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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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französische System ist eben ganz neu; seine Geschichte beginnt mit der
Universite, und sein Inhalt gehört dem Folgenden. In ganz ähnlichem
Verhältniß stehen Belgien und Holland, nur mit dem allerdings großen
Unterschiede, daß hier zwar kein organisches Recht der Aerzte, wohl aber
die Bildungsanstalten auf den Universitäten vorhanden waren, und sich
das neue Recht daher einfach an die letztere anschließen konnte.

2) Das System der Aerzte, Bildungs- und Prüfungswesen.

Auf Grundlage dieser allgemein historischen Zustände hat sich nun
dasjenige entwickelt, was wir das System der Aerzte nennen möchten.

Dasselbe beruht darauf, daß mit den großen Medicinal-Polizei-
gesetzgebungen der Gedanke entsteht, nicht bloß im Allgemeinen, sondern
auch im Speziellen das Recht auf die besonderen Gebiete der Praxis
an eine besondere Bildung und Prüfung zu binden -- ein Gedanke,
der, wie schon erwähnt, Deutschland und zwar im vorigen Jahrhun-
dert eigenthümlich ist. Das ärztliche Personal und das ärztliche Recht
bietet daher bis auf die neueste Zeit ein buntes, zum Theil höchst pedan-
tisch geordnetes Bild, dem gegenüber erst in unserem Jahrhundert die
Ueberzeugung sich Bahn bricht, daß eine solche Classifikation der Aerzte
weder wissenschaftlich haltbar, noch auch in der Praxis durchführbar sei.
Dieser Gedanke hat noch keineswegs ganz gesiegt. Wir müssen unsere
Zeit in dieser Beziehung als Uebergangsperiode betrachten, und die
großen Verschiedenheiten, welche daher auch in Europa gelten, auf mög-
lichst einfache Kategorien zurückführen.

Die erste Gruppe von öffentlichem Recht ist durch diejenigen Län-
der gebildet, bei welchen das berufsmäßige Doctordiplom ohne Staats-
prüfung das Recht auf die volle Praxis gibt, und zwar ohne besondere
Bildung und Prüfung für die einzelnen Zweige der Heilkunde, und
ohne öffentliche Stellung des niederen Heilpersonals. In diesen Län-
dern ist der Doctor medicinae der alleinige und zu jeder Praxis be-
rechtigte berufsmäßige Arzt; aber dafür hat er auch das ausschließ-
liche
Recht auf die ärztliche Funktion. Dazu gehören namentlich die
meisten kleineren deutschen Staaten, Skandinavien, und in der neuesten
Zeit Holland.

Die zweite Gruppe bildet die Doctores medicinae gerade so wie
die ersten, fordert aber eine spezielle Bildung für einzelne Fächer
(namentlich Augen- und Zahnheilkunde), nebst einer eigenen Staats-
prüfung. An der Spitze steht hier das preußische System in seiner
neuesten Gestalt, und das österreichische, dem jedoch die besondere
Staatsprüfung fehlt.

franzöſiſche Syſtem iſt eben ganz neu; ſeine Geſchichte beginnt mit der
Université, und ſein Inhalt gehört dem Folgenden. In ganz ähnlichem
Verhältniß ſtehen Belgien und Holland, nur mit dem allerdings großen
Unterſchiede, daß hier zwar kein organiſches Recht der Aerzte, wohl aber
die Bildungsanſtalten auf den Univerſitäten vorhanden waren, und ſich
das neue Recht daher einfach an die letztere anſchließen konnte.

2) Das Syſtem der Aerzte, Bildungs- und Prüfungsweſen.

Auf Grundlage dieſer allgemein hiſtoriſchen Zuſtände hat ſich nun
dasjenige entwickelt, was wir das Syſtem der Aerzte nennen möchten.

Daſſelbe beruht darauf, daß mit den großen Medicinal-Polizei-
geſetzgebungen der Gedanke entſteht, nicht bloß im Allgemeinen, ſondern
auch im Speziellen das Recht auf die beſonderen Gebiete der Praxis
an eine beſondere Bildung und Prüfung zu binden — ein Gedanke,
der, wie ſchon erwähnt, Deutſchland und zwar im vorigen Jahrhun-
dert eigenthümlich iſt. Das ärztliche Perſonal und das ärztliche Recht
bietet daher bis auf die neueſte Zeit ein buntes, zum Theil höchſt pedan-
tiſch geordnetes Bild, dem gegenüber erſt in unſerem Jahrhundert die
Ueberzeugung ſich Bahn bricht, daß eine ſolche Claſſifikation der Aerzte
weder wiſſenſchaftlich haltbar, noch auch in der Praxis durchführbar ſei.
Dieſer Gedanke hat noch keineswegs ganz geſiegt. Wir müſſen unſere
Zeit in dieſer Beziehung als Uebergangsperiode betrachten, und die
großen Verſchiedenheiten, welche daher auch in Europa gelten, auf mög-
lichſt einfache Kategorien zurückführen.

