hat für die Territorialgeschichte der einzelne Länder, denn es sind das eben vereinzelte Vorversuche für den definitiven Sieg der Neu- gestaltung der deutschen Gesellschaftsordnung seit 1848. Wir übergehen sie hier deßhalb, um so mehr als eine Erschöpfung in der That nur in eigenen Arbeiten möglich ist. Wohl aber dürfen wir bemerken, daß das einfache Zusammenwerfen dieser Erscheinungen mit denen nach 1848 oder der eigentlichen Grundentlastung, die Vorstellung als gäbe es hier keinen wesentlichen Unterschied in den großen Stadien der Ent- wicklung bis zu unserer Zeit, wie es namentlich bei dem sonst so acht- baren Judeich geschieht, und selbst bei Sugenheim, von den National- ökonomen wie Rau und Roscher oder der Polizeiwissenschaft zu schweigen, die überhaupt nur ein volkswirthschaftliches oder polizeiliches Ereigniß in der Sache sahen, eine einseitige ist. Daß auch die Historiographie, selbst die "Geschichte des 19. Jahrhunderts" von dem wahren und dauern- den Ergebniß des 19. Jahrhunderts so gut als gar nichts zu erzählen weiß, ist nur einer von den Beweisen dafür, daß, wenn Rechts- und Wissenschaftslehre einseitig sind, die Geschichtschreibung wahrlich auf ihrem bisherigen Standpunkt der geistreichen Beobachtung nicht dazu angethan ist, ihnen einen höheren Gesichtskreis zu verleihen. Doch hier liegen die Aufgaben der Zukunft der Wissenschaft. Wir wenden uns der Vergangenheit des Lebens zu.
Trotz jener Unsicherheit der jungen, mit dem 19. Jahrhundert entstehenden Staatsgewalt hat dennoch eben jene schwankende Bewegung für die Herstellung der Freiheit des Bauernstandes auf Einem Punkte ein sehr festes und klares Moment; und der ist es, der jene Bewegung selbst lebendig erhält. Dieß Moment ist das durch die französischen Kriege und die französische Vorherrschaft erlangte, namentlich seit der Schlacht von Jena allen Denkenden feststehende Bewußtsein, daß die Macht der Staaten wesentlich auf der Tüchtigkeit des Bauern- standes beruhe. Mit der Unmöglichkeit, sich diese alles überragende Thatsache zu läugnen, tritt die Unmöglichkeit ein, sie in der Ver- waltung, namentlich in der wirthschaftlichen, nicht mehr zu berück- sichtigen. Die Befreiung des Bauernstandes wird daher eine volks- wirthschaftliche Aufgabe der Verwaltung. Zwar steht der Anfang der Befreiung, der große Gedanke Steins, viel höher, und es erscheint bereits in dem contribuablen Bauernstande das Staatsbürger- thum unserer Gegenwart. Aber die quantitative Masse des Geistes der Regierungen folgt ihm nicht. Für sie kommt es noch nicht darauf an, den Stand der Bauern, sondern nur die Produktivkraft seines Besitzes zu befreien. Die Grundentlastung ist keine eigentliche Be- freiung des Bauern, sondern nur eine Hebung seiner wirthschaftlichen
hat für die Territorialgeſchichte der einzelne Länder, denn es ſind das eben vereinzelte Vorverſuche für den definitiven Sieg der Neu- geſtaltung der deutſchen Geſellſchaftsordnung ſeit 1848. Wir übergehen ſie hier deßhalb, um ſo mehr als eine Erſchöpfung in der That nur in eigenen Arbeiten möglich iſt. Wohl aber dürfen wir bemerken, daß das einfache Zuſammenwerfen dieſer Erſcheinungen mit denen nach 1848 oder der eigentlichen Grundentlaſtung, die Vorſtellung als gäbe es hier keinen weſentlichen Unterſchied in den großen Stadien der Ent- wicklung bis zu unſerer Zeit, wie es namentlich bei dem ſonſt ſo acht- baren Judeich geſchieht, und ſelbſt bei Sugenheim, von den National- ökonomen wie Rau und Roſcher oder der Polizeiwiſſenſchaft zu ſchweigen, die überhaupt nur ein volkswirthſchaftliches oder polizeiliches Ereigniß in der Sache ſahen, eine einſeitige iſt. Daß auch die Hiſtoriographie, ſelbſt die „Geſchichte des 19. Jahrhunderts“ von dem wahren und dauern- den Ergebniß des 19. Jahrhunderts ſo gut als gar nichts zu erzählen weiß, iſt nur einer von den Beweiſen dafür, daß, wenn Rechts- und Wiſſenſchaftslehre einſeitig ſind, die Geſchichtſchreibung wahrlich auf ihrem bisherigen Standpunkt der geiſtreichen Beobachtung nicht dazu angethan iſt, ihnen einen höheren Geſichtskreis zu verleihen. Doch hier liegen die Aufgaben der Zukunft der Wiſſenſchaft. Wir wenden uns der Vergangenheit des Lebens zu.
