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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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gemessene, und viele meinten, daß damit das Höchste erreicht sei. Allein
auch in denjenigen Fällen, wo der Staat die Ablösung vorschreibt,
läßt er sie wesentlich durch dasjenige Organ vornehmen, welches das
größte Interesse hat, sie hinauszuschieben oder geradezu zu verhindern,
den Erbgerichtsherrn. So wird thatsächlich aus der Ablösung ein nur
im Einzelnen gelingender, im Ganzen aber mißlungener Versuch. Auf
allen denjenigen Punkten aber, wo es sich nicht um Lasten und Leistun-
gen, sondern um andere Rechte aus dem alten Geschlechternexus handelt,
tritt auch nicht einmal die Ablösbarkeit ein, sondern das Verhältniß
bleibt geradezu unberührt. Dahin gehört namentlich der Lehnsnexus,
den diese ganze Epoche mit dem unbestimmten Begriff und Inhalt des
"Obereigenthums" bestehen läßt, und zweitens die Reallasten und
Bannrechte aller Art, die in den meisten Theilen Deutschlands eben
so ungeschmälert fortbestehen, wie früher, und wie neben ihnen die
ganze alte ständische Zunftverfassung. Das Gesammtergebniß ist, daß
nicht das bäuerliche Eigenthum, sondern nur die Produktivkraft der
bäuerlichen Wirthschaften dem Gegenstand der befreienden Thätigkeit
dieser Epoche bilden; und das charakteristische Merkmal dafür ist das
einfache Fortbestehen der Patrimonialgerichtsbarkeit.

Wenn das Verhältniß der Patrimonialgerichtsbarkeit bis zum
Jahre 1848 einmal eine eingehende, an die frühere Rechtsordnung sich
anschließende und den Geist des 19. Jahrhunderts verstehende Dar-
stellung finden wird, so wird man erkennen, weßhalb Deutschland
unter den großen Völkern Europas erst jetzt den Rang einzunehmen
beginnt, der ihm zukommt. Ein Land und Volk, das das Privateigen-
thum an den wichtigsten Funktionen des inneren Staatslebens als ein
unerschütterliches Recht anerkannte, konnte freilich bei den Engländern
und Franzosen nur mit Spott und Mißachtung angesehen werden. In
der That ist es nur historisch aus den wunderbar verwirrten gesell-
schaftlichen und staatlichen Verhältnissen Deutschlands zu begreifen, daß
man nicht eben absolute, sondern auch verfassungsmäßig scheinbar voll-
ständig entwickelte Staaten fand, welche ohne alles Bedenken die ganze
Patrimonialgerichtsbarkeit des 18. Jahrhunderts in sich forttrugen. Und
das Beachtenswertheste ist, daß die Hälfte aller Männer der Wissen-
schaft in ernsthaftester Weise über die Grundentlastung schreiben und
sprechen konnte, ohne auch nur zu ahnen, daß sie ein ewig Unmög-
liches bleiben müsse, so lange der alte Grundherr noch Erbgerichtsherr
blieb. Es ist in der That etwas Naives in dieser Erscheinung, die
sich nicht bloß bei den Gelehrten der Volkswirthschaft, sondern selbst
bei den strengsten Fachmännern, wie bei Thaer und Stüve, wiederholt.
Wir müssen leider sagen, daß diese Patrimonialgerichtsbarkeit nicht nur

gemeſſene, und viele meinten, daß damit das Höchſte erreicht ſei. Allein
auch in denjenigen Fällen, wo der Staat die Ablöſung vorſchreibt,
läßt er ſie weſentlich durch dasjenige Organ vornehmen, welches das
größte Intereſſe hat, ſie hinauszuſchieben oder geradezu zu verhindern,
den Erbgerichtsherrn. So wird thatſächlich aus der Ablöſung ein nur
im Einzelnen gelingender, im Ganzen aber mißlungener Verſuch. Auf
allen denjenigen Punkten aber, wo es ſich nicht um Laſten und Leiſtun-
gen, ſondern um andere Rechte aus dem alten Geſchlechternexus handelt,
tritt auch nicht einmal die Ablösbarkeit ein, ſondern das Verhältniß
bleibt geradezu unberührt. Dahin gehört namentlich der Lehnsnexus,
den dieſe ganze Epoche mit dem unbeſtimmten Begriff und Inhalt des
„Obereigenthums“ beſtehen läßt, und zweitens die Reallaſten und
Bannrechte aller Art, die in den meiſten Theilen Deutſchlands eben
ſo ungeſchmälert fortbeſtehen, wie früher, und wie neben ihnen die
ganze alte ſtändiſche Zunftverfaſſung. Das Geſammtergebniß iſt, daß
nicht das bäuerliche Eigenthum, ſondern nur die Produktivkraft der
bäuerlichen Wirthſchaften dem Gegenſtand der befreienden Thätigkeit
dieſer Epoche bilden; und das charakteriſtiſche Merkmal dafür iſt das
einfache Fortbeſtehen der Patrimonialgerichtsbarkeit.

