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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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und der Hirtenknabe kann Papst werden, aber die Kirche selbst ist ein
Stand geworden. Erst da, wo das Buch beginnt, beginnt eine neue
Ordnung der Dinge. Erst da fängt der Elementarunterricht an, allge-
mein zu werden; erst da strömt das geistige Leben von der ständischen
Bildung in das ganze Volk, alle Unterschiede ausgleichend und bedeckend;
erst da entsteht die Thatsache einer allgemeinen Bildung, ohne daß ein
anderes Element als das der natürlichen Entwicklung dabei thätig wäre.
Und dadurch geschieht nun das, was diese allgemeine Bildung in das
Staatsleben und seine Verwaltung hineinzieht.

So wie nämlich die Anfänge der staatsbürgerlichen Gesellschaft sich
entwickeln, entsteht ein neues öffentliches Recht, eine neue eigenthüm-
liche, auf dem Wesen derselben beruhende Gestalt der Staatsgewalt.
Wir haben sie ihrem Princip nach die eudämonistische, ihrer Form nach
die polizeiliche genannt. Die Epoche dieser eudämonistischen Polizei erkennt
ihrerseits -- ohne sich über das gesellschaftliche Element Rechenschaft
abzulegen -- den Werth der allgemeinen Bildung. Sie weiß, daß
dieselbe nicht bloß das "Glück" und die "Wohlfahrt," sondern auch die
Macht der Staaten vermehrt. Sie beginnt daher, diese allgemeine
Bildung sofort in den Kreis ihrer Aufgaben hineinzuziehen. Freilich
erscheint diese anfänglich noch der Form nach als Fachbildung; aber
durch die Presse ist das Festhalten an der Beschränkung derselben nicht
mehr möglich. Die geistige Welt dehnt sich gleichsam von selbst nach
allen Seiten aus, und die Verwaltung ist von ihrem Standpunkte aus
gerne bereit, ihr die Hände zu reichen. Eben dadurch aber erscheint
nun die hier maßgebende Thatsache, daß diese Verwaltung unmittelbar
nur sehr wenig für dieselbe zu thun vermag. Sie arbeitet vielmehr, vom
eigenen Geiste getragen, selbstständig weiter, und in dieser Arbeit droht
sie oft genug, dem Bestehenden direkt gefährlich zu werden. Die "Polizei"
erfährt das bald an der Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen, und in der
Erkenntniß, daß sie für die Förderung dieser Bewegung wenig leisten
kann, zieht sie sich nunmehr auf das eigenthümliche, leicht verständliche
Gebiet zurück. Sie sieht ihre Aufgabe wesentlich in der Verhinderung
der Ausschreitungen, welche den Gang der Bildung ihrer Meinung nach
oder in Wirklichkeit bedrohen. Sie sucht die immer höher gehenden
Wogen der Bewegung, deren letztes Ziel stets die persönliche Freiheit
ist, einzudämmen; sie fürchtet eigentlich nicht den Strom, der sie zum
Theil selbst trägt, und will ihn nicht hemmen, aber sie fürchtet sein
Ausschreiten über die Ufer, welche sie setzen zu müssen glaubt. Sie
versucht daher, hier im Namen der "Obrigkeit" einzuschreiten und die all-
gemeine Bildung mit Vorschriften und Maßregeln in Gestalt und Grenze
nach ihrem Sinn zu modeln. Sie will die Kultur; aber sie will sie so,

und der Hirtenknabe kann Papſt werden, aber die Kirche ſelbſt iſt ein
Stand geworden. Erſt da, wo das Buch beginnt, beginnt eine neue
Ordnung der Dinge. Erſt da fängt der Elementarunterricht an, allge-
mein zu werden; erſt da ſtrömt das geiſtige Leben von der ſtändiſchen
Bildung in das ganze Volk, alle Unterſchiede ausgleichend und bedeckend;
erſt da entſteht die Thatſache einer allgemeinen Bildung, ohne daß ein
anderes Element als das der natürlichen Entwicklung dabei thätig wäre.
Und dadurch geſchieht nun das, was dieſe allgemeine Bildung in das
Staatsleben und ſeine Verwaltung hineinzieht.

