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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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ſorgt, beſtändig ihn ſchützt; ſie iſt es aber auch, welche gerade dadurch
den Einzelnen nach allen Seiten hemmen und unterdrücken kann, wenn
ſie falſch verſtanden oder falſch ausgeführt wird. Ihre Gefahr entſteht
dann, wenn in ihr der Staat ſich von den Intereſſen und Lebensauf-
gaben des Einzelnen trennt, und ſie, ſtatt ſie als Ziel zu ſetzen, als
Mittel benützt. Sie fordert die tiefſte Kenntniß aller menſchlichen Zu-
ſtände, die freieſte und praktiſchſte Anſchauung des wirklichen Lebens.
Und daher beſtimmt ſich in ihr auch das Weſen des ſo viel beſtrittenen
Gedankens des beſten und des freieſten Staats, ohne den man kaum
die Idee der Verwaltung auszudenken im Stande iſt. Dieſer Gedanke
aber wird ſeinerſeits nicht erſchöpft werden, ohne die Verfaſſung und
ihr Weſen ins Auge zu faſſen.

Wir haben in der Geſchichte der ſocialen Bewegung verſucht,
den Beweis zu liefern, daß die Verfaſſungen weder willkürlich noch
zufällig entſtehen, ſondern in Zeit und Inhalt ganz beſtimmten, ſchwer
zu verkennenden Geſetzen unterworfen ſind. Dieſe Geſetze der Verfaſ-
ſungsbildung haben uns gezeigt, daß es nichtig iſt zu glauben, man
könne überhaupt eine Verfaſſung machen, und als ſei die Verfaſſung
bloß vermöge ihrer Begründung durch das abſtrakte Weſen der Perſön-
lichkeit gut oder ſchlecht und als gäbe es eine beſte Verfaſſung, oder
einen beſten und freieſten Staat bloß durch die Verfaſſung. Das iſt
falſch, und iſt ein faſt jetzt ſchon überwundener, nur hiſtoriſch berech-
tigter Standpunkt. Wir haben gezeigt und erfahren, daß eine Ver-
faſſung in der That nichts iſt, als der Ausdruck der beſtehenden Ge-
ſellſchaftsordnung in der Selbſtbeſtimmung des Staats und den Formen,
in denen dieſelbe vor ſich geht. Mit dem Inhalte dieſer Selbſtbe-
ſtimmung hat die Verfaſſung an und für ſich nichts zu thun. Eine
Verfaſſung iſt daher weder gut noch ſchlecht an ſich, ſondern ſie wird
es nur dadurch, daß ſie mit den Forderungen der Geſellſchaftsordnung
harmonirt oder nicht, und eine Revolution thut vor der Hand nichts,
als daß ſie gewaltſam jene Harmonie herſtellt. Ob aber das Wohlſein
des Staats erreicht wird, das hängt eben von dem Inhalt jener
Selbſtbeſtimmung ab; und dieſer Inhalt iſt die Verwaltung. Das was
wir die freieſte Verfaſſung zu nennen pflegen, kann daher die unfreieſte,
unweiſeſte Verwaltung geben, und damit der Grund zu der vollſtän-
digſten Vernichtung des Staats werden. Kein größeres Beiſpiel hat
die Welt dafür, als die ſogenannten Freiſtaaten der Griechen und
Römer. Und umgekehrt kann das, was als die völligſte Abweſenheit
der Verfaſſung erſcheint, die beſte Zeit des Staatslebens werden, wie
es die Regierungen Maria Thereſias und Friedrichs des Großen be-
zeugen. Und wenn man daher einmal von „Freiheit“ als den Ausdruck

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/70>, abgerufen am 23.02.2025.