Der Advokat, welcher in diesem Falle Wil- helms schändlichen Lügen vollen Glauben bei- maß, auch izt noch muthmaßte, daß ihre Nach- frage ähnliche Ursache zur Absicht habe, war of- fenherzig genug, der leidenden Sophie dies alles mit trocknen Worten kund zu machen, ihr nebenbei wohlmeinend zu rathen, daß sie seines Klienten Glück nicht hindern möge, weil sie in jedem Falle zu spät kommen, wohl seinen Zorn, aber durch solche Mittel nie seine Großmuth reizen würde.
Sophiens Zustand war schrecklich, war er- barmungswürdig. Ihr Blick hatte immer hoffend und fest an der Zukunft gehangen, izt verfinsterte sich diese glückliche Aussicht, ein Ab- grund öfnete sich zu ihren Füßen, sie schauderte zurück, und ein noch gräßlicherer lag vor ihr. Sie fühlte sich verstoßen, und verlassen; sie sah nirgends Trost, nirgends Hofnung, noch Hül- fe; ihre Sinne starrten würkungslos umher;
Biogr. d. W. 4r Bd. D
Der Advokat, welcher in dieſem Falle Wil- helms ſchaͤndlichen Luͤgen vollen Glauben bei- maß, auch izt noch muthmaßte, daß ihre Nach- frage aͤhnliche Urſache zur Abſicht habe, war of- fenherzig genug, der leidenden Sophie dies alles mit trocknen Worten kund zu machen, ihr nebenbei wohlmeinend zu rathen, daß ſie ſeines Klienten Gluͤck nicht hindern moͤge, weil ſie in jedem Falle zu ſpaͤt kommen, wohl ſeinen Zorn, aber durch ſolche Mittel nie ſeine Großmuth reizen wuͤrde.
Sophiens Zuſtand war ſchrecklich, war er- barmungswuͤrdig. Ihr Blick hatte immer hoffend und feſt an der Zukunft gehangen, izt verfinſterte ſich dieſe gluͤckliche Ausſicht, ein Ab- grund oͤfnete ſich zu ihren Fuͤßen, ſie ſchauderte zuruͤck, und ein noch graͤßlicherer lag vor ihr. Sie fuͤhlte ſich verſtoßen, und verlaſſen; ſie ſah nirgends Troſt, nirgends Hofnung, noch Huͤl- fe; ihre Sinne ſtarrten wuͤrkungslos umher;
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Der Advokat, welcher in dieſem Falle Wil-
helms ſchaͤndlichen Luͤgen vollen Glauben bei-
maß, auch izt noch muthmaßte, daß ihre Nach-
frage aͤhnliche Urſache zur Abſicht habe, war of-
fenherzig genug, der leidenden Sophie dies
alles mit trocknen Worten kund zu machen, ihr
nebenbei wohlmeinend zu rathen, daß ſie ſeines
Klienten Gluͤck nicht hindern moͤge, weil ſie in
jedem Falle zu ſpaͤt kommen, wohl ſeinen Zorn,
aber durch ſolche Mittel nie ſeine Großmuth
reizen wuͤrde.
Sophiens Zuſtand war ſchrecklich, war er-
barmungswuͤrdig. Ihr Blick hatte immer
hoffend und feſt an der Zukunft gehangen, izt
verfinſterte ſich dieſe gluͤckliche Ausſicht, ein Ab-
grund oͤfnete ſich zu ihren Fuͤßen, ſie ſchauderte
zuruͤck, und ein noch graͤßlicherer lag vor ihr.
Sie fuͤhlte ſich verſtoßen, und verlaſſen; ſie ſah
nirgends Troſt, nirgends Hofnung, noch Huͤl-
fe; ihre Sinne ſtarrten wuͤrkungslos umher;
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/59>, abgerufen am 16.02.2025.
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