liche Verwaltung nicht liegen läßt, sondern zum Theil mit großer Energie fortsetzt, so ergibt sich leicht, daß die Volkswirthschaftslehre, die selbst ohne System ist, sich unbewußt dem an Macht und Bedeutung weit überwiegenden Gange der Verwaltung anschließt; sie wird ihre Hauptaufgabe darin suchen, eben dieses System und diese Maßregeln der Verwaltung zu erklären, zu fördern, auch zu bekämpfen; sie wird aus einer Wissenschaft zu einem großen Commentar der wirklichen Ver- waltung; sie findet sich selbst nur in demjenigen, was sie für oder gegen jene Richtung der Verwaltung zu sagen weiß, und schließt damit, das verwaltungsrechtliche Princip für das nationalökono- mische zu halten, und eine bestimmte Grundauffassung für die Thä- tigkeit der Verwaltung in wirthschaftlichen Dingen für eine Schule der Volkswirthschaftslehre anzusehen. Damit ist denn der Boden fester Bestimmungen verloren; jetzt erscheinen die Begriffe der "reinen" Nationalökonomie nur noch in dem Lichte, in welchem jene -- ihres eigenen Wesens unbewußte -- Verwaltungs- lehre sie fordert oder braucht; sie werden nur so weit herbeigezogen, als man sie braucht; sie werden nur in so weit entwickelt, als sie auf jene volkswirthschaftlichen