Rechte und zum Theil bloß historischer Erinnerungen enthalten, welche meistens nur den allgemeinen Zusammenhang der Gegenwart mit der Vergangenheit, zuweilen aber auch ganz bestimmte Richtungen und Rechtsansprüche bedeuten, an denen selbst die Masse unter Umständen hängen kann.
Demgemäß kann man das Würdensystem bei den drei großen Kultur- völkern in folgender Weise charakterisiren.
In England organisiren sich nach langem Kampfe die Elemente der ständischen und der staatsbürgerlichen Gesellschaft so, daß beide in zwei selbständigen Körpern -- Oberhaus und Unterhaus -- Gesetzgebung und Verwaltung theilen, und dem Königthum wie in der Geschlechter- ordnung nur die abstrakte Idee des Staats übrig lassen. Die Selb- ständigkeit der Länder verschwindet in dieser Einheit aller ständischen und staatsbürgerlichen Elemente, da mit ihr jeder Gegensatz zwischen Königthum und Gesellschaft aufgehoben ist in der völligen Herrschaft der letzteren über das ganze Staatsleben, und so gibt es hier mit dem Mangel der Länder und Landstände auch keine Landeswürden. Die gänzliche Aufhebung jeder eigentlichen Funktion des selbständigen König- thums, welche die gesellschaftlichen Körper an sich genommen, läßt da- mit auch das Auftreten selbständiger, von dieser gesellschaftlichen Herr- schaft unabhängiger, nur vom Königthum gesetzter Hof- und Staats- würden nicht zu; auch diese fallen der gesellschaftlichen Herrschaft, die das Parlament ausübt, unbedingt zu, und so entsteht das Princip, das diese Verhältnisse in England charakterisirt und sie für den Continent so oft unverständlich macht. Die höchsten Würden sind zugleich die höchsten Aemter, wie im Geschlechterkönigthum. Diese höchsten Aemter behalten aber den Namen der Würden; sie nehmen den Namen der Minister nicht an, wodurch das höchste Amtssystem in England von dem des Continents so verschieden zu sein scheint. Sie dürfen eben deßhalb auch das Princip der Erblichkeit dieser Würden nicht anerkennen, weil die Aemter mit den Parteien wechseln. Das Königthum ist daher stets mit seinen höchsten Aemtern als System seiner Hof- und Staats- würden umgeben, so daß es hier kein System selbständiger Würden- träger gibt. Das englische Staatsleben hat für diesen Mangel sich einen Ersatz gesucht, und ihn gefunden in den königlichen Orden, namentlich dem Hosenbandorden. Die ganze Stellung dieses Ordens ist in England eben darum so wesentlich -- wir möchten sagen seinem Inhalt nach -- verschieden von allen übrigen Orden der Welt; denn die Organisation des Hosenbandordens ist ein, wenn auch sehr unvoll- kommener und ohne die obigen Voraussetzungen unverständlicher Ersatz für das Bedürfniß nach dem Reichs- und Hofwürdensystem. Wir können
Rechte und zum Theil bloß hiſtoriſcher Erinnerungen enthalten, welche meiſtens nur den allgemeinen Zuſammenhang der Gegenwart mit der Vergangenheit, zuweilen aber auch ganz beſtimmte Richtungen und Rechtsanſprüche bedeuten, an denen ſelbſt die Maſſe unter Umſtänden hängen kann.
Demgemäß kann man das Würdenſyſtem bei den drei großen Kultur- völkern in folgender Weiſe charakteriſiren.