So wie nämlich die Anfänge der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ſich
entwickeln, entſteht ein neues öffentliches Recht, eine neue eigenthüm-
liche, auf dem Weſen derſelben beruhende Geſtalt der Staatsgewalt.
Wir haben ſie ihrem Princip nach die eudämoniſtiſche, ihrer Form nach
die polizeiliche genannt. Die Epoche dieſer eudämoniſtiſchen Polizei erkennt
ihrerſeits — ohne ſich über das geſellſchaftliche Element Rechenſchaft
abzulegen — den Werth der allgemeinen Bildung. Sie weiß, daß
dieſelbe nicht bloß das „Glück“ und die „Wohlfahrt,“ ſondern auch die
Macht der Staaten vermehrt. Sie beginnt daher, dieſe allgemeine
Bildung ſofort in den Kreis ihrer Aufgaben hineinzuziehen. Freilich
erſcheint dieſe anfänglich noch der Form nach als Fachbildung; aber
durch die Preſſe iſt das Feſthalten an der Beſchränkung derſelben nicht
mehr möglich. Die geiſtige Welt dehnt ſich gleichſam von ſelbſt nach
allen Seiten aus, und die Verwaltung iſt von ihrem Standpunkte aus
gerne bereit, ihr die Hände zu reichen. Eben dadurch aber erſcheint
nun die hier maßgebende Thatſache, daß dieſe Verwaltung unmittelbar
nur ſehr wenig für dieſelbe zu thun vermag. Sie arbeitet vielmehr, vom
eigenen Geiſte getragen, ſelbſtſtändig weiter, und in dieſer Arbeit droht
ſie oft genug, dem Beſtehenden direkt gefährlich zu werden. Die „Polizei“
erfährt das bald an der Fruchtloſigkeit ihrer Bemühungen, und in der
Erkenntniß, daß ſie für die Förderung dieſer Bewegung wenig leiſten
kann, zieht ſie ſich nunmehr auf das eigenthümliche, leicht verſtändliche
Gebiet zurück. Sie ſieht ihre Aufgabe weſentlich in der Verhinderung
der Ausſchreitungen, welche den Gang der Bildung ihrer Meinung nach
oder in Wirklichkeit bedrohen. Sie ſucht die immer höher gehenden
Wogen der Bewegung, deren letztes Ziel ſtets die perſönliche Freiheit
iſt, einzudämmen; ſie fürchtet eigentlich nicht den Strom, der ſie zum
Theil ſelbſt trägt, und will ihn nicht hemmen, aber ſie fürchtet ſein
Ausſchreiten über die Ufer, welche ſie ſetzen zu müſſen glaubt. Sie
verſucht daher, hier im Namen der „Obrigkeit“ einzuſchreiten und die all-
gemeine Bildung mit Vorſchriften und Maßregeln in Geſtalt und Grenze
nach ihrem Sinn zu modeln. Sie will die Kultur; aber ſie will ſie ſo,

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[9/0025] und der Hirtenknabe kann Papſt werden, aber die Kirche ſelbſt iſt ein Stand geworden. Erſt da, wo das Buch beginnt, beginnt eine neue Ordnung der Dinge. Erſt da fängt der Elementarunterricht an, allge- mein zu werden; erſt da ſtrömt das geiſtige Leben von der ſtändiſchen Bildung in das ganze Volk, alle Unterſchiede ausgleichend und bedeckend; erſt da entſteht die Thatſache einer allgemeinen Bildung, ohne daß ein anderes Element als das der natürlichen Entwicklung dabei thätig wäre. Und dadurch geſchieht nun das, was dieſe allgemeine Bildung in das Staatsleben und ſeine Verwaltung hineinzieht. So wie nämlich die Anfänge der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ſich entwickeln, entſteht ein neues öffentliches Recht, eine neue eigenthüm- liche, auf dem Weſen derſelben beruhende Geſtalt der Staatsgewalt. Wir haben ſie ihrem Princip nach die eudämoniſtiſche, ihrer Form nach die polizeiliche genannt. Die Epoche dieſer eudämoniſtiſchen Polizei erkennt ihrerſeits — ohne ſich über das geſellſchaftliche Element Rechenſchaft abzulegen — den Werth der allgemeinen Bildung. Sie weiß, daß dieſelbe nicht bloß das „Glück“ und die „Wohlfahrt,“ ſondern auch die Macht der Staaten vermehrt. Sie beginnt daher, dieſe allgemeine Bildung ſofort in den Kreis ihrer Aufgaben hineinzuziehen. Freilich erſcheint dieſe anfänglich noch der Form nach als Fachbildung; aber durch die Preſſe iſt das Feſthalten an der Beſchränkung derſelben nicht mehr möglich. Die geiſtige Welt dehnt ſich gleichſam von ſelbſt nach allen Seiten aus, und die Verwaltung iſt von ihrem Standpunkte aus gerne bereit, ihr die Hände zu reichen. Eben dadurch aber erſcheint nun die hier maßgebende Thatſache, daß dieſe Verwaltung unmittelbar nur ſehr wenig für dieſelbe zu thun vermag. Sie arbeitet vielmehr, vom eigenen Geiſte getragen, ſelbſtſtändig weiter, und in dieſer Arbeit droht ſie oft genug, dem Beſtehenden direkt gefährlich zu werden. Die „Polizei“ erfährt das bald an der Fruchtloſigkeit ihrer Bemühungen, und in der Erkenntniß, daß ſie für die Förderung dieſer Bewegung wenig leiſten kann, zieht ſie ſich nunmehr auf das eigenthümliche, leicht verſtändliche Gebiet zurück. Sie ſieht ihre Aufgabe weſentlich in der Verhinderung der Ausſchreitungen, welche den Gang der Bildung ihrer Meinung nach oder in Wirklichkeit bedrohen. Sie ſucht die immer höher gehenden Wogen der Bewegung, deren letztes Ziel ſtets die perſönliche Freiheit iſt, einzudämmen; ſie fürchtet eigentlich nicht den Strom, der ſie zum Theil ſelbſt trägt, und will ihn nicht hemmen, aber ſie fürchtet ſein Ausſchreiten über die Ufer, welche ſie ſetzen zu müſſen glaubt. Sie verſucht daher, hier im Namen der „Obrigkeit“ einzuſchreiten und die all- gemeine Bildung mit Vorſchriften und Maßregeln in Geſtalt und Grenze nach ihrem Sinn zu modeln. Sie will die Kultur; aber ſie will ſie ſo,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/25>, abgerufen am 23.11.2024.