dem Drucke, den das Capital auf die Arbeit übt, dennoch eine Ge- fahr der Verarmung erhält. Man beginnt zu erkennen, daß die Ver- kehrs- und Gewerbefreiheit doch nur negative Maßregeln sind; und so entsteht der zweite, aber positive Gedanke dieser Epoche, die Ver- sorgung der großen Städte. Dieselbe ist als Princip anerkannt, als Ausführung noch sehr im Werden. Die letztere hat ihrerseits wieder zwei Stadien und Grundformen; die erste beginnt, den Markt der Nahrungsmittel zum Gegenstande der Verwaltung zu machen, indem sie öffentliche Marktanstalten, Markthallen, Fleischschränke u. s. w. herstellt; diese gehören ihrer Natur nach der Selbstverwaltung und sind städtische Anstalten. Die zweite ist noch kaum begonnen. Ihr Inhalt ist die Herstellung der Versorgung der Städte durch große Ver- sorgungsunternehmungen als Aktiengesellschaften, die wieder erst dann, wenn sie sich auf die einzelnen Zweige beschränken, das Bedeu- tende leisten. Die Schwierigkeit solcher Unternehmungen hat sie bisher zurückgehalten; dagegen bricht sich eine zweite Richtung immer be- stimmter Bahn. Das ist die Herstellung von Arbeiterwohnungen durch Aktienunternehmungen, die ihrer Natur nach örtlich, dennoch für die ganze gesellschaftliche Bewegung die höchste Bedeutung haben, und vielleicht unter allen derartigen Unternehmungen am deutlichsten be- weisen, daß die Harmonie der Interessen auch zwischen Capital und Arbeit nur einer praktischen Lösung harrt, um zur vollen Geltung zu gelangen.
Es hat doch lange Zeit gedauert, bis die Culturvölker von dem System der polizeilichen Taxordnungen zu der Freiheit im Verkehr, und wieder von dieser zur Herstellung positiver Maßregeln geschritten sind. Immer aber ist aller- dings die ganze Theurungs- und Taxpolizei als Aufgabe der städtischen Selbst- verwaltung angesehen worden. Das System der Hauptvölker ist dabei ein wesentlich verschiedenes. -- England hat sich einfach mit völliger Aufhebung sowohl der Brodtaxen (seit 1815) als der Einfuhrzölle auf Nahrungsmittel be- gnügt (mit Ausnahme von Malz, Spiritus und Zucker) und es dem freien Verkehr allein überlassen, die Preise zu regeln. -- Frankreich dagegen hat ein sehr bedeutsames System von positiven Maßregeln aufgestellt, das nach Aufhebung der Brodtaxen durch Decret vom 21. Juli 1863 noch drei Theile hat, aber freilich hier wie immer fast nur auf Paris berechnet ist: die Fleisch- kasse, die Bäckerkasse und die Markthallen (die kürzeste und klarste Dar- stellung der beiden ersten bei Block, Dict. v. Boucherie und Boulangerie; die Markthallen bei Th. Risch, Bericht über Markthallen 1867. S. 48 und öfter). -- In Deutschland ist man formell über das Taxwesen noch nicht hinaus, obwohl es der Sache nach wohl ohne praktische Bedeutung ist. Die theoretische Begründung schon im vorigen Jahrhundert: Justi, Polizeiwesen I. 715, BergVII.;erste systematische Behandlung der "Theurungspolizei"
dem Drucke, den das Capital auf die Arbeit übt, dennoch eine Ge- fahr der Verarmung erhält. Man beginnt zu erkennen, daß die Ver- kehrs- und Gewerbefreiheit doch nur negative Maßregeln ſind; und ſo entſteht der zweite, aber poſitive Gedanke dieſer Epoche, die Ver- ſorgung der großen Städte. Dieſelbe iſt als Princip anerkannt, als Ausführung noch ſehr im Werden. Die letztere hat ihrerſeits wieder zwei Stadien und Grundformen; die erſte beginnt, den Markt der Nahrungsmittel zum Gegenſtande der Verwaltung zu