Wenn das Verhältniß der Patrimonialgerichtsbarkeit bis zum
Jahre 1848 einmal eine eingehende, an die frühere Rechtsordnung ſich
anſchließende und den Geiſt des 19. Jahrhunderts verſtehende Dar-
ſtellung finden wird, ſo wird man erkennen, weßhalb Deutſchland
unter den großen Völkern Europas erſt jetzt den Rang einzunehmen
beginnt, der ihm zukommt. Ein Land und Volk, das das Privateigen-
thum an den wichtigſten Funktionen des inneren Staatslebens als ein
unerſchütterliches Recht anerkannte, konnte freilich bei den Engländern
und Franzoſen nur mit Spott und Mißachtung angeſehen werden. In
der That iſt es nur hiſtoriſch aus den wunderbar verwirrten geſell-
ſchaftlichen und ſtaatlichen Verhältniſſen Deutſchlands zu begreifen, daß
man nicht eben abſolute, ſondern auch verfaſſungsmäßig ſcheinbar voll-
ſtändig entwickelte Staaten fand, welche ohne alles Bedenken die ganze
Patrimonialgerichtsbarkeit des 18. Jahrhunderts in ſich forttrugen. Und
das Beachtenswertheſte iſt, daß die Hälfte aller Männer der Wiſſen-
ſchaft in ernſthafteſter Weiſe über die Grundentlaſtung ſchreiben und
ſprechen konnte, ohne auch nur zu ahnen, daß ſie ein ewig Unmög-
liches bleiben müſſe, ſo lange der alte Grundherr noch Erbgerichtsherr
blieb. Es iſt in der That etwas Naives in dieſer Erſcheinung, die
ſich nicht bloß bei den Gelehrten der Volkswirthſchaft, ſondern ſelbſt
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[206/0224] gemeſſene, und viele meinten, daß damit das Höchſte erreicht ſei. Allein auch in denjenigen Fällen, wo der Staat die Ablöſung vorſchreibt, läßt er ſie weſentlich durch dasjenige Organ vornehmen, welches das größte Intereſſe hat, ſie hinauszuſchieben oder geradezu zu verhindern, den Erbgerichtsherrn. So wird thatſächlich aus der Ablöſung ein nur im Einzelnen gelingender, im Ganzen aber mißlungener Verſuch. Auf allen denjenigen Punkten aber, wo es ſich nicht um Laſten und Leiſtun- gen, ſondern um andere Rechte aus dem alten Geſchlechternexus handelt, tritt auch nicht einmal die Ablösbarkeit ein, ſondern das Verhältniß bleibt geradezu unberührt. Dahin gehört namentlich der Lehnsnexus, den dieſe ganze Epoche mit dem unbeſtimmten Begriff und Inhalt des „Obereigenthums“ beſtehen läßt, und zweitens die Reallaſten und Bannrechte aller Art, die in den meiſten Theilen Deutſchlands eben ſo ungeſchmälert fortbeſtehen, wie früher, und wie neben ihnen die ganze alte ſtändiſche Zunftverfaſſung. Das Geſammtergebniß iſt, daß nicht das bäuerliche Eigenthum, ſondern nur die Produktivkraft der bäuerlichen Wirthſchaften dem Gegenſtand der befreienden Thätigkeit dieſer Epoche bilden; und das charakteriſtiſche Merkmal dafür iſt das einfache Fortbeſtehen der Patrimonialgerichtsbarkeit. Wenn das Verhältniß der Patrimonialgerichtsbarkeit bis zum Jahre 1848 einmal eine eingehende, an die frühere Rechtsordnung ſich anſchließende und den Geiſt des 19. Jahrhunderts verſtehende Dar- ſtellung finden wird, ſo wird man erkennen, weßhalb Deutſchland unter den großen Völkern Europas erſt jetzt den Rang einzunehmen beginnt, der ihm zukommt. Ein Land und Volk, das das Privateigen- thum an den wichtigſten Funktionen des inneren Staatslebens als ein unerſchütterliches Recht anerkannte, konnte freilich bei den Engländern und Franzoſen nur mit Spott und Mißachtung angeſehen werden. In der That iſt es nur hiſtoriſch aus den wunderbar verwirrten geſell- ſchaftlichen und ſtaatlichen Verhältniſſen Deutſchlands zu begreifen, daß man nicht eben abſolute, ſondern auch verfaſſungsmäßig ſcheinbar voll- ſtändig entwickelte Staaten fand, welche ohne alles Bedenken die ganze Patrimonialgerichtsbarkeit des 18. Jahrhunderts in ſich forttrugen. Und das Beachtenswertheſte iſt, daß die Hälfte aller Männer der Wiſſen- ſchaft in ernſthafteſter Weiſe über die Grundentlaſtung ſchreiben und ſprechen konnte, ohne auch nur zu ahnen, daß ſie ein ewig Unmög- liches bleiben müſſe, ſo lange der alte Grundherr noch Erbgerichtsherr blieb. Es iſt in der That etwas Naives in dieſer Erſcheinung, die ſich nicht bloß bei den Gelehrten der Volkswirthſchaft, ſondern ſelbſt bei den ſtrengſten Fachmännern, wie bei Thaer und Stüve, wiederholt. Wir müſſen leider ſagen, daß dieſe Patrimonialgerichtsbarkeit nicht nur

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/224>, abgerufen am 24.11.2024.