dieß bisher so wenig bekannte Gebiet mit den übrigen Staatswissen- schaften in innere Verbindung gebracht wird. Denn es ist keineswegs zufällig, daß wir bisher einer Geschichte der Verwaltungslehre fast ganz entbehren. Kein Ding hat eine Geschichte, dessen innerer Zusammenhang mit dem Ganzen nicht klar ist, denn dieser Zusammenhang ist in Wahr- heit das Leben des einzelnen Dinges. Dieß Leben aber hat der histori- schen Auffassung der Verwaltung gefehlt. Es kommt darauf an, ihr dasselbe wiederzugeben. Der Weg dazu liegt offen. Eine andere Bele- bung der Verwaltungslehre als die durch den organischen und ethischen Zusammenhang mit der Staatsidee giebt es nicht. Keine Biblio- graphie, keine Summe von einzelnen Bemerkungen, vermag dieß ent- scheidende Element zu ersetzen. Wenn es uns gelänge, dieß auch nur im Großen und Ganzen klar zu machen und festzustellen, so würden wir glauben, etwas gewonnen zu haben.
Es wird nun dieß erleichtert durch die große Einfachheit jener bei- den Grundformen und durch die Klarheit, mit der sich die Richtung der Verwaltungslehre im Großen und Ganzen an dieselben anschließt.
Der Wohlfahrtsstaat, oder die eudämonistische Staats- idee ist trotz der vielfachen Trivialitäten, die ihn einst der öffentlichen Bildung so leicht verständlich und dann, als dieselbe sich gehoben hatte, fast lächerlich machten, eine der merkwürdigsten, und, wir sprechen es unbedenklich aus, eine der hochachtbarsten Erscheinungen in der Ge- schichte des geistigen und concreten Staatslebens. Die streng dialek- tische Philosophie der folgenden Zeit hat es sich zwar zur Regel ge- macht, mit einem gewissen Hochmuth auf sie herabzusehen, ja ihr die Berechtigung, eine philosophische Lehre zu sein, zum Theil geradezu ab- zusprechen. Es ist Zeit, daß wir diesen ebenso einseitigen und eingebil- deten, als verkehrten Standpunkt aufgeben. Am ersten sollten die Deutschen bereit sein, das zu thun. Denn jene eudämonistische Staats- idee ist eine specifisch deutsche Auffassung des Staats, und wir stehen keinen Augenblick an, zu behaupten, daß dieselbe unter allem dem was Deutschland geleistet hat, dem deutschen Geiste mit am meisten zur Ehre gereicht. Freilich ist es vor allem die Beziehung der- selben zur Verwaltung, welche ihr ihre wahre Bedeutung gegeben hat. Und der Mangel an einer Geschichte der letzteren mag zur Ursache des Mangels des Verständnisses der ersteren geworden sein.
Der Grundgedanke der eudämonistischen Staatsidee ist einfach. Der Staat ist dazu da, um durch die in ihm vereinigte Macht in geistiger wie in materieller Beziehung die Wohlfahrt aller Staats- angehörigen zu fördern. Vergleicht man diesen Gedanken mit der platonischen Republik und ihrer starren, das Individuum dem harmonischen
dieß bisher ſo wenig bekannte Gebiet mit den übrigen Staatswiſſen- ſchaften in innere Verbindung gebracht wird. Denn es iſt keineswegs zufällig, daß wir bisher einer Geſchichte der Verwaltungslehre faſt ganz entbehren. Kein Ding hat eine Geſchichte, deſſen innerer Zuſammenhang mit dem Ganzen nicht klar iſt, denn dieſer Zuſammenhang iſt in Wahr- heit das Leben des einzelnen Dinges. Dieß Leben aber hat der hiſtori- ſchen Auffaſſung der Verwaltung gefehlt. Es kommt darauf an, ihr daſſelbe wiederzugeben. Der Weg dazu liegt offen. Eine andere Bele- bung der Verwaltungslehre als die durch den organiſchen und ethiſchen Zuſammenhang mit der Staatsidee giebt es nicht. Keine Biblio- graphie, keine Summe von einzelnen Bemerkungen, vermag dieß ent- ſcheidende Element zu erſetzen. Wenn es uns gelänge, dieß auch nur im Großen und Ganzen klar zu machen und feſtzuſtellen, ſo würden wir glauben, etwas gewonnen zu haben.
Es wird nun dieß erleichtert durch die große Einfachheit jener bei- den Grundformen und durch die Klarheit, mit der ſich die Richtung der Verwaltungslehre im Großen und Ganzen an dieſelben anſchließt.