machen, indem ſie öffentliche Marktanſtalten, Markthallen, Fleiſchſchränke u. ſ. w. herſtellt; dieſe gehören ihrer Natur nach der Selbſtverwaltung und ſind ſtädtiſche Anſtalten. Die zweite iſt noch kaum begonnen. Ihr Inhalt iſt die Herſtellung der Verſorgung der Städte durch große Ver- ſorgungsunternehmungen als Aktiengeſellſchaften, die wieder erſt dann, wenn ſie ſich auf die einzelnen Zweige beſchränken, das Bedeu- tende leiſten. Die Schwierigkeit ſolcher Unternehmungen hat ſie bisher zurückgehalten; dagegen bricht ſich eine zweite Richtung immer be- ſtimmter Bahn. Das iſt die Herſtellung von Arbeiterwohnungen durch Aktienunternehmungen, die ihrer Natur nach örtlich, dennoch für die ganze geſellſchaftliche Bewegung die höchſte Bedeutung haben, und vielleicht unter allen derartigen Unternehmungen am deutlichſten be- weiſen, daß die Harmonie der Intereſſen auch zwiſchen Capital und Arbeit nur einer praktiſchen Löſung harrt, um zur vollen Geltung zu gelangen.
Es hat doch lange Zeit gedauert, bis die Culturvölker von dem Syſtem der polizeilichen Taxordnungen zu der Freiheit im Verkehr, und wieder von dieſer zur Herſtellung poſitiver Maßregeln geſchritten ſind. Immer aber iſt aller- dings die ganze Theurungs- und Taxpolizei als Aufgabe der ſtädtiſchen Selbſt- verwaltung angeſehen worden. Das Syſtem der Hauptvölker iſt dabei ein weſentlich verſchiedenes. — England hat ſich einfach mit völliger Aufhebung ſowohl der Brodtaxen (ſeit 1815) als der Einfuhrzölle auf Nahrungsmittel be- gnügt (mit Ausnahme von Malz, Spiritus und Zucker) und es dem freien Verkehr allein überlaſſen, die Preiſe zu regeln. — Frankreich dagegen hat ein ſehr bedeutſames Syſtem von poſitiven Maßregeln aufgeſtellt, das nach Aufhebung der Brodtaxen durch Decret vom 21. Juli 1863 noch drei Theile hat, aber freilich hier wie immer faſt nur auf Paris berechnet iſt: die Fleiſch- kaſſe, die Bäckerkaſſe und die Markthallen (die kürzeſte und klarſte Dar- ſtellung der beiden erſten bei Block, Dict. v. Boucherie und Boulangerie; die Markthallen bei Th. Riſch, Bericht über Markthallen 1867. S. 48 und öfter). — In Deutſchland iſt man formell über das Taxweſen noch nicht hinaus, obwohl es der Sache nach wohl ohne praktiſche Bedeutung iſt. Die theoretiſche Begründung ſchon im vorigen Jahrhundert: Juſti, Polizeiweſen I. 715, BergVII.;erſte ſyſtematiſche Behandlung der „Theurungspolizei“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0440"n="416"/>
dem Drucke, den das Capital auf die Arbeit übt, dennoch eine Ge-<lb/>
fahr der Verarmung erhält. Man beginnt zu erkennen, daß die Ver-<lb/>
kehrs- und Gewerbefreiheit doch nur negative Maßregeln ſind; und ſo<lb/>
entſteht der zweite, aber poſitive Gedanke dieſer Epoche, die <hirendition="#g">Ver-<lb/>ſorgung der großen Städte</hi>. Dieſelbe iſt als Princip anerkannt,<lb/>
als Ausführung noch ſehr im Werden. Die letztere hat ihrerſeits wieder<lb/><hirendition="#g">zwei</hi> Stadien und Grundformen; die <hirendition="#g">erſte</hi> beginnt, den <hirendition="#g">Markt</hi> der<lb/>
Nahrungsmittel zum Gegenſtande der Verwaltung zu machen, indem<lb/>ſie öffentliche <hirendition="#g">Marktanſtalten</hi>, Markthallen, Fleiſchſchränke u. ſ. w.<lb/>
herſtellt; dieſe gehören ihrer Natur nach der Selbſtverwaltung und<lb/>ſind ſtädtiſche Anſtalten. Die <hirendition="#g">zweite</hi> iſt noch kaum begonnen. Ihr<lb/>