Trotz jener Unſicherheit der jungen, mit dem 19. Jahrhundert entſtehenden Staatsgewalt hat dennoch eben jene ſchwankende Bewegung für die Herſtellung der Freiheit des Bauernſtandes auf Einem Punkte ein ſehr feſtes und klares Moment; und der iſt es, der jene Bewegung ſelbſt lebendig erhält. Dieß Moment iſt das durch die franzöſiſchen Kriege und die franzöſiſche Vorherrſchaft erlangte, namentlich ſeit der Schlacht von Jena allen Denkenden feſtſtehende Bewußtſein, daß die Macht der Staaten weſentlich auf der Tüchtigkeit des Bauern- ſtandes beruhe. Mit der Unmöglichkeit, ſich dieſe alles überragende Thatſache zu läugnen, tritt die Unmöglichkeit ein, ſie in der Ver- waltung, namentlich in der wirthſchaftlichen, nicht mehr zu berück- ſichtigen. Die Befreiung des Bauernſtandes wird daher eine volks- wirthſchaftliche Aufgabe der Verwaltung. Zwar ſteht der Anfang der Befreiung, der große Gedanke Steins, viel höher, und es erſcheint bereits in dem contribuablen Bauernſtande das Staatsbürger- thum unſerer Gegenwart. Aber die quantitative Maſſe des Geiſtes der Regierungen folgt ihm nicht. Für ſie kommt es noch nicht darauf an, den Stand der Bauern, ſondern nur die Produktivkraft ſeines Beſitzes zu befreien. Die Grundentlaſtung iſt keine eigentliche Be- freiung des Bauern, ſondern nur eine Hebung ſeiner wirthſchaftlichen
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hat für die Territorialgeſchichte der einzelne Länder, denn es ſind
das eben vereinzelte Vorverſuche für den definitiven Sieg der Neu-
geſtaltung der deutſchen Geſellſchaftsordnung ſeit 1848. Wir übergehen
ſie hier deßhalb, um ſo mehr als eine Erſchöpfung in der That nur in
eigenen Arbeiten möglich iſt. Wohl aber dürfen wir bemerken, daß
das einfache Zuſammenwerfen dieſer Erſcheinungen mit denen nach
1848 oder der eigentlichen Grundentlaſtung, die Vorſtellung als gäbe
es hier keinen weſentlichen Unterſchied in den großen Stadien der Ent-
wicklung bis zu unſerer Zeit, wie es namentlich bei dem ſonſt ſo acht-
baren Judeich geſchieht, und ſelbſt bei Sugenheim, von den National-
ökonomen wie Rau und Roſcher oder der Polizeiwiſſenſchaft zu ſchweigen,
die überhaupt nur ein volkswirthſchaftliches oder polizeiliches Ereigniß in
der Sache ſahen, eine einſeitige iſt. Daß auch die Hiſtoriographie, ſelbſt
die „Geſchichte des 19. Jahrhunderts“ von dem wahren und dauern-
den Ergebniß des 19. Jahrhunderts ſo gut als gar nichts zu erzählen
weiß, iſt nur einer von den Beweiſen dafür, daß, wenn Rechts- und
Wiſſenſchaftslehre einſeitig ſind, die Geſchichtſchreibung wahrlich auf
ihrem bisherigen Standpunkt der geiſtreichen Beobachtung nicht dazu
angethan iſt, ihnen einen höheren Geſichtskreis zu verleihen. Doch hier
liegen die Aufgaben der Zukunft der Wiſſenſchaft. Wir wenden uns
der Vergangenheit des Lebens zu.
Trotz jener Unſicherheit der jungen, mit dem 19. Jahrhundert
entſtehenden Staatsgewalt hat dennoch eben jene ſchwankende Bewegung
für die Herſtellung der Freiheit des Bauernſtandes auf Einem Punkte
ein ſehr feſtes und klares Moment; und der iſt es, der jene Bewegung
ſelbſt lebendig erhält. Dieß Moment iſt das durch die franzöſiſchen
Kriege und die franzöſiſche Vorherrſchaft erlangte, namentlich ſeit der
Schlacht von Jena allen Denkenden feſtſtehende Bewußtſein, daß die
Macht der Staaten weſentlich auf der Tüchtigkeit des Bauern-
ſtandes beruhe. Mit der Unmöglichkeit, ſich dieſe alles überragende
Thatſache zu läugnen, tritt die Unmöglichkeit ein, ſie in der Ver-
waltung, namentlich in der wirthſchaftlichen, nicht mehr zu berück-
ſichtigen. Die Befreiung des Bauernſtandes wird daher eine volks-
wirthſchaftliche Aufgabe der Verwaltung. Zwar ſteht der
Anfang der Befreiung, der große Gedanke Steins, viel höher, und es
erſcheint bereits in dem contribuablen Bauernſtande das Staatsbürger-
thum unſerer Gegenwart. Aber die quantitative Maſſe des Geiſtes
der Regierungen folgt ihm nicht. Für ſie kommt es noch nicht darauf
an, den Stand der Bauern, ſondern nur die Produktivkraft ſeines
Beſitzes zu befreien. Die Grundentlaſtung iſt keine eigentliche Be-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/222>, abgerufen am 21.11.2024.
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