Der Wohlfahrtsſtaat, oder die eudämoniſtiſche Staats- idee iſt trotz der vielfachen Trivialitäten, die ihn einſt der öffentlichen Bildung ſo leicht verſtändlich und dann, als dieſelbe ſich gehoben hatte, faſt lächerlich machten, eine der merkwürdigſten, und, wir ſprechen es unbedenklich aus, eine der hochachtbarſten Erſcheinungen in der Ge- ſchichte des geiſtigen und concreten Staatslebens. Die ſtreng dialek- tiſche Philoſophie der folgenden Zeit hat es ſich zwar zur Regel ge- macht, mit einem gewiſſen Hochmuth auf ſie herabzuſehen, ja ihr die Berechtigung, eine philoſophiſche Lehre zu ſein, zum Theil geradezu ab- zuſprechen. Es iſt Zeit, daß wir dieſen ebenſo einſeitigen und eingebil- deten, als verkehrten Standpunkt aufgeben. Am erſten ſollten die Deutſchen bereit ſein, das zu thun. Denn jene eudämoniſtiſche Staats- idee iſt eine ſpecifiſch deutſche Auffaſſung des Staats, und wir ſtehen keinen Augenblick an, zu behaupten, daß dieſelbe unter allem dem was Deutſchland geleiſtet hat, dem deutſchen Geiſte mit am meiſten zur Ehre gereicht. Freilich iſt es vor allem die Beziehung der- ſelben zur Verwaltung, welche ihr ihre wahre Bedeutung gegeben hat. Und der Mangel an einer Geſchichte der letzteren mag zur Urſache des Mangels des Verſtändniſſes der erſteren geworden ſein.
Der Grundgedanke der eudämoniſtiſchen Staatsidee iſt einfach. Der Staat iſt dazu da, um durch die in ihm vereinigte Macht in geiſtiger wie in materieller Beziehung die Wohlfahrt aller Staats- angehörigen zu fördern. Vergleicht man dieſen Gedanken mit der platoniſchen Republik und ihrer ſtarren, das Individuum dem harmoniſchen
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[12/0034]
dieß bisher ſo wenig bekannte Gebiet mit den übrigen Staatswiſſen-
ſchaften in innere Verbindung gebracht wird. Denn es iſt keineswegs
zufällig, daß wir bisher einer Geſchichte der Verwaltungslehre faſt ganz
entbehren. Kein Ding hat eine Geſchichte, deſſen innerer Zuſammenhang
mit dem Ganzen nicht klar iſt, denn dieſer Zuſammenhang iſt in Wahr-
heit das Leben des einzelnen Dinges. Dieß Leben aber hat der hiſtori-
ſchen Auffaſſung der Verwaltung gefehlt. Es kommt darauf an, ihr
daſſelbe wiederzugeben. Der Weg dazu liegt offen. Eine andere Bele-
bung der Verwaltungslehre als die durch den organiſchen und ethiſchen
Zuſammenhang mit der Staatsidee giebt es nicht. Keine Biblio-
graphie, keine Summe von einzelnen Bemerkungen, vermag dieß ent-
ſcheidende Element zu erſetzen. Wenn es uns gelänge, dieß auch nur
im Großen und Ganzen klar zu machen und feſtzuſtellen, ſo würden
wir glauben, etwas gewonnen zu haben.
Es wird nun dieß erleichtert durch die große Einfachheit jener bei-
den Grundformen und durch die Klarheit, mit der ſich die Richtung der
Verwaltungslehre im Großen und Ganzen an dieſelben anſchließt.
Der Wohlfahrtsſtaat, oder die eudämoniſtiſche Staats-
idee iſt trotz der vielfachen Trivialitäten, die ihn einſt der öffentlichen
Bildung ſo leicht verſtändlich und dann, als dieſelbe ſich gehoben hatte,
faſt lächerlich machten, eine der merkwürdigſten, und, wir ſprechen es
unbedenklich aus, eine der hochachtbarſten Erſcheinungen in der Ge-
ſchichte des geiſtigen und concreten Staatslebens. Die ſtreng dialek-
tiſche Philoſophie der folgenden Zeit hat es ſich zwar zur Regel ge-
macht, mit einem gewiſſen Hochmuth auf ſie herabzuſehen, ja ihr die
Berechtigung, eine philoſophiſche Lehre zu ſein, zum Theil geradezu ab-
zuſprechen. Es iſt Zeit, daß wir dieſen ebenſo einſeitigen und eingebil-
deten, als verkehrten Standpunkt aufgeben. Am erſten ſollten die
Deutſchen bereit ſein, das zu thun. Denn jene eudämoniſtiſche Staats-
idee iſt eine ſpecifiſch deutſche Auffaſſung des Staats, und
wir ſtehen keinen Augenblick an, zu behaupten, daß dieſelbe unter allem
dem was Deutſchland geleiſtet hat, dem deutſchen Geiſte mit am
meiſten zur Ehre gereicht. Freilich iſt es vor allem die Beziehung der-
ſelben zur Verwaltung, welche ihr ihre wahre Bedeutung gegeben hat.
Und der Mangel an einer Geſchichte der letzteren mag zur Urſache des
Mangels des Verſtändniſſes der erſteren geworden ſein.
Der Grundgedanke der eudämoniſtiſchen Staatsidee iſt einfach.
Der Staat iſt dazu da, um durch die in ihm vereinigte Macht in
geiſtiger wie in materieller Beziehung die Wohlfahrt aller Staats-
angehörigen zu fördern. Vergleicht man dieſen Gedanken mit der
platoniſchen Republik und ihrer ſtarren, das Individuum dem harmoniſchen
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/34>, abgerufen am 16.07.2024.
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