Inhalt iſt die Herſtellung der Verſorgung der Städte durch große Ver-<lb/>ſorgungsunternehmungen als <hirendition="#g">Aktiengeſellſchaften</hi>, die wieder erſt<lb/>
dann, wenn ſie ſich auf die einzelnen Zweige beſchränken, das Bedeu-<lb/>
tende leiſten. Die Schwierigkeit ſolcher Unternehmungen hat ſie bisher<lb/>
zurückgehalten; dagegen bricht ſich eine zweite Richtung immer be-<lb/>ſtimmter Bahn. Das iſt die Herſtellung von <hirendition="#g">Arbeiterwohnungen</hi><lb/>
durch Aktienunternehmungen, die ihrer Natur nach örtlich, dennoch für<lb/>
die ganze geſellſchaftliche Bewegung die höchſte Bedeutung haben, und<lb/>
vielleicht unter allen derartigen Unternehmungen am deutlichſten be-<lb/>
weiſen, daß die Harmonie der Intereſſen auch zwiſchen Capital und<lb/>
Arbeit nur einer <hirendition="#g">praktiſchen</hi> Löſung harrt, um zur vollen Geltung<lb/>
zu gelangen.</p><lb/><p>Es hat doch lange Zeit gedauert, bis die Culturvölker von dem Syſtem<lb/>
der polizeilichen Taxordnungen zu der Freiheit im Verkehr, und wieder von<lb/>
dieſer zur Herſtellung poſitiver Maßregeln geſchritten ſind. Immer aber iſt aller-<lb/>
dings die ganze Theurungs- und Taxpolizei als Aufgabe der ſtädtiſchen Selbſt-<lb/>
verwaltung angeſehen worden. Das Syſtem der Hauptvölker iſt dabei ein<lb/>
weſentlich verſchiedenes. —<hirendition="#g">England</hi> hat ſich einfach mit völliger <hirendition="#g">Aufhebung</hi><lb/>ſowohl der Brodtaxen (ſeit 1815) als der Einfuhrzölle auf Nahrungsmittel be-<lb/>
gnügt (mit Ausnahme von Malz, Spiritus und Zucker) und es dem freien<lb/>
Verkehr allein überlaſſen, die Preiſe zu regeln. —<hirendition="#g">Frankreich</hi> dagegen hat<lb/>
ein ſehr bedeutſames Syſtem von poſitiven Maßregeln aufgeſtellt, das nach<lb/>
Aufhebung der Brodtaxen durch Decret vom 21. Juli 1863 noch <hirendition="#g">drei</hi> Theile<lb/>
hat, aber freilich hier wie immer faſt nur <hirendition="#g">auf Paris</hi> berechnet iſt: die <hirendition="#g">Fleiſch-<lb/>
kaſſe</hi>, die <hirendition="#g">Bäckerkaſſe</hi> und die <hirendition="#g">Markthallen</hi> (die kürzeſte und klarſte Dar-<lb/>ſtellung der beiden erſten bei <hirendition="#g">Block</hi>, <hirendition="#aq">Dict. v. Boucherie</hi> und <hirendition="#aq">Boulangerie;</hi><lb/>
die Markthallen bei <hirendition="#g">Th. Riſch</hi>, Bericht über Markthallen 1867. S. 48 und<lb/>
öfter). — In <hirendition="#g">Deutſchland</hi> iſt man formell über das Taxweſen noch nicht<lb/>
hinaus, obwohl es der Sache nach wohl ohne praktiſche Bedeutung iſt. Die<lb/>
theoretiſche Begründung ſchon im vorigen Jahrhundert: <hirendition="#g">Juſti</hi>, Polizeiweſen<lb/><hirendition="#aq">I.</hi> 715, <hirendition="#g">Berg</hi><hirendition="#aq">VII.;</hi><hirendition="#g">erſte</hi>ſyſtematiſche Behandlung der „Theurungspolizei“<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[416/0440]
dem Drucke, den das Capital auf die Arbeit übt, dennoch eine Ge-
fahr der Verarmung erhält. Man beginnt zu erkennen, daß die Ver-
kehrs- und Gewerbefreiheit doch nur negative Maßregeln ſind; und ſo
entſteht der zweite, aber poſitive Gedanke dieſer Epoche, die Ver-
ſorgung der großen Städte. Dieſelbe iſt als Princip anerkannt,
als Ausführung noch ſehr im Werden. Die letztere hat ihrerſeits wieder
zwei Stadien und Grundformen; die erſte beginnt, den Markt der
Nahrungsmittel zum Gegenſtande der Verwaltung zu machen, indem
ſie öffentliche Marktanſtalten, Markthallen, Fleiſchſchränke u. ſ. w.
