Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_227.001 Fühlen - Zeigen - Beweisen: in diesem Sinn erweitert pst_227.015 pst_227.001 Fühlen – Zeigen – Beweisen: in diesem Sinn erweitert pst_227.015 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0231" n="227"/><lb n="pst_227.001"/> dramatischen Sein jedoch wird der Gegenstand gleichsam <lb n="pst_227.002"/> ad acta gelegt. Der Mensch betrachtet nicht, sondern <lb n="pst_227.003"/> beurteilt. Das Maß, der Sinn, die Ordnung, die <lb n="pst_227.004"/> dem Schauenden einst auf seiner epischen Wanderschaft, <lb n="pst_227.005"/> immer anhand der Dinge und Menschen, aufgegangen <lb n="pst_227.006"/> ist, wird nun von den Gegenständen gelöst und an sich, <lb n="pst_227.007"/> abstrakt, erfaßt und behauptet, so, daß Neues einzig <lb n="pst_227.008"/> im Hinblick auf dieses «Vor-urteil» Geltung erlangt. <lb n="pst_227.009"/> Der Weltentwurf hat sich kristallisiert. Die Welt, das <lb n="pst_227.010"/> geistige Selbst, wird «absolut», das bedeutet «abgelöst» <lb n="pst_227.011"/> und in der Ablösung «schlechthin gültig». Von solcher <lb n="pst_227.012"/> Höhe blickt der Dramatiker auf das wechselnde Leben <lb n="pst_227.013"/> hinab.</p> <lb n="pst_227.014"/> <p> Fühlen – Zeigen – Beweisen: in diesem Sinn erweitert <lb n="pst_227.015"/> sich der Abstand. Bedenken wir den abstrakten <lb n="pst_227.016"/> Charakter dramatischer Auffassung des Lebens und <lb n="pst_227.017"/> andrerseits das Innige, Unbeweisbar-Verständliche lyrischer <lb n="pst_227.018"/> Stimmung, so zögern wir nicht länger, das dramatische <lb n="pst_227.019"/> Wesen als Geist, das lyrische aber als Seele zu <lb n="pst_227.020"/> bezeichnen, wie dies bisher schon, ohne die Worte auszuweisen, <lb n="pst_227.021"/> geschehen ist. Doch dürfen wir Geist und <lb n="pst_227.022"/> Seele nicht als Eigenschaften oder Vermögen ansehen, <lb n="pst_227.023"/> die der Mensch besitzt. Auch jede theologische Auslegung <lb n="pst_227.024"/> dieser Begriffe halten wir fern. Was wir Seele <lb n="pst_227.025"/> nennen, hat nichts zu tun mit jenem unsterblichen Teil <lb n="pst_227.026"/> des Menschen, der im Körper wohnt. Was wir als Geist <lb n="pst_227.027"/> bezeichnen, ist nicht ein inneres, von Gott entzündetes <lb n="pst_227.028"/> Licht. Sondern bei beiden handelt es sich um fundamentale <lb n="pst_227.029"/> Seinsmöglichkeiten, die keine andere Wirklichkeit <lb n="pst_227.030"/> haben als das Wie des Seienden, der Gegen- und Zustände, <lb n="pst_227.031"/> die sich erschließen. Seele <hi rendition="#g">ist</hi> die Flüssigkeit </p> </div> </body> </text> </TEI> [227/0231]
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dramatischen Sein jedoch wird der Gegenstand gleichsam pst_227.002
ad acta gelegt. Der Mensch betrachtet nicht, sondern pst_227.003
beurteilt. Das Maß, der Sinn, die Ordnung, die pst_227.004
dem Schauenden einst auf seiner epischen Wanderschaft, pst_227.005
immer anhand der Dinge und Menschen, aufgegangen pst_227.006
ist, wird nun von den Gegenständen gelöst und an sich, pst_227.007
abstrakt, erfaßt und behauptet, so, daß Neues einzig pst_227.008
im Hinblick auf dieses «Vor-urteil» Geltung erlangt. pst_227.009
Der Weltentwurf hat sich kristallisiert. Die Welt, das pst_227.010
geistige Selbst, wird «absolut», das bedeutet «abgelöst» pst_227.011
und in der Ablösung «schlechthin gültig». Von solcher pst_227.012
Höhe blickt der Dramatiker auf das wechselnde Leben pst_227.013
hinab.
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Fühlen – Zeigen – Beweisen: in diesem Sinn erweitert pst_227.015
sich der Abstand. Bedenken wir den abstrakten pst_227.016
Charakter dramatischer Auffassung des Lebens und pst_227.017
andrerseits das Innige, Unbeweisbar-Verständliche lyrischer pst_227.018
Stimmung, so zögern wir nicht länger, das dramatische pst_227.019
Wesen als Geist, das lyrische aber als Seele zu pst_227.020
bezeichnen, wie dies bisher schon, ohne die Worte auszuweisen, pst_227.021
geschehen ist. Doch dürfen wir Geist und pst_227.022
Seele nicht als Eigenschaften oder Vermögen ansehen, pst_227.023
die der Mensch besitzt. Auch jede theologische Auslegung pst_227.024
dieser Begriffe halten wir fern. Was wir Seele pst_227.025
nennen, hat nichts zu tun mit jenem unsterblichen Teil pst_227.026
des Menschen, der im Körper wohnt. Was wir als Geist pst_227.027
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Licht. Sondern bei beiden handelt es sich um fundamentale pst_227.029
Seinsmöglichkeiten, die keine andere Wirklichkeit pst_227.030
haben als das Wie des Seienden, der Gegen- und Zustände, pst_227.031
die sich erschließen. Seele ist die Flüssigkeit
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