Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_017.001 Das ist es, was die Übertragung in fremde Sprachen pst_017.016 "Nulla unda pst_017.024 pst_017.027Tam profunda pst_017.025 Quam vis amoris pst_017.026 Furibunda." Wenn die Gewalt der Liebe hier mit dem Wasser verglichen pst_017.028 1 pst_017.029
In "Blätter und Steine", Hamburg 1934. pst_017.001 Das ist es, was die Übertragung in fremde Sprachen pst_017.016 «Nulla unda pst_017.024 pst_017.027Tam profunda pst_017.025 Quam vis amoris pst_017.026 Furibunda.» Wenn die Gewalt der Liebe hier mit dem Wasser verglichen pst_017.028 1 pst_017.029
In «Blätter und Steine», Hamburg 1934. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0021" n="17"/><lb n="pst_017.001"/> ernstlich beeinträchtigt sei. Wohl sind nicht alle Gedichte <lb n="pst_017.002"/> so empfindlich wie gerade dieses. Aber je lyrischer <lb n="pst_017.003"/> ein Gedicht ist, desto unantastbarer ist es. Kaum <lb n="pst_017.004"/> wagt man, es vorzulesen, aus Scheu, die Silben, im <lb n="pst_017.005"/> Widerspruch zum Ton des Dichters, zu dehnen oder zu <lb n="pst_017.006"/> kürzen, zu leise oder zu stark zu betonen. Epische Hexameter <lb n="pst_017.007"/> sind viel robuster. Ihr Vortrag ist, in gewissen <lb n="pst_017.008"/> Grenzen wenigstens, lernbar. Lyrische Verse aber, <lb n="pst_017.009"/> wenn sie schon vorgetragen werden sollen, tönen nur <lb n="pst_017.010"/> richtig, sofern sie aus tiefer Versenkung, aus einer <lb n="pst_017.011"/> weltabgeschiedenen Stille neu erstehen – selbst wenn es <lb n="pst_017.012"/> heitere Verse sind. Sie brauchen den Zauber der Eingebung, <lb n="pst_017.013"/> und alles, was den Verdacht der Absicht erregen <lb n="pst_017.014"/> könnte, verstimmt auch hier.</p> <lb n="pst_017.015"/> <p> Das ist es, was die Übertragung in fremde Sprachen <lb n="pst_017.016"/> erschwert oder ausschließt. Bei Lautmalereien mag sich <lb n="pst_017.017"/> ein findiger Übersetzer vielleicht behelfen. Ganz unwahrscheinlich <lb n="pst_017.018"/> ist es aber, daß gleichbedeutende Wörter <lb n="pst_017.019"/> verschiedener Sprachen dieselbe lyrische Einheit der <lb n="pst_017.020"/> Laute und ihrer Bedeutung ergeben. Ein Beispiel führt <lb n="pst_017.021"/> Ernst Jünger im «Lobe der Vokale»<note xml:id="PST_017_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_017.029"/> In «Blätter und Steine», Hamburg 1934.</note> an. Es ist die lateinische <lb n="pst_017.022"/> Strophe:</p> <lb n="pst_017.023"/> <lg> <l>«Nulla unda</l> <lb n="pst_017.024"/> <l>Tam profunda</l> <lb n="pst_017.025"/> <l>Quam vis amoris</l> <lb n="pst_017.026"/> <l>Furibunda.»</l> </lg> <lb n="pst_017.027"/> <p>Wenn die Gewalt der Liebe hier mit dem Wasser verglichen <lb n="pst_017.028"/> wird, so beschwören die Reimworte «unda, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [17/0021]
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ernstlich beeinträchtigt sei. Wohl sind nicht alle Gedichte pst_017.002
so empfindlich wie gerade dieses. Aber je lyrischer pst_017.003
ein Gedicht ist, desto unantastbarer ist es. Kaum pst_017.004
wagt man, es vorzulesen, aus Scheu, die Silben, im pst_017.005
Widerspruch zum Ton des Dichters, zu dehnen oder zu pst_017.006
kürzen, zu leise oder zu stark zu betonen. Epische Hexameter pst_017.007
sind viel robuster. Ihr Vortrag ist, in gewissen pst_017.008
Grenzen wenigstens, lernbar. Lyrische Verse aber, pst_017.009
wenn sie schon vorgetragen werden sollen, tönen nur pst_017.010
richtig, sofern sie aus tiefer Versenkung, aus einer pst_017.011
weltabgeschiedenen Stille neu erstehen – selbst wenn es pst_017.012
heitere Verse sind. Sie brauchen den Zauber der Eingebung, pst_017.013
und alles, was den Verdacht der Absicht erregen pst_017.014
könnte, verstimmt auch hier.
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Das ist es, was die Übertragung in fremde Sprachen pst_017.016
erschwert oder ausschließt. Bei Lautmalereien mag sich pst_017.017
ein findiger Übersetzer vielleicht behelfen. Ganz unwahrscheinlich pst_017.018
ist es aber, daß gleichbedeutende Wörter pst_017.019
verschiedener Sprachen dieselbe lyrische Einheit der pst_017.020
Laute und ihrer Bedeutung ergeben. Ein Beispiel führt pst_017.021
Ernst Jünger im «Lobe der Vokale» 1 an. Es ist die lateinische pst_017.022
Strophe:
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«Nulla unda pst_017.024
Tam profunda pst_017.025
Quam vis amoris pst_017.026
Furibunda.»
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Wenn die Gewalt der Liebe hier mit dem Wasser verglichen pst_017.028
wird, so beschwören die Reimworte «unda,
1 pst_017.029
In «Blätter und Steine», Hamburg 1934.
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