Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

wird, und seine Meinung an die Stelle des letzteren setzen muß. Setzt
man aber, daß die Consequenzen eines Druckwerkes nicht als That-
bestand, sondern als Versuch gelten, und als solcher bestraft werden
sollen -- in welchem Falle der obige Widerspruch auf den ersten Blick
gelöst erscheint, -- so wird in der That derselbe noch tiefer, so wie
man die Sache vom Standpunkt des Rechts beurtheilt. Denn die Straf-
barkeit des Versuches beruht stets nur darauf, daß er mit "geeigneten
Mitteln" geschähe. Die Eignung der Mittel aber muß der Richter, da
ihm die Möglichkeit einer objektiven Nachweisung fehlt, nothwendig
an sich selber messen. Findet er nun, daß diese Eignung an sich vor-
handen ist, so muß er sich selbst zu Haß und Verachtung durch den
Geist des Druckwerkes bewogen gefunden haben, und dann wären
ja Haß und Verachtung gerechtfertigt. Findet er aber, wie es natürlich
stets der Fall ist, daß Haß und Verachtung bei verständigen und ge-
bildeten Leuten nicht erzeugt werden, so ist wieder das geeignete Mittel
und mit ihm die Strafbarkeit des Versuches nicht vorhanden. Findet
er endlich, daß das Druckwerk nur bei Unverständigen und Ungebildeten
diese Fähigkeit besitzt, so widerspricht er sich selber, denn das Wesen
der Unverständigen und Ungebildeten besteht ja eben darin, keine
Schlußfolgerungen ziehen, also auch zu Haß und Verach-
tung durch reine Consequenzen nicht gelangen zu können
.
Mag man daher die in jenen Sätzen und Gesetzen liegende strafrecht-
liche Preßbeschränkung auffassen, wie man will, immer wird sie zu
einem juristisch ganz unlösbaren Widerspruch. Dieser juristisch absolute
Widerspruch erscheint nun in seinem wahren Licht, wenn man ihn mit
dem Wesen der Polizei in Verbindung bringt. Da nämlich, wie gezeigt,
eine strafrechtliche Funktion vermöge eines solchen Gesetzes gar nicht
möglich ist, und das Gericht dennoch zu einer solchen gezwungen wird,
so leuchtet es ein, daß die aus jenem Gesetze hervorgehende Funktion
des Gerichts in der That überhaupt keine gerichtliche, sondern eine po-
lizeiliche
ist. Ein solches Gesetz macht daher ein Gericht zu einem
Polizeiorgan, und verwirrt damit das organische Wesen der ganzen Ver-
waltung; nicht als ob die Polizei nicht auch ihre eben so wesentliche Funk-
tion hätte; allein jene Gesetze setzen an die Stelle der organischen Com-
petenz die gesetzliche. Und unter diesem Widerspruch muß unabweisbar
die Funktion selbst leiden; es ist und bleibt verkehrt, mit den Händen
gehen oder mit den Augen hören zu wollen. Und möge man nun
ein amtliches oder ein Geschwornengericht aufstellen, immer hat die
Erfahrung dieß bestätigt, und immer wird sie es bestätigen; denn es
ist fast unmöglich, daß unter solchem Widerspruch nicht dasjenige leiden
sollte, was wir die volle Unabhängigkeit des Gerichtes nennen.

