Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.wissenschaft, noch selbst Krause in seiner Staatswissenschaft sich ernst- wiſſenſchaft, noch ſelbſt Krauſe in ſeiner Staatswiſſenſchaft ſich ernſt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0204" n="186"/> wiſſenſchaft, noch ſelbſt <hi rendition="#g">Krauſe</hi> in ſeiner Staatswiſſenſchaft ſich ernſt-<lb/> lich damit beſchäftigt; man ſieht deutlich, wie ſie die Sache umgehen.<lb/> Und ſo konnte es kommen, daß, als die Entlaſtungsfrage in den<lb/> zwanziger Jahren in einzelnen deutſchen Volksvertretungen zur Ver-<lb/> handlung kam, die Conſervativen geradezu die Beſeitigung der Grund-<lb/> laſten als einen Widerſpruch mit dem wahren Weſen des Bauernſtan-<lb/> des aufſtellten, für welchen „der Gutsherr Vater, Freund, Erzieher<lb/> und Beſchützer“ ſei (<hi rendition="#g">Adam Müller</hi>, die Gewerbspolizei in Beziehung<lb/> auf den Landbau, 1824) oder wie <hi rendition="#g">derſelbe</hi> in der Concordia<lb/> (Heft <hi rendition="#aq">II.</hi> Wien 1820) ſagt: Die Grundlaſten und die Unfreiheit des<lb/> Bauernſtandes dürfen nicht beſeitigt werden, „weil die Landwirthſchaft<lb/> das Beharren und Bleiben des Arbeiters, ſeine Adſcription an dem<lb/> Materiale des Grundſtücks, ſeine <hi rendition="#g">unzertrennliche</hi> Verbindung mit dem<lb/> Kapitale verlange“ (vgl. <hi rendition="#g">Lotz</hi>, Staatswiſſenſchaft <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 92). In dem-<lb/> ſelben Sinn ſchrieb G. v. <hi rendition="#g">Aretin</hi> (nicht zu verwechſeln mit J. C. von<lb/> Aretin, dem oft erwähnten Verfaſſer der „Staatswiſſenſchaft der con-<lb/> ſtitutionellen Monarchie“) ſeine Broſchüre: „Die grundherrlichen Rechte<lb/> in Bayern, eine Hauptſtütze des öffentlichen Wohlſtandes“ 1819. Dieſer<lb/> falſche Conſervativismus ſteigert ſich, wie die Gefahr für denſelben<lb/> wächst, bis zur Poeſie der Unfreiheit, namentlich in Bayern, wo<lb/><hi rendition="#g">Seinsheim</hi> und <hi rendition="#g">Moy</hi> ſich in den Verhandlungen der bayeriſchen<lb/> Kammer ausſprachen (1840): „möge der landwirthſchaftliche Vortheil<lb/> auch unzweifelhaft ſein, ſo ſei ſelbſt die Umwandlung der Gutslaſten,<lb/> geſchweige denn die Aufhebung derſelben politiſch bedenklich, ſie hebe<lb/> die perſönliche Wechſelbeziehung von <hi rendition="#g">Gnade und Ergebenheit</hi> auf<lb/> und ſetze an ihre Stelle ein feſtes Rechnungsverhältniß ohne alle per-<lb/> ſönlichen Beziehungen“ (<hi rendition="#g">Rau</hi>, Volkswirthſchaftspflege §. 53). Auf dieſe<lb/> Weiſe darf es uns kaum wundern, wenn ſelbſt Männer wie <hi rendition="#g">Rau</hi> an-<lb/> fänglich noch ängſtlich das Zunftweſen gerne erhalten hätten („Ueber<lb/> das Zunftweſen und die Folgen ſeiner Aufhebung 1816“) — was er<lb/> freilich ſpäter änderte und wenn <hi rendition="#g">Mohls</hi> Polizeiwiſſenſchaft (2. Auf-<lb/> lage 1844) noch mit höchſter Vorſicht Zehnten und Frohnden ſcheidet<lb/> und ſich auf keinem Punkte zu einem höheren Geſichtspunkte als dem<lb/> der Entwicklung der landwirthſchaftlichen Produktion und dem Schutze<lb/> der beſtehenden Rechte erhebt, während noch <hi rendition="#g">Roſcher</hi> <hi rendition="#aq">II.</hi> §. 124 (1860)<lb/> ſich mit der Phraſe hilft „mag die Aufhebung <hi rendition="#g">einiger</hi>“ (auch der<lb/> aus der Leibeigenſchaft folgender?) wohl <hi rendition="#g">gar</hi> aller bäuerlichen Laſten<lb/> — unter verzweifelten (!) Umſtänden ohne Entſchädigung nothwen-<lb/> dig ſein, ein ungeheures Unrecht und Unglück wird es immer bleiben.“<lb/> Daß man dieß „ungeheure Unrecht“ noch im Jahre 1860 für ein<lb/> „ungeheures Unglück“ auch in Beziehung auf die <hi rendition="#g">ohne</hi> Entſchädigung<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [186/0204]
wiſſenſchaft, noch ſelbſt Krauſe in ſeiner Staatswiſſenſchaft ſich ernſt-
lich damit beſchäftigt; man ſieht deutlich, wie ſie die Sache umgehen.
