über der regelmäßigen Einnahme aus der capitallosen Arbeit die Ca- pitalbildung, und damit das Aufsteigen vom Nichtbesitz zum Besitze hindert oder unmöglich macht.
An sich ist nun weder die wirthschaftliche noch die gesellschaftliche Theurung ein Gegenstand der Verwaltung. Sie weiß und muß wissen, daß sie in die Preisordnung weder eingreifen kann noch soll. Eine Thätigkeit der Verwaltung daher, welche die capitallose Arbeit vor derselben schützt, kann daher nur da denkbar sein, wo ganz be- stimmte örtliche Gründe ganz bestimmte Theurungszustände hervor- rufen. Diese ganz bestimmten Gründe nun liegen in derjenigen Zu- nahme der örtlichen Consumtion, welche stärker ist, als das durch die damit entstehende Nachfrage gegebene Zuströmen des Angebots. Das ist der Fall bei rasch entstehender örtlicher Dichtigkeit der Bevöl- kerung, also namentlich in den großen Städten. Hier kann die Ver- waltung helfen; so wie daher die großen Städte entstehen, entsteht auch der Kampf mit der Theurung, oder das was wir die Theu- rungspolizei nennen.
Die Theurungspolizei hat zwei ganz bestimmt geschiedene Epochen, deren erste jetzt im Wesentlichen als eine überwundene angesehen wer- den darf.
Die erste Epoche geht von der Vorstellung aus, daß die Theu- rung theils durch das Interesse des Handels, theils durch dasjenige der für die Bedürfnisse producirenden Gewerbe wesentlich erzeugt werde. Aus der ersten Vorstellung entstehen die Ausfuhrverbote für die Länder im Ganzen, und die polizeilichen Verbote und Verfolgungen der Vor- und Aufkäuferei für die einzelnen größeren Städte; aus dem zweiten Gesichtspunkt dagegen die Taxen, und zwar die Brod-, Fleisch-, Wein- und Biertaxen, welche für ein bestimmtes Maß einen bestimmten Preis setzen. Beide Systeme gehören wesentlich dem siebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert, und die Ortsgesetze sind voll von dahin zielenden Bestimmungen.
Das ganze System wird nun zuerst dem Princip nach ange- griffen durch die physiokratische Schule. Ihr großer Gedanke ist der, daß die Freiheit in der Bewegung des Handels und des Gewerbes das einzige Heilmittel gegen die Theurung sei. Die Schule von Ad. Smith führt denselben dahin aus, daß die Gesetze, welche Werth und Preis bestimmen, absolut sind, und daß das Erreichbare sich von selbst regelt, wenn man nicht polizeilich eingreift. Damit beginnt dann das allmählige Verschwinden des ganzen Verbots- und Taxwesens mit unserem Jahrhundert. Allein zugleich ist die Zunahme der großen Städte so bedeutend, daß die örtliche Theurung in Verbindung mit
über der regelmäßigen Einnahme aus der capitalloſen Arbeit die Ca- pitalbildung, und damit das Aufſteigen vom Nichtbeſitz zum Beſitze hindert oder unmöglich macht.
An ſich iſt nun weder die wirthſchaftliche noch die geſellſchaftliche Theurung ein Gegenſtand der Verwaltung. Sie weiß und muß wiſſen, daß ſie in die Preisordnung weder eingreifen kann noch ſoll. Eine Thätigkeit der Verwaltung daher, welche die capitalloſe Arbeit vor derſelben ſchützt, kann daher nur da denkbar ſein, wo ganz be- ſtimmte örtliche Gründe ganz beſtimmte Theurungszuſtände hervor- rufen. Dieſe ganz beſtimmten Gründe nun liegen in derjenigen Zu- nahme der örtlichen Conſumtion, welche ſtärker iſt, als das durch die damit entſtehende Nachfrage gegebene Zuſtrömen des Angebots. Das iſt der Fall bei raſch entſtehender örtlicher Dichtigkeit der Bevöl- kerung, alſo namentlich in den großen Städten. Hier kann die Ver- waltung helfen; ſo wie daher die großen Städte entſtehen, entſteht auch der Kampf mit der Theurung, oder das was wir die Theu- rungspolizei nennen.
Die Theurungspolizei hat zwei ganz beſtimmt geſchiedene Epochen, deren erſte jetzt im Weſentlichen als eine überwundene angeſehen wer- den darf.