wird, und ſeine Meinung an die Stelle des letzteren ſetzen muß. Setzt
man aber, daß die Conſequenzen eines Druckwerkes nicht als That-
beſtand, ſondern als Verſuch gelten, und als ſolcher beſtraft werden
ſollen — in welchem Falle der obige Widerſpruch auf den erſten Blick
gelöst erſcheint, — ſo wird in der That derſelbe noch tiefer, ſo wie
man die Sache vom Standpunkt des Rechts beurtheilt. Denn die Straf-
barkeit des Verſuches beruht ſtets nur darauf, daß er mit „geeigneten
Mitteln“ geſchähe. Die Eignung der Mittel aber muß der Richter, da
ihm die Möglichkeit einer objektiven Nachweiſung fehlt, nothwendig
an ſich ſelber meſſen. Findet er nun, daß dieſe Eignung an ſich vor-
handen iſt, ſo muß er ſich ſelbſt zu Haß und Verachtung durch den
Geiſt des Druckwerkes bewogen gefunden haben, und dann wären
ja Haß und Verachtung gerechtfertigt. Findet er aber, wie es natürlich
ſtets der Fall iſt, daß Haß und Verachtung bei verſtändigen und ge-
bildeten Leuten nicht erzeugt werden, ſo iſt wieder das geeignete Mittel
und mit ihm die Strafbarkeit des Verſuches nicht vorhanden. Findet
er endlich, daß das Druckwerk nur bei Unverſtändigen und Ungebildeten
dieſe Fähigkeit beſitzt, ſo widerſpricht er ſich ſelber, denn das Weſen
der Unverſtändigen und Ungebildeten beſteht ja eben darin, keine
Schlußfolgerungen ziehen, alſo auch zu Haß und Verach-
tung durch reine Conſequenzen nicht gelangen zu können
.
Mag man daher die in jenen Sätzen und Geſetzen liegende ſtrafrecht-
liche Preßbeſchränkung auffaſſen, wie man will, immer wird ſie zu
einem juriſtiſch ganz unlösbaren Widerſpruch. Dieſer juriſtiſch abſolute
Widerſpruch erſcheint nun in ſeinem wahren Licht, wenn man ihn mit
dem Weſen der Polizei in Verbindung bringt. Da nämlich, wie gezeigt,
eine ſtrafrechtliche Funktion vermöge eines ſolchen Geſetzes gar nicht
möglich iſt, und das Gericht dennoch zu einer ſolchen gezwungen wird,
ſo leuchtet es ein, daß die aus jenem Geſetze hervorgehende Funktion
des Gerichts in der That überhaupt keine gerichtliche, ſondern eine po-
lizeiliche
iſt. Ein ſolches Geſetz macht daher ein Gericht zu einem
Polizeiorgan, und verwirrt damit das organiſche Weſen der ganzen Ver-
waltung; nicht als ob die Polizei nicht auch ihre eben ſo weſentliche Funk-
tion hätte; allein jene Geſetze ſetzen an die Stelle der organiſchen Com-
petenz die geſetzliche. Und unter dieſem Widerſpruch muß unabweisbar
die Funktion ſelbſt leiden; es iſt und bleibt verkehrt, mit den Händen
gehen oder mit den Augen hören zu wollen. Und möge man nun
ein amtliches oder ein Geſchwornengericht aufſtellen, immer hat die
Erfahrung dieß beſtätigt, und immer wird ſie es beſtätigen; denn es
iſt faſt unmöglich, daß unter ſolchem Widerſpruch nicht dasjenige leiden
ſollte, was wir die volle Unabhängigkeit des Gerichtes nennen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0107" n="91"/>
wird, und <hi rendition="#g">&#x017F;eine</hi> Meinung an die Stelle des letzteren &#x017F;etzen muß. Setzt<lb/>
man aber, daß die Con&#x017F;equenzen eines Druckwerkes nicht als That-<lb/>
be&#x017F;tand, &#x017F;ondern als <hi rendition="#g">Ver&#x017F;uch</hi> gelten, und <hi rendition="#g">als &#x017F;olcher</hi> be&#x017F;traft werden<lb/>
&#x017F;ollen &#x2014; in welchem Falle der obige Wider&#x017F;pruch auf den er&#x017F;ten Blick<lb/>
