Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

nommen hatte, unter dieser langen Zeit kein
Geld verlangt hätte. Todesblässe verbreitete
sich über ihre Wangen, sie zitterte und bebte,
als der ehrliche Mann ihr sogleich erzählte,
daß Wilhelm diese Zeit über ihm stets geschrie-
ben, nun aber wohl nicht mehr so oft schreiben
würde, weil er ihm eben mit lezter Post den
lezten Rest seines ganzen Vermögens nach
Frankfurt übersandt habe. Er wird sich dort,
fuhr er fort, wie ich aus allem ersehe, etabli-
ren und ein reiches Mädchen heurathen. Je
nun, sezte er hinzu, ich gönne ihr und ihm
das Glück herzlich gerne, und wünsche nur,
daß es von Dauer sei. Hier kennt man den
Vogel, hier wäre es ihm nicht gelungen, eine
so reiche Braut heimzuführen.

Sophie konnte die zentnerschwere Last,
welche der Erzähler so schnell, so unbarmherzig
auf sie wälzte, nicht ertragen, sie sank kraftlos
zu Boden. Als der Alte sie geweckt und ge-

nommen hatte, unter dieſer langen Zeit kein
Geld verlangt haͤtte. Todesblaͤſſe verbreitete
ſich uͤber ihre Wangen, ſie zitterte und bebte,
als der ehrliche Mann ihr ſogleich erzaͤhlte,
daß Wilhelm dieſe Zeit uͤber ihm ſtets geſchrie-
ben, nun aber wohl nicht mehr ſo oft ſchreiben
wuͤrde, weil er ihm eben mit lezter Poſt den
lezten Reſt ſeines ganzen Vermoͤgens nach
Frankfurt uͤberſandt habe. Er wird ſich dort,
fuhr er fort, wie ich aus allem erſehe, etabli-
ren und ein reiches Maͤdchen heurathen. Je
nun, ſezte er hinzu, ich goͤnne ihr und ihm
das Gluͤck herzlich gerne, und wuͤnſche nur,
daß es von Dauer ſei. Hier kennt man den
Vogel, hier waͤre es ihm nicht gelungen, eine
ſo reiche Braut heimzufuͤhren.

Sophie konnte die zentnerſchwere Laſt,
welche der Erzaͤhler ſo ſchnell, ſo unbarmherzig
auf ſie waͤlzte, nicht ertragen, ſie ſank kraftlos
zu Boden. Als der Alte ſie geweckt und ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0057" n="47"/>
nommen hatte, unter die&#x017F;er langen Zeit kein<lb/>
Geld verlangt ha&#x0364;tte. Todesbla&#x0364;&#x017F;&#x017F;e verbreitete<lb/>
&#x017F;ich u&#x0364;ber ihre Wangen, &#x017F;ie zitterte und bebte,<lb/>
als der ehrliche Mann ihr &#x017F;ogleich erza&#x0364;hlte,<lb/>
daß Wilhelm die&#x017F;e Zeit u&#x0364;ber ihm &#x017F;tets ge&#x017F;chrie-<lb/>
ben, nun aber wohl nicht mehr &#x017F;o oft &#x017F;chreiben<lb/>
wu&#x0364;rde, weil er ihm eben mit lezter Po&#x017F;t den<lb/>
lezten Re&#x017F;t &#x017F;eines ganzen Vermo&#x0364;gens nach<lb/>
Frankfurt u&#x0364;ber&#x017F;andt habe. Er wird &#x017F;ich dort,<lb/>
fuhr er fort, wie ich aus allem er&#x017F;ehe, etabli-<lb/>
ren und ein reiches Ma&#x0364;dchen heurathen. Je<lb/>
nun, &#x017F;ezte er hinzu, ich go&#x0364;nne ihr und ihm<lb/>
das Glu&#x0364;ck herzlich gerne, und wu&#x0364;n&#x017F;che nur,<lb/>
daß es von Dauer &#x017F;ei. Hier kennt man den<lb/>
Vogel, hier wa&#x0364;re es ihm nicht gelungen, eine<lb/>
&#x017F;o reiche Braut heimzufu&#x0364;hren.</p><lb/>
        <p>Sophie konnte die zentner&#x017F;chwere La&#x017F;t,<lb/>
welche der Erza&#x0364;hler &#x017F;o &#x017F;chnell, &#x017F;o unbarmherzig<lb/>
auf &#x017F;ie wa&#x0364;lzte, nicht ertragen, &#x017F;ie &#x017F;ank kraftlos<lb/>
zu Boden. Als der Alte &#x017F;ie geweckt und ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0057] nommen hatte, unter dieſer langen Zeit kein Geld verlangt haͤtte. Todesblaͤſſe verbreitete ſich uͤber ihre Wangen, ſie zitterte und bebte, als der ehrliche Mann ihr ſogleich erzaͤhlte, daß Wilhelm dieſe Zeit uͤber ihm ſtets geſchrie- ben, nun aber wohl nicht mehr ſo oft ſchreiben wuͤrde, weil er ihm eben mit lezter Poſt den lezten Reſt ſeines ganzen Vermoͤgens nach Frankfurt uͤberſandt habe. Er wird ſich dort, fuhr er fort, wie ich aus allem erſehe, etabli- ren und ein reiches Maͤdchen heurathen. Je nun, ſezte er hinzu, ich goͤnne ihr und ihm das Gluͤck herzlich gerne, und wuͤnſche nur, daß es von Dauer ſei. Hier kennt man den Vogel, hier waͤre es ihm nicht gelungen, eine ſo reiche Braut heimzufuͤhren. Sophie konnte die zentnerſchwere Laſt, welche der Erzaͤhler ſo ſchnell, ſo unbarmherzig auf ſie waͤlzte, nicht ertragen, ſie ſank kraftlos zu Boden. Als der Alte ſie geweckt und ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/57
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/57>, abgerufen am 21.11.2024.