herſtellt; dieſe gehören ihrer Natur nach der Selbſtverwaltung und
ſind ſtädtiſche Anſtalten. Die zweite iſt noch kaum begonnen. Ihr
Inhalt iſt die Herſtellung der Verſorgung der Städte durch große Ver-
ſorgungsunternehmungen als Aktiengeſellſchaften, die wieder erſt
dann, wenn ſie ſich auf die einzelnen Zweige beſchränken, das Bedeu-
tende leiſten. Die Schwierigkeit ſolcher Unternehmungen hat ſie bisher
zurückgehalten; dagegen bricht ſich eine zweite Richtung immer be-
ſtimmter Bahn. Das iſt die Herſtellung von Arbeiterwohnungen
durch Aktienunternehmungen, die ihrer Natur nach örtlich, dennoch für
die ganze geſellſchaftliche Bewegung die höchſte Bedeutung haben, und
vielleicht unter allen derartigen Unternehmungen am deutlichſten be-
weiſen, daß die Harmonie der Intereſſen auch zwiſchen Capital und
Arbeit nur einer praktiſchen Löſung harrt, um zur vollen Geltung
zu gelangen.
Es hat doch lange Zeit gedauert, bis die Culturvölker von dem Syſtem
der polizeilichen Taxordnungen zu der Freiheit im Verkehr, und wieder von
dieſer zur Herſtellung poſitiver Maßregeln geſchritten ſind. Immer aber iſt aller-
dings die ganze Theurungs- und Taxpolizei als Aufgabe der ſtädtiſchen Selbſt-
verwaltung angeſehen worden. Das Syſtem der Hauptvölker iſt dabei ein
weſentlich verſchiedenes. — England hat ſich einfach mit völliger Aufhebung
ſowohl der Brodtaxen (ſeit 1815) als der Einfuhrzölle auf Nahrungsmittel be-
gnügt (mit Ausnahme von Malz, Spiritus und Zucker) und es dem freien
Verkehr allein überlaſſen, die Preiſe zu regeln. — Frankreich dagegen hat
ein ſehr bedeutſames Syſtem von poſitiven Maßregeln aufgeſtellt, das nach
Aufhebung der Brodtaxen durch Decret vom 21. Juli 1863 noch drei Theile
hat, aber freilich hier wie immer faſt nur auf Paris berechnet iſt: die Fleiſch-
kaſſe, die Bäckerkaſſe und die Markthallen (die kürzeſte und klarſte Dar-
ſtellung der beiden erſten bei Block, Dict. v. Boucherie und Boulangerie;
die Markthallen bei Th. Riſch, Bericht über Markthallen 1867. S. 48 und
öfter). — In Deutſchland iſt man formell über das Taxweſen noch nicht
hinaus, obwohl es der Sache nach wohl ohne praktiſche Bedeutung iſt. Die
theoretiſche Begründung ſchon im vorigen Jahrhundert: Juſti, Polizeiweſen
I. 715, Berg VII.; erſte ſyſtematiſche Behandlung der „Theurungspolizei“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/440>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.