Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_142.001 Das Gegenüber von Dichter und Hörern entsteht pst_142.008 "Was bleibet aber, stiften die Dichter." pst_142.027Nirgends ist dieses Wort so sehr am Platz wie in epischer pst_142.028 1 pst_142.029
Vgl. Martin Heidegger, Hölderlin und das Wesen der Dichtung, pst_142.030 München 1936. pst_142.001 Das Gegenüber von Dichter und Hörern entsteht pst_142.008 «Was bleibet aber, stiften die Dichter.» pst_142.027Nirgends ist dieses Wort so sehr am Platz wie in epischer pst_142.028 1 pst_142.029
Vgl. Martin Heidegger, Hölderlin und das Wesen der Dichtung, pst_142.030 München 1936. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0146" n="142"/><lb n="pst_142.001"/> bestimmten Ort. Hier bleibt der Dichter nicht allein. <lb n="pst_142.002"/> Er steht in einem Kreis von Hörern und erzählt ihnen <lb n="pst_142.003"/> seine Geschichten. So wie er sich selbst das Geschehene <lb n="pst_142.004"/> vorstellt, stellt er es seinem Publikum vor. Und wenn <lb n="pst_142.005"/> er weiterzieht und seine Geschichten sich im Land verbreiten, <lb n="pst_142.006"/> erweitert das Publikum sich zum Volk.</p> <lb n="pst_142.007"/> <p> Das Gegenüber von Dichter und Hörern entsteht <lb n="pst_142.008"/> aber nicht, weil es der Zufall einer Begegnung gerade <lb n="pst_142.009"/> so fügt. Käme ein Mann und trüge in griechischer <lb n="pst_142.010"/> Sprache vor einem griechischen Hörerkreis die Sage von <lb n="pst_142.011"/> Gilgamesch vor, so würde er schwerlich angehört, oder <lb n="pst_142.012"/> doch mit großem Befremden und ohne nachhaltigen <lb n="pst_142.013"/> Dank. Die Hörer anerkennen Homer, weil er die Dinge <lb n="pst_142.014"/> so darstellt, wie sie sie selber zu sehen gewohnt sind. <lb n="pst_142.015"/> Sie wiederum sehen sie so, weil ihren Vätern ein Dichter <lb n="pst_142.016"/> sie so gezeigt hat. Ihr Verhältnis gründet also in <lb n="pst_142.017"/> einer Überlieferung, die sich zwar in dunkler Urzeit <lb n="pst_142.018"/> verliert, grundsätzlich aber als Stiftung eines Dichters <lb n="pst_142.019"/> verstanden werden darf<note xml:id="PST_142_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_142.029"/> Vgl. Martin Heidegger, Hölderlin und das Wesen der Dichtung, <lb n="pst_142.030"/> München 1936.</note>, der den schlummernden <lb n="pst_142.020"/> Rhythmus und das Wort seines Volkes vernimmt und <lb n="pst_142.021"/> trifft und in der Dichtung dem Volk den Grund anweist, <lb n="pst_142.022"/> auf dem es zu stehen vermag. Dann wirken die <lb n="pst_142.023"/> Keime der Sprache weiter, und schließlich ist alles so <lb n="pst_142.024"/> festgestellt, wie die Griechen es sehen, aufgenommen <lb n="pst_142.025"/> und aufgereiht in unaufhörlicher Parataxe:</p> <lb n="pst_142.026"/> <lg> <l>«Was bleibet aber, stiften die Dichter.»</l> </lg> <lb n="pst_142.027"/> <p>Nirgends ist dieses Wort so sehr am Platz wie in epischer <lb n="pst_142.028"/> Poesie. Denn das Epos ist die ursprünglichste </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [142/0146]
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bestimmten Ort. Hier bleibt der Dichter nicht allein. pst_142.002
Er steht in einem Kreis von Hörern und erzählt ihnen pst_142.003
seine Geschichten. So wie er sich selbst das Geschehene pst_142.004
vorstellt, stellt er es seinem Publikum vor. Und wenn pst_142.005
er weiterzieht und seine Geschichten sich im Land verbreiten, pst_142.006
erweitert das Publikum sich zum Volk.
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Das Gegenüber von Dichter und Hörern entsteht pst_142.008
aber nicht, weil es der Zufall einer Begegnung gerade pst_142.009
so fügt. Käme ein Mann und trüge in griechischer pst_142.010
Sprache vor einem griechischen Hörerkreis die Sage von pst_142.011
Gilgamesch vor, so würde er schwerlich angehört, oder pst_142.012
doch mit großem Befremden und ohne nachhaltigen pst_142.013
Dank. Die Hörer anerkennen Homer, weil er die Dinge pst_142.014
so darstellt, wie sie sie selber zu sehen gewohnt sind. pst_142.015
Sie wiederum sehen sie so, weil ihren Vätern ein Dichter pst_142.016
sie so gezeigt hat. Ihr Verhältnis gründet also in pst_142.017
einer Überlieferung, die sich zwar in dunkler Urzeit pst_142.018
verliert, grundsätzlich aber als Stiftung eines Dichters pst_142.019
verstanden werden darf 1, der den schlummernden pst_142.020
Rhythmus und das Wort seines Volkes vernimmt und pst_142.021
trifft und in der Dichtung dem Volk den Grund anweist, pst_142.022
auf dem es zu stehen vermag. Dann wirken die pst_142.023
Keime der Sprache weiter, und schließlich ist alles so pst_142.024
festgestellt, wie die Griechen es sehen, aufgenommen pst_142.025
und aufgereiht in unaufhörlicher Parataxe:
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«Was bleibet aber, stiften die Dichter.»
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Nirgends ist dieses Wort so sehr am Platz wie in epischer pst_142.028
Poesie. Denn das Epos ist die ursprünglichste
1 pst_142.029
Vgl. Martin Heidegger, Hölderlin und das Wesen der Dichtung, pst_142.030
München 1936.
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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