Die erſte Epoche geht von der Vorſtellung aus, daß die Theu- rung theils durch das Intereſſe des Handels, theils durch dasjenige der für die Bedürfniſſe producirenden Gewerbe weſentlich erzeugt werde. Aus der erſten Vorſtellung entſtehen die Ausfuhrverbote für die Länder im Ganzen, und die polizeilichen Verbote und Verfolgungen der Vor- und Aufkäuferei für die einzelnen größeren Städte; aus dem zweiten Geſichtspunkt dagegen die Taxen, und zwar die Brod-, Fleiſch-, Wein- und Biertaxen, welche für ein beſtimmtes Maß einen beſtimmten Preis ſetzen. Beide Syſteme gehören weſentlich dem ſiebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert, und die Ortsgeſetze ſind voll von dahin zielenden Beſtimmungen.
Das ganze Syſtem wird nun zuerſt dem Princip nach ange- griffen durch die phyſiokratiſche Schule. Ihr großer Gedanke iſt der, daß die Freiheit in der Bewegung des Handels und des Gewerbes das einzige Heilmittel gegen die Theurung ſei. Die Schule von Ad. Smith führt denſelben dahin aus, daß die Geſetze, welche Werth und Preis beſtimmen, abſolut ſind, und daß das Erreichbare ſich von ſelbſt regelt, wenn man nicht polizeilich eingreift. Damit beginnt dann das allmählige Verſchwinden des ganzen Verbots- und Taxweſens mit unſerem Jahrhundert. Allein zugleich iſt die Zunahme der großen Städte ſo bedeutend, daß die örtliche Theurung in Verbindung mit
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über der regelmäßigen Einnahme aus der capitalloſen Arbeit die Ca-
pitalbildung, und damit das Aufſteigen vom Nichtbeſitz zum
Beſitze hindert oder unmöglich macht.
An ſich iſt nun weder die wirthſchaftliche noch die geſellſchaftliche
Theurung ein Gegenſtand der Verwaltung. Sie weiß und muß
wiſſen, daß ſie in die Preisordnung weder eingreifen kann noch ſoll.
Eine Thätigkeit der Verwaltung daher, welche die capitalloſe Arbeit
vor derſelben ſchützt, kann daher nur da denkbar ſein, wo ganz be-
ſtimmte örtliche Gründe ganz beſtimmte Theurungszuſtände hervor-
rufen. Dieſe ganz beſtimmten Gründe nun liegen in derjenigen Zu-
nahme der örtlichen Conſumtion, welche ſtärker iſt, als das durch
die damit entſtehende Nachfrage gegebene Zuſtrömen des Angebots.
Das iſt der Fall bei raſch entſtehender örtlicher Dichtigkeit der Bevöl-
kerung, alſo namentlich in den großen Städten. Hier kann die Ver-
waltung helfen; ſo wie daher die großen Städte entſtehen, entſteht
auch der Kampf mit der Theurung, oder das was wir die Theu-
rungspolizei nennen.
Die Theurungspolizei hat zwei ganz beſtimmt geſchiedene Epochen,
deren erſte jetzt im Weſentlichen als eine überwundene angeſehen wer-
den darf.
Die erſte Epoche geht von der Vorſtellung aus, daß die Theu-
rung theils durch das Intereſſe des Handels, theils durch dasjenige
der für die Bedürfniſſe producirenden Gewerbe weſentlich erzeugt werde.
Aus der erſten Vorſtellung entſtehen die Ausfuhrverbote für die
Länder im Ganzen, und die polizeilichen Verbote und Verfolgungen
der Vor- und Aufkäuferei für die einzelnen größeren Städte; aus
dem zweiten Geſichtspunkt dagegen die Taxen, und zwar die Brod-,
Fleiſch-, Wein- und Biertaxen, welche für ein beſtimmtes Maß
einen beſtimmten Preis ſetzen. Beide Syſteme gehören weſentlich dem
ſiebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert, und die Ortsgeſetze ſind
voll von dahin zielenden Beſtimmungen.
Das ganze Syſtem wird nun zuerſt dem Princip nach ange-
griffen durch die phyſiokratiſche Schule. Ihr großer Gedanke iſt der,
daß die Freiheit in der Bewegung des Handels und des Gewerbes
das einzige Heilmittel gegen die Theurung ſei. Die Schule von Ad.
Smith führt denſelben dahin aus, daß die Geſetze, welche Werth und
Preis beſtimmen, abſolut ſind, und daß das Erreichbare ſich von
ſelbſt regelt, wenn man nicht polizeilich eingreift. Damit beginnt
dann das allmählige Verſchwinden des ganzen Verbots- und Taxweſens
mit unſerem Jahrhundert. Allein zugleich iſt die Zunahme der großen
Städte ſo bedeutend, daß die örtliche Theurung in Verbindung mit
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/439>, abgerufen am 22.11.2024.
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