Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.Der Lehrerstand entsteht nicht mit der Volksschule; das Entstehen Ursprünglich ist der Elementarunterricht eine Sache der Ortsgeist- Stein, die Verwaltungslehre. V. 9
Der Lehrerſtand entſteht nicht mit der Volksſchule; das Entſtehen Urſprünglich iſt der Elementarunterricht eine Sache der Ortsgeiſt- Stein, die Verwaltungslehre. V. 9
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Der Lehrerſtand entſteht nicht mit der Volksſchule; das Entſtehen
eines ſelbſtändigen Standes und Berufes der Volksſchullehrer iſt viel-
mehr erſt mit unſerer Zeit und ihrer höheren Auffaſſung gewonnen.
Urſprünglich iſt der Elementarunterricht eine Sache der Ortsgeiſt-
lichkeit, oder der bürgerlichen Gemeinde. Es gibt daher anfangs zwar
einzelne Elementarlehrer, aber keinen Stand und Beruf derſelben. Die
Einführung der Schulpflicht, die weder England noch Frankreich kennen,
verpflichtet dann allerdings auch die Landgemeinde zur Aufſtellung von
Elementarlehrern, die aber die Verachtung der hörigen Klaſſe mittragen,
für die ſie beſtimmt ſind. Die Elementarlehrer ſind daher Diener des
Herrn, ohne Ehre, ohne Geltung, ohne ſocialen und ethiſchen Werth.
Erſt das Auftreten der großen Principien der ſtaatsbürgerlichen Geſell-
ſchaft, ausgedrückt in der Pädagogik, erhebt zunächſt ihre Funktion zur
Anerkennung. Dieſe Anerkennung ſpricht ſich zuerſt in der Forderung
einer materiell ſelbſtändigen Stellung (Gehalt, Schulgeld, Wohnung),
dann in dem Grundſatz aus, daß ihre Funktion eine öffentliche, mit
dem Volkswohl organiſch verbundene, alſo eine amtliche ſei, womit
ſie ſich von der abſoluten Abhängigkeit von den ſtändiſchen Herren ab-
zulöſen beginnen. Damit ſind in der zweiten Hälfte des vorigen Jahr-
hunderts die wirthſchaftlichen und rechtlichen Elemente des Lehrerſtandes
gegeben; dann tritt mit unſerm Jahrhundert das geiſtige hinzu, die
fachmäßige Lehrerbildung. Die Epoche des eigentlichen Volks-
lehrerſtandes beginnt allenthalben mit dem Grundſatz, daß eine
fachgemäße Bildung die Bedingung zur Anſtellung, alſo die Voraus-
ſetzung der Erfüllung des Berufes ſei. Das iſt die wichtigſte Er-
rungenſchaft der großen pädagogiſchen Literatur des vorigen Jahr-
hunderts. Aus dieſem Grundſatz entſteht zuerſt das Syſtem der
Schullehrerſeminarien, welche das Bewußtſein der ſittlichen Ge-
meinſchaft des ſchweren Berufes erzeugen und veredeln, und mit ihren
Prüfungen die Gewähr für den Volksunterricht ſelbſt geben. An dieſe
Seminarien ſchließt ſich naturgemäß die genauere Ordnung des öffent-
lichen Rechts der Anſtellung und Entlaſſung der Schullehrer, ſo wie
der Organismus ihrer Inſpektion, theils durch das ſtaatliche Element
der Regierung, theils durch das ſtändiſche der Geiſtlichkeit und Patrone,
theils durch das freie der Gemeindeorgane. Alles dieß, zuſammen-
wirkend, beſeitigt nun nach vielen Kämpfen die tiefe und verderbliche
Scheidewand zwiſchen dem Lehrerſtande der Volks- und dem
der Berufsſchulen, in der ſich im Grunde die Scheidung der höhern
und niederen Claſſe ausdrückt, und bewirkt die allmählige Anerkennung
der großen Idee, daß alle Glieder des Lehrberufs ein großes, das
ganze geiſtige Leben der Völker umfaſſendes Ganze, mit dem gleichen
Stein, die Verwaltungslehre. V. 9
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