gelöst er&#x017F;cheint, &#x2014; &#x017F;o wird in der That der&#x017F;elbe noch tiefer, &#x017F;o wie<lb/>
man die Sache vom Standpunkt des Rechts beurtheilt. Denn die Straf-<lb/>
barkeit des Ver&#x017F;uches beruht &#x017F;tets nur darauf, daß er mit &#x201E;geeigneten<lb/>
Mitteln&#x201C; ge&#x017F;chähe. Die Eignung der Mittel aber muß der Richter, da<lb/>
ihm die Möglichkeit einer objektiven Nachwei&#x017F;ung fehlt, <hi rendition="#g">nothwendig</hi><lb/>
an &#x017F;ich &#x017F;elber me&#x017F;&#x017F;en. Findet er nun, daß die&#x017F;e Eignung an &#x017F;ich vor-<lb/>
handen i&#x017F;t, &#x017F;o muß <hi rendition="#g">er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t</hi> zu Haß und Verachtung durch den<lb/>
Gei&#x017F;t des Druckwerkes bewogen gefunden haben, und dann wären<lb/>
ja Haß und Verachtung gerechtfertigt. Findet er aber, wie es natürlich<lb/>
&#x017F;tets der Fall i&#x017F;t, daß Haß und Verachtung bei ver&#x017F;tändigen und ge-<lb/>
bildeten Leuten <hi rendition="#g">nicht</hi> erzeugt werden, &#x017F;o i&#x017F;t wieder das geeignete Mittel<lb/>
und mit ihm die Strafbarkeit des Ver&#x017F;uches nicht vorhanden. Findet<lb/>
er endlich, daß das Druckwerk nur bei Unver&#x017F;tändigen und Ungebildeten<lb/>
die&#x017F;e Fähigkeit be&#x017F;itzt, &#x017F;o wider&#x017F;pricht er &#x017F;ich &#x017F;elber, denn das We&#x017F;en<lb/>
der Unver&#x017F;tändigen und Ungebildeten be&#x017F;teht ja eben darin, <hi rendition="#g">keine<lb/>
Schlußfolgerungen ziehen, al&#x017F;o auch zu Haß und Verach-<lb/>
tung durch reine Con&#x017F;equenzen nicht gelangen zu können</hi>.<lb/>
Mag man daher die in jenen Sätzen und Ge&#x017F;etzen liegende &#x017F;trafrecht-<lb/>
liche Preßbe&#x017F;chränkung auffa&#x017F;&#x017F;en, wie man will, immer wird &#x017F;ie zu<lb/>
einem juri&#x017F;ti&#x017F;ch ganz unlösbaren Wider&#x017F;pruch. Die&#x017F;er juri&#x017F;ti&#x017F;ch ab&#x017F;olute<lb/>
Wider&#x017F;pruch er&#x017F;cheint nun in &#x017F;einem wahren Licht, wenn man ihn mit<lb/>
dem We&#x017F;en der Polizei in Verbindung bringt. Da nämlich, wie gezeigt,<lb/>
eine &#x017F;trafrechtliche Funktion vermöge eines &#x017F;olchen Ge&#x017F;etzes gar nicht<lb/>
möglich i&#x017F;t, und das Gericht dennoch zu einer &#x017F;olchen gezwungen wird,<lb/>
&#x017F;o leuchtet es ein, daß die aus jenem Ge&#x017F;etze hervorgehende Funktion<lb/>
des Gerichts in der That überhaupt keine gerichtliche, &#x017F;ondern eine <hi rendition="#g">po-<lb/>
lizeiliche</hi> i&#x017F;t. Ein &#x017F;olches Ge&#x017F;etz macht daher ein Gericht zu einem<lb/>
Polizeiorgan, und verwirrt damit das organi&#x017F;che We&#x017F;en der ganzen Ver-<lb/>
waltung; nicht als ob die Polizei nicht auch ihre eben &#x017F;o we&#x017F;entliche Funk-<lb/>
tion hätte; allein jene Ge&#x017F;etze &#x017F;etzen an die Stelle der organi&#x017F;chen Com-<lb/>
petenz die ge&#x017F;etzliche. Und unter die&#x017F;em Wider&#x017F;pruch muß unabweisbar<lb/>
die Funktion &#x017F;elb&#x017F;t leiden; es i&#x017F;t und bleibt verkehrt, mit den Händen<lb/>
gehen oder mit den Augen hören zu wollen. Und möge man nun<lb/>
ein amtliches oder ein Ge&#x017F;chwornengericht auf&#x017F;tellen, immer <hi rendition="#g">hat</hi> die<lb/>
