gerichtsbarkeit anerkennen kann, und daß das zweite, die persönliche Abhängigkeit des Einzelnen vom Einzelnen, wie sie die Geschlechter- ordnung an den Grundbesitz gebunden hat, unbedingt vernichten muß. Allein die große Frage dieser Zeit ist der Weg und das Mittel, um zu diesem Ziele zu gelangen. Diese aber bestehen in der staatsbürgerlichen Verfassung, welche das Gesetz als den organischen Gesammtwillen des Volkes anerkennt. Die staatsbürgerliche Gesellschaft fordert daher die Verfassung; die Verfassung das Staatsbürgerthum; das Staatsbürger- thum aber die Befreiung von der Abhängigkeit der Person und des Be- sitzes des Einzelnen vom Einzelnen. Die Verfassung ist daher die formelle Hauptsache, aber die Grundentlastung ist ihre Verwirklichung für den Bauern. Und daher tritt von 1800 bis 1848 die Geschichte der Grundentlastung gegen die der Verfassung in den Hintergrund, und wie auch dem Wandernden das Ziel oft eben dadurch unsichtbar wird, daß er ihm näher kommt, so sehen in dieser Zeit die meisten Schriftsteller gar nicht, daß die Verfassung, nach der sie streben, doch zuletzt ohne Grund- entlastung keinen festen Boden hat. Man redet wenig von ihr; man schiebt sie zur Seite, aber so, wie man die großen Gedanken der Zukunft bei Seite schiebt, leise und ohne Kampf. Es ist, als ob alle wüßten, daß die Formfrage erledigt werden müßte, bevor man zur Hauptsache übergeht. Und daher noch immer die Hoffnung der herrschenden Klasse, die Befreiung der Beherrschten zurückzuhalten, die Grundentlastung zu verschieben oder unvollständig zu machen, daher die Unsicherheit der Regierungen, die noch allenthalben unter dem Druck dieser herrschenden Klasse stehen, in allem was sie für die beherrschte thut; daher das Fortbestehen der alten Namen und Verhältnisse der bäuerlichen Un- freiheit trotz der Gesetze, die nicht ganz zur Ausführung gelangen, und doch zu viel geben, um unbeachtet zu bleiben; daher denn aber auch der stille Zorn des Landmannes, der seine Stellung und ihren Wider- spruch fühit, einen Widerspruch, den die freien Städter nur noch empfind- licher machen gegenüber den noch Frohnen leistenden, der Erbgerichts- barkeit unterworfenen Bauern; daher die Macht des "Liberalismus" über das Landvolk; daher die Wahrheit und das tiefe Einschneiden jenes Wor- tes, das für Deutschland zuerst in der Darstellung des Socialismus und Communismus ausgesprochen wurde: "die nächste Revolution wird eine sociale sein"; daher, und wesentlich nur daher die Gewalt, und darin und wesentlich nur darin das große und dauernde Ergebniß des Jahres 1848.
Betrachtet man nun den Gang der Entlastung vor 1848 von diesem Standpunkt, so wird es wohl leicht verständlich, wenn wir sagen, daß dieß specielle Eingehen auf die einzelnen Bestrebungen und Arbeiten für dieselbe in Gesetz und Verwaltung nur einen Werth
gerichtsbarkeit anerkennen kann, und daß das zweite, die perſönliche Abhängigkeit des Einzelnen vom Einzelnen, wie ſie die Geſchlechter- ordnung an den Grundbeſitz gebunden hat, unbedingt vernichten muß. Allein die große Frage dieſer Zeit iſt der Weg und das Mittel, um zu dieſem Ziele zu gelangen. Dieſe aber beſtehen in der ſtaatsbürgerlichen Verfaſſung, welche das Geſetz als den organiſchen Geſammtwillen des Volkes anerkennt. Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft fordert daher die Verfaſſung; die Verfaſſung das Staatsbürgerthum; das Staatsbürger- thum aber die Befreiung von der Abhängigkeit der Perſon und des Be- ſitzes des Einzelnen vom Einzelnen. Die Verfaſſung iſt daher die formelle Hauptſache, aber die Grundentlaſtung iſt ihre Verwirklichung für den Bauern. Und daher tritt von 1800 bis 1848 die Geſchichte der Grundentlaſtung gegen die der Verfaſſung in den Hintergrund, und wie auch dem Wandernden das Ziel oft eben dadurch unſichtbar wird, daß er ihm näher kommt, ſo ſehen in dieſer Zeit die meiſten Schriftſteller gar nicht, daß die Verfaſſung, nach der ſie ſtreben, doch zuletzt ohne Grund- entlaſtung keinen feſten Boden hat. Man redet wenig von ihr; man ſchiebt ſie zur Seite, aber ſo, wie man die großen Gedanken der Zukunft bei Seite ſchiebt, leiſe und ohne Kampf. Es iſt, als ob alle wüßten, daß die Formfrage erledigt werden müßte, bevor man zur Hauptſache übergeht. Und daher noch immer die Hoffnung der herrſchenden Klaſſe, die Befreiung der Beherrſchten zurückzuhalten, die Grundentlaſtung zu verſchieben oder unvollſtändig zu machen, daher die Unſicherheit der Regierungen, die noch allenthalben unter dem Druck dieſer herrſchenden Klaſſe ſtehen, in allem was ſie für die beherrſchte thut; daher das Fortbeſtehen der alten Namen und Verhältniſſe der bäuerlichen Un- freiheit trotz der Geſetze, die nicht ganz zur Ausführung gelangen, und doch zu viel geben, um unbeachtet zu bleiben; daher denn aber auch der ſtille Zorn des Landmannes, der ſeine Stellung und ihren Wider- ſpruch fühit, einen Widerſpruch, den die freien Städter nur noch empfind- licher machen gegenüber den noch Frohnen leiſtenden, der Erbgerichts- barkeit unterworfenen Bauern; daher die Macht des „Liberalismus“ über das Landvolk; daher die Wahrheit und das tiefe Einſchneiden jenes Wor- tes, das für Deutſchland zuerſt in der Darſtellung des Socialismus und Communismus ausgeſprochen wurde: „die nächſte Revolution wird eine ſociale ſein“; daher, und weſentlich nur daher die Gewalt, und darin und weſentlich nur darin das große und dauernde Ergebniß des Jahres 1848.
