Eben wars ein Sonntag, eben kam sie aus der Kirche zurück, in welcher sie andäch- tig gebetet, aber auch mit suchendem Auge oft und lange umher geblickt hatte, als ein kleines Mädchen im Schloßhofe ihrer harrte, und ihr einen Brief überreichte. Wilhelm, der dankbegierige Wilhelm hatte ihn geschrie- ben, er enthielt eine Einladung auf den fol- genden Nachmittag zu seiner alten Muhme, welche ihn nicht allein liebreich aufgenommen, sondern auch wider Vermuthen sein und So- phiens Glück zu gründen versprochen hatte.
Sophie eilte um die bestimmte Stunde zu ihrem Wilhelm. Als sie zitternd die Thüre des Gemachs öfnete, wankte er ihr mit Thrä- nen im Auge entgegen, das Unglück und wahr- scheinlich noch der Kummer hatte seine Wangen gebleicht, aber sein Auge glänzte um so feu- riger, sein Mund sprach zwar wenig, aber das Wenige bewies deutlich, daß er sein Ver-
Eben wars ein Sonntag, eben kam ſie aus der Kirche zuruͤck, in welcher ſie andaͤch- tig gebetet, aber auch mit ſuchendem Auge oft und lange umher geblickt hatte, als ein kleines Maͤdchen im Schloßhofe ihrer harrte, und ihr einen Brief uͤberreichte. Wilhelm, der dankbegierige Wilhelm hatte ihn geſchrie- ben, er enthielt eine Einladung auf den fol- genden Nachmittag zu ſeiner alten Muhme, welche ihn nicht allein liebreich aufgenommen, ſondern auch wider Vermuthen ſein und So- phiens Gluͤck zu gruͤnden verſprochen hatte.
Sophie eilte um die beſtimmte Stunde zu ihrem Wilhelm. Als ſie zitternd die Thuͤre des Gemachs oͤfnete, wankte er ihr mit Thraͤ- nen im Auge entgegen, das Ungluͤck und wahr- ſcheinlich noch der Kummer hatte ſeine Wangen gebleicht, aber ſein Auge glaͤnzte um ſo feu- riger, ſein Mund ſprach zwar wenig, aber das Wenige bewies deutlich, daß er ſein Ver-
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Eben wars ein Sonntag, eben kam ſie
aus der Kirche zuruͤck, in welcher ſie andaͤch-
tig gebetet, aber auch mit ſuchendem Auge
oft und lange umher geblickt hatte, als ein
kleines Maͤdchen im Schloßhofe ihrer harrte,
und ihr einen Brief uͤberreichte. Wilhelm,
der dankbegierige Wilhelm hatte ihn geſchrie-
ben, er enthielt eine Einladung auf den fol-
genden Nachmittag zu ſeiner alten Muhme,
welche ihn nicht allein liebreich aufgenommen,
ſondern auch wider Vermuthen ſein und So-
phiens Gluͤck zu gruͤnden verſprochen hatte.
Sophie eilte um die beſtimmte Stunde zu
ihrem Wilhelm. Als ſie zitternd die Thuͤre
des Gemachs oͤfnete, wankte er ihr mit Thraͤ-
nen im Auge entgegen, das Ungluͤck und wahr-
ſcheinlich noch der Kummer hatte ſeine Wangen
gebleicht, aber ſein Auge glaͤnzte um ſo feu-
riger, ſein Mund ſprach zwar wenig, aber
das Wenige bewies deutlich, daß er ſein Ver-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/50>, abgerufen am 24.11.2024.
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