Und ſo konnte es kommen, daß, als die Entlaſtungsfrage in den
zwanziger Jahren in einzelnen deutſchen Volksvertretungen zur Ver-
handlung kam, die Conſervativen geradezu die Beſeitigung der Grund-
laſten als einen Widerſpruch mit dem wahren Weſen des Bauernſtan-
des aufſtellten, für welchen „der Gutsherr Vater, Freund, Erzieher
und Beſchützer“ ſei (Adam Müller, die Gewerbspolizei in Beziehung
auf den Landbau, 1824) oder wie derſelbe in der Concordia
(Heft II. Wien 1820) ſagt: Die Grundlaſten und die Unfreiheit des
Bauernſtandes dürfen nicht beſeitigt werden, „weil die Landwirthſchaft
das Beharren und Bleiben des Arbeiters, ſeine Adſcription an dem
Materiale des Grundſtücks, ſeine unzertrennliche Verbindung mit dem
Kapitale verlange“ (vgl. Lotz, Staatswiſſenſchaft II. S. 92). In dem-
ſelben Sinn ſchrieb G. v. Aretin (nicht zu verwechſeln mit J. C. von
Aretin, dem oft erwähnten Verfaſſer der „Staatswiſſenſchaft der con-
ſtitutionellen Monarchie“) ſeine Broſchüre: „Die grundherrlichen Rechte
in Bayern, eine Hauptſtütze des öffentlichen Wohlſtandes“ 1819. Dieſer
falſche Conſervativismus ſteigert ſich, wie die Gefahr für denſelben
wächst, bis zur Poeſie der Unfreiheit, namentlich in Bayern, wo
Seinsheim und Moy ſich in den Verhandlungen der bayeriſchen
Kammer ausſprachen (1840): „möge der landwirthſchaftliche Vortheil
auch unzweifelhaft ſein, ſo ſei ſelbſt die Umwandlung der Gutslaſten,
geſchweige denn die Aufhebung derſelben politiſch bedenklich, ſie hebe
die perſönliche Wechſelbeziehung von Gnade und Ergebenheit auf
und ſetze an ihre Stelle ein feſtes Rechnungsverhältniß ohne alle per-
ſönlichen Beziehungen“ (Rau, Volkswirthſchaftspflege §. 53). Auf dieſe
Weiſe darf es uns kaum wundern, wenn ſelbſt Männer wie Rau an-
fänglich noch ängſtlich das Zunftweſen gerne erhalten hätten („Ueber
das Zunftweſen und die Folgen ſeiner Aufhebung 1816“) — was er
freilich ſpäter änderte und wenn Mohls Polizeiwiſſenſchaft (2. Auf-
lage 1844) noch mit höchſter Vorſicht Zehnten und Frohnden ſcheidet
und ſich auf keinem Punkte zu einem höheren Geſichtspunkte als dem
der Entwicklung der landwirthſchaftlichen Produktion und dem Schutze
der beſtehenden Rechte erhebt, während noch Roſcher II. §. 124 (1860)
ſich mit der Phraſe hilft „mag die Aufhebung einiger“ (auch der
aus der Leibeigenſchaft folgender?) wohl gar aller bäuerlichen Laſten
— unter verzweifelten (!) Umſtänden ohne Entſchädigung nothwen-
dig ſein, ein ungeheures Unrecht und Unglück wird es immer bleiben.“
Daß man dieß „ungeheure Unrecht“ noch im Jahre 1860 für ein
„ungeheures Unglück“ auch in Beziehung auf die ohne Entſchädigung
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