-

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/284>, abgerufen am 24.11.2024.