Erfahrung dieß be&#x017F;tätigt, und immer <hi rendition="#g">wird</hi> &#x017F;ie es be&#x017F;tätigen; denn es<lb/>
i&#x017F;t fa&#x017F;t unmöglich, daß unter &#x017F;olchem Wider&#x017F;pruch nicht dasjenige leiden<lb/>
&#x017F;ollte, was wir die volle Unabhängigkeit des Gerichtes nennen.</p><lb/>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0107] wird, und ſeine Meinung an die Stelle des letzteren ſetzen muß. Setzt man aber, daß die Conſequenzen eines Druckwerkes nicht als That- beſtand, ſondern als Verſuch gelten, und als ſolcher beſtraft werden ſollen — in welchem Falle der obige Widerſpruch auf den erſten Blick gelöst erſcheint, — ſo wird in der That derſelbe noch tiefer, ſo wie man die Sache vom Standpunkt des Rechts beurtheilt. Denn die Straf- barkeit des Verſuches beruht ſtets nur darauf, daß er mit „geeigneten Mitteln“ geſchähe. Die Eignung der Mittel aber muß der Richter, da ihm die Möglichkeit einer objektiven Nachweiſung fehlt, nothwendig an ſich ſelber meſſen. Findet er nun, daß dieſe Eignung an ſich vor- handen iſt, ſo muß er ſich ſelbſt zu Haß und Verachtung durch den Geiſt des Druckwerkes bewogen gefunden haben, und dann wären ja Haß und Verachtung gerechtfertigt. Findet er aber, wie es natürlich ſtets der Fall iſt, daß Haß und Verachtung bei verſtändigen und ge- bildeten Leuten nicht erzeugt werden, ſo iſt wieder das geeignete Mittel und mit ihm die Strafbarkeit des Verſuches nicht vorhanden. Findet er endlich, daß das Druckwerk nur bei Unverſtändigen und Ungebildeten dieſe Fähigkeit beſitzt, ſo widerſpricht er ſich ſelber, denn das Weſen der Unverſtändigen und Ungebildeten beſteht ja eben darin, keine Schlußfolgerungen ziehen, alſo auch zu Haß und Verach- tung durch reine Conſequenzen nicht gelangen zu können. Mag man daher die in jenen Sätzen und Geſetzen liegende ſtrafrecht- liche Preßbeſchränkung auffaſſen, wie man will, immer wird ſie zu einem juriſtiſch ganz unlösbaren Widerſpruch. Dieſer juriſtiſch abſolute Widerſpruch erſcheint nun in ſeinem wahren Licht, wenn man ihn mit dem Weſen der Polizei in Verbindung bringt. Da nämlich, wie gezeigt, eine ſtrafrechtliche Funktion vermöge eines ſolchen Geſetzes gar nicht möglich iſt, und das Gericht dennoch zu einer ſolchen gezwungen wird, ſo leuchtet es ein, daß die aus jenem Geſetze hervorgehende Funktion des Gerichts in der That überhaupt keine gerichtliche, ſondern eine po- lizeiliche iſt. Ein ſolches Geſetz macht daher ein Gericht zu einem Polizeiorgan, und verwirrt damit das organiſche Weſen der ganzen Ver- waltung; nicht als ob die Polizei nicht auch ihre eben ſo weſentliche Funk- tion hätte; allein jene Geſetze ſetzen an die Stelle der organiſchen Com- petenz die geſetzliche. Und unter dieſem Widerſpruch muß unabweisbar die Funktion ſelbſt leiden; es iſt und bleibt verkehrt, mit den Händen gehen oder mit den Augen hören zu wollen. Und möge man nun ein amtliches oder ein Geſchwornengericht aufſtellen, immer hat die Erfahrung dieß beſtätigt, und immer wird ſie es beſtätigen; denn es iſt faſt unmöglich, daß unter ſolchem Widerſpruch nicht dasjenige leiden ſollte, was wir die volle Unabhängigkeit des Gerichtes nennen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/107
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/107>, abgerufen am 12.05.2024.