Betrachtet man nun den Gang der Entlaſtung vor 1848 von dieſem Standpunkt, ſo wird es wohl leicht verſtändlich, wenn wir ſagen, daß dieß ſpecielle Eingehen auf die einzelnen Beſtrebungen und Arbeiten für dieſelbe in Geſetz und Verwaltung nur einen Werth
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Allein die große Frage dieſer Zeit iſt der Weg und das Mittel, um zu
dieſem Ziele zu gelangen. Dieſe aber beſtehen in der ſtaatsbürgerlichen
Verfaſſung, welche das Geſetz als den organiſchen Geſammtwillen des
Volkes anerkennt. Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft fordert daher die
Verfaſſung; die Verfaſſung das Staatsbürgerthum; das Staatsbürger-
thum aber die Befreiung von der Abhängigkeit der Perſon und des Be-
ſitzes des Einzelnen vom Einzelnen. Die Verfaſſung iſt daher die formelle
Hauptſache, aber die Grundentlaſtung iſt ihre Verwirklichung
für den Bauern. Und daher tritt von 1800 bis 1848 die Geſchichte
der Grundentlaſtung gegen die der Verfaſſung in den Hintergrund, und
wie auch dem Wandernden das Ziel oft eben dadurch unſichtbar wird, daß
er ihm näher kommt, ſo ſehen in dieſer Zeit die meiſten Schriftſteller gar
nicht, daß die Verfaſſung, nach der ſie ſtreben, doch zuletzt ohne Grund-
entlaſtung keinen feſten Boden hat. Man redet wenig von ihr; man
ſchiebt ſie zur Seite, aber ſo, wie man die großen Gedanken der Zukunft
bei Seite ſchiebt, leiſe und ohne Kampf. Es iſt, als ob alle wüßten,
daß die Formfrage erledigt werden müßte, bevor man zur Hauptſache
übergeht. Und daher noch immer die Hoffnung der herrſchenden Klaſſe,
die Befreiung der Beherrſchten zurückzuhalten, die Grundentlaſtung zu
verſchieben oder unvollſtändig zu machen, daher die Unſicherheit der
Regierungen, die noch allenthalben unter dem Druck dieſer herrſchenden
Klaſſe ſtehen, in allem was ſie für die beherrſchte thut; daher das
Fortbeſtehen der alten Namen und Verhältniſſe der bäuerlichen Un-
freiheit trotz der Geſetze, die nicht ganz zur Ausführung gelangen, und
doch zu viel geben, um unbeachtet zu bleiben; daher denn aber auch
der ſtille Zorn des Landmannes, der ſeine Stellung und ihren Wider-
ſpruch fühit, einen Widerſpruch, den die freien Städter nur noch empfind-
licher machen gegenüber den noch Frohnen leiſtenden, der Erbgerichts-
barkeit unterworfenen Bauern; daher die Macht des „Liberalismus“ über
das Landvolk; daher die Wahrheit und das tiefe Einſchneiden jenes Wor-
tes, das für Deutſchland zuerſt in der Darſtellung des Socialismus und
Communismus ausgeſprochen wurde: „die nächſte Revolution wird eine
ſociale ſein“; daher, und weſentlich nur daher die Gewalt, und darin und
weſentlich nur darin das große und dauernde Ergebniß des Jahres 1848.
Betrachtet man nun den Gang der Entlaſtung vor 1848 von
dieſem Standpunkt, ſo wird es wohl leicht verſtändlich, wenn wir
ſagen, daß dieß ſpecielle Eingehen auf die einzelnen Beſtrebungen
und Arbeiten für dieſelbe in Geſetz und Verwaltung nur einen Werth
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/221>, abgerufen am 21.11.2024.
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