Die erſte Gruppe von öffentlichem Recht iſt durch diejenigen Län-
der gebildet, bei welchen das berufsmäßige Doctordiplom ohne Staats-
prüfung das Recht auf die volle Praxis gibt, und zwar ohne beſondere
Bildung und Prüfung für die einzelnen Zweige der Heilkunde, und
ohne öffentliche Stellung des niederen Heilperſonals. In dieſen Län-
dern iſt der Doctor medicinae der alleinige und zu jeder Praxis be-
rechtigte berufsmäßige Arzt; aber dafür hat er auch das ausſchließ-
liche
Recht auf die ärztliche Funktion. Dazu gehören namentlich die
meiſten kleineren deutſchen Staaten, Skandinavien, und in der neueſten
Zeit Holland.

Die zweite Gruppe bildet die Doctores medicinae gerade ſo wie
die erſten, fordert aber eine ſpezielle Bildung für einzelne Fächer
(namentlich Augen- und Zahnheilkunde), nebſt einer eigenen Staats-
prüfung. An der Spitze ſteht hier das preußiſche Syſtem in ſeiner
neueſten Geſtalt, und das öſterreichiſche, dem jedoch die beſondere
Staatsprüfung fehlt.

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[101/0117] franzöſiſche Syſtem iſt eben ganz neu; ſeine Geſchichte beginnt mit der Université, und ſein Inhalt gehört dem Folgenden. In ganz ähnlichem Verhältniß ſtehen Belgien und Holland, nur mit dem allerdings großen Unterſchiede, daß hier zwar kein organiſches Recht der Aerzte, wohl aber die Bildungsanſtalten auf den Univerſitäten vorhanden waren, und ſich das neue Recht daher einfach an die letztere anſchließen konnte. 2) Das Syſtem der Aerzte, Bildungs- und Prüfungsweſen. Auf Grundlage dieſer allgemein hiſtoriſchen Zuſtände hat ſich nun dasjenige entwickelt, was wir das Syſtem der Aerzte nennen möchten. Daſſelbe beruht darauf, daß mit den großen Medicinal-Polizei- geſetzgebungen der Gedanke entſteht, nicht bloß im Allgemeinen, ſondern auch im Speziellen das Recht auf die beſonderen Gebiete der Praxis an eine beſondere Bildung und Prüfung zu binden — ein Gedanke, der, wie ſchon erwähnt, Deutſchland und zwar im vorigen Jahrhun- dert eigenthümlich iſt. Das ärztliche Perſonal und das ärztliche Recht bietet daher bis auf die neueſte Zeit ein buntes, zum Theil höchſt pedan- tiſch geordnetes Bild, dem gegenüber erſt in unſerem Jahrhundert die Ueberzeugung ſich Bahn bricht, daß eine ſolche Claſſifikation der Aerzte weder wiſſenſchaftlich haltbar, noch auch in der Praxis durchführbar ſei. Dieſer Gedanke hat noch keineswegs ganz geſiegt. Wir müſſen unſere Zeit in dieſer Beziehung als Uebergangsperiode betrachten, und die großen Verſchiedenheiten, welche daher auch in Europa gelten, auf mög- lichſt einfache Kategorien zurückführen. Die erſte Gruppe von öffentlichem Recht iſt durch diejenigen Län- der gebildet, bei welchen das berufsmäßige Doctordiplom ohne Staats- prüfung das Recht auf die volle Praxis gibt, und zwar ohne beſondere Bildung und Prüfung für die einzelnen Zweige der Heilkunde, und ohne öffentliche Stellung des niederen Heilperſonals. In dieſen Län- dern iſt der Doctor medicinae der alleinige und zu jeder Praxis be- rechtigte berufsmäßige Arzt; aber dafür hat er auch das ausſchließ- liche Recht auf die ärztliche Funktion. Dazu gehören namentlich die meiſten kleineren deutſchen Staaten, Skandinavien, und in der neueſten Zeit Holland. Die zweite Gruppe bildet die Doctores medicinae gerade ſo wie die erſten, fordert aber eine ſpezielle Bildung für einzelne Fächer (namentlich Augen- und Zahnheilkunde), nebſt einer eigenen Staats- prüfung. An der Spitze ſteht hier das preußiſche Syſtem in ſeiner neueſten Geſtalt, und das öſterreichiſche, dem jedoch die beſondere Staatsprüfung fehlt.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/117>, abgerufen am 21.11.2024.