schrieben hatte, erfolgte kein Brief, keine Nach- richt mehr.
Sophiens Kummer ward bald groß, ward in der Folge unerträglich, weil sie sich schwan- ger fühlte. Vier Monate harrte sie vergebens auf weitere Nachricht, als aber ihre Eltern über Wilhelms Stillschweigen ebenfalls traurig wurden, ihr Vorwürfe zu machen begannen, weil sie sich mit einem so schlechten Menschen in ein Liebesverständniß eingelassen, und ihrem guten Dienste so leichtsinnig entsagt habe, da rang sie ingeheim nach Trost und Hülfe. Sie erinnerte sich izt erst, daß Wilhelm kurz vor seiner Abreise einem sehr rechtschafnen Advoka- ten die Verwaltung seines Vermögens anver- traut habe, sie eilte zu ihm, um zu erfahren, ob Wilhelm ihm diese lange Zeit hindurch eben- falls nicht geschrieben habe, und wollte ihn dann erst als tod beweinen, wenn er, da er nicht mehr als funfzig Dukaten mit sich ge-
ſchrieben hatte, erfolgte kein Brief, keine Nach- richt mehr.
Sophiens Kummer ward bald groß, ward in der Folge unertraͤglich, weil ſie ſich ſchwan- ger fuͤhlte. Vier Monate harrte ſie vergebens auf weitere Nachricht, als aber ihre Eltern uͤber Wilhelms Stillſchweigen ebenfalls traurig wurden, ihr Vorwuͤrfe zu machen begannen, weil ſie ſich mit einem ſo ſchlechten Menſchen in ein Liebesverſtaͤndniß eingelaſſen, und ihrem guten Dienſte ſo leichtſinnig entſagt habe, da rang ſie ingeheim nach Troſt und Huͤlfe. Sie erinnerte ſich izt erſt, daß Wilhelm kurz vor ſeiner Abreiſe einem ſehr rechtſchafnen Advoka- ten die Verwaltung ſeines Vermoͤgens anver- traut habe, ſie eilte zu ihm, um zu erfahren, ob Wilhelm ihm dieſe lange Zeit hindurch eben- falls nicht geſchrieben habe, und wollte ihn dann erſt als tod beweinen, wenn er, da er nicht mehr als funfzig Dukaten mit ſich ge-
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ſchrieben hatte, erfolgte kein Brief, keine Nach-
richt mehr.
Sophiens Kummer ward bald groß, ward
in der Folge unertraͤglich, weil ſie ſich ſchwan-
ger fuͤhlte. Vier Monate harrte ſie vergebens
auf weitere Nachricht, als aber ihre Eltern
uͤber Wilhelms Stillſchweigen ebenfalls traurig
wurden, ihr Vorwuͤrfe zu machen begannen,
weil ſie ſich mit einem ſo ſchlechten Menſchen
in ein Liebesverſtaͤndniß eingelaſſen, und ihrem
guten Dienſte ſo leichtſinnig entſagt habe, da
rang ſie ingeheim nach Troſt und Huͤlfe. Sie
erinnerte ſich izt erſt, daß Wilhelm kurz vor
ſeiner Abreiſe einem ſehr rechtſchafnen Advoka-
ten die Verwaltung ſeines Vermoͤgens anver-
traut habe, ſie eilte zu ihm, um zu erfahren,
ob Wilhelm ihm dieſe lange Zeit hindurch eben-
falls nicht geſchrieben habe, und wollte ihn
dann erſt als tod beweinen, wenn er, da er
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/56>, abgerufen am 21.11.2024.
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