In England organiſiren ſich nach langem Kampfe die Elemente der ſtändiſchen und der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ſo, daß beide in zwei ſelbſtändigen Körpern — Oberhaus und Unterhaus — Geſetzgebung und Verwaltung theilen, und dem Königthum wie in der Geſchlechter- ordnung nur die abſtrakte Idee des Staats übrig laſſen. Die Selb- ſtändigkeit der Länder verſchwindet in dieſer Einheit aller ſtändiſchen und ſtaatsbürgerlichen Elemente, da mit ihr jeder Gegenſatz zwiſchen Königthum und Geſellſchaft aufgehoben iſt in der völligen Herrſchaft der letzteren über das ganze Staatsleben, und ſo gibt es hier mit dem Mangel der Länder und Landſtände auch keine Landeswürden. Die gänzliche Aufhebung jeder eigentlichen Funktion des ſelbſtändigen König- thums, welche die geſellſchaftlichen Körper an ſich genommen, läßt da- mit auch das Auftreten ſelbſtändiger, von dieſer geſellſchaftlichen Herr- ſchaft unabhängiger, nur vom Königthum geſetzter Hof- und Staats- würden nicht zu; auch dieſe fallen der geſellſchaftlichen Herrſchaft, die das Parlament ausübt, unbedingt zu, und ſo entſteht das Princip, das dieſe Verhältniſſe in England charakteriſirt und ſie für den Continent ſo oft unverſtändlich macht. Die höchſten Würden ſind zugleich die höchſten Aemter, wie im Geſchlechterkönigthum. Dieſe höchſten Aemter behalten aber den Namen der Würden; ſie nehmen den Namen der Miniſter nicht an, wodurch das höchſte Amtsſyſtem in England von dem des Continents ſo verſchieden zu ſein ſcheint. Sie dürfen eben deßhalb auch das Princip der Erblichkeit dieſer Würden nicht anerkennen, weil die Aemter mit den Parteien wechſeln. Das Königthum iſt daher ſtets mit ſeinen höchſten Aemtern als Syſtem ſeiner Hof- und Staats- würden umgeben, ſo daß es hier kein Syſtem ſelbſtändiger Würden- träger gibt. Das engliſche Staatsleben hat für dieſen Mangel ſich einen Erſatz geſucht, und ihn gefunden in den königlichen Orden, namentlich dem Hoſenbandorden. Die ganze Stellung dieſes Ordens iſt in England eben darum ſo weſentlich — wir möchten ſagen ſeinem Inhalt nach — verſchieden von allen übrigen Orden der Welt; denn die Organiſation des Hoſenbandordens iſt ein, wenn auch ſehr unvoll- kommener und ohne die obigen Vorausſetzungen unverſtändlicher Erſatz für das Bedürfniß nach dem Reichs- und Hofwürdenſyſtem. Wir können
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Rechte und zum Theil bloß hiſtoriſcher Erinnerungen enthalten, welche
meiſtens nur den allgemeinen Zuſammenhang der Gegenwart mit
der Vergangenheit, zuweilen aber auch ganz beſtimmte Richtungen und
Rechtsanſprüche bedeuten, an denen ſelbſt die Maſſe unter Umſtänden
hängen kann.
Demgemäß kann man das Würdenſyſtem bei den drei großen Kultur-
völkern in folgender Weiſe charakteriſiren.
In England organiſiren ſich nach langem Kampfe die Elemente
der ſtändiſchen und der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ſo, daß beide in
zwei ſelbſtändigen Körpern — Oberhaus und Unterhaus — Geſetzgebung
und Verwaltung theilen, und dem Königthum wie in der Geſchlechter-
ordnung nur die abſtrakte Idee des Staats übrig laſſen. Die Selb-
ſtändigkeit der Länder verſchwindet in dieſer Einheit aller ſtändiſchen
und ſtaatsbürgerlichen Elemente, da mit ihr jeder Gegenſatz zwiſchen
Königthum und Geſellſchaft aufgehoben iſt in der völligen Herrſchaft
der letzteren über das ganze Staatsleben, und ſo gibt es hier mit dem
Mangel der Länder und Landſtände auch keine Landeswürden. Die
gänzliche Aufhebung jeder eigentlichen Funktion des ſelbſtändigen König-
thums, welche die geſellſchaftlichen Körper an ſich genommen, läßt da-
mit auch das Auftreten ſelbſtändiger, von dieſer geſellſchaftlichen Herr-
ſchaft unabhängiger, nur vom Königthum geſetzter Hof- und Staats-
würden nicht zu; auch dieſe fallen der geſellſchaftlichen Herrſchaft, die
das Parlament ausübt, unbedingt zu, und ſo entſteht das Princip,
das dieſe Verhältniſſe in England charakteriſirt und ſie für den Continent
ſo oft unverſtändlich macht. Die höchſten Würden ſind zugleich die
höchſten Aemter, wie im Geſchlechterkönigthum. Dieſe höchſten Aemter
behalten aber den Namen der Würden; ſie nehmen den Namen der
Miniſter nicht an, wodurch das höchſte Amtsſyſtem in England von
dem des Continents ſo verſchieden zu ſein ſcheint. Sie dürfen eben
deßhalb auch das Princip der Erblichkeit dieſer Würden nicht anerkennen,
weil die Aemter mit den Parteien wechſeln. Das Königthum iſt daher
ſtets mit ſeinen höchſten Aemtern als Syſtem ſeiner Hof- und Staats-
würden umgeben, ſo daß es hier kein Syſtem ſelbſtändiger Würden-
träger gibt. Das engliſche Staatsleben hat für dieſen Mangel ſich
einen Erſatz geſucht, und ihn gefunden in den königlichen Orden,
namentlich dem Hoſenbandorden. Die ganze Stellung dieſes Ordens
iſt in England eben darum ſo weſentlich — wir möchten ſagen ſeinem
Inhalt nach — verſchieden von allen übrigen Orden der Welt; denn
die Organiſation des Hoſenbandordens iſt ein, wenn auch ſehr unvoll-
kommener und ohne die obigen Vorausſetzungen unverſtändlicher Erſatz
für das Bedürfniß nach dem Reichs- und Hofwürdenſyſtem. Wir können
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/289>, abgerufen am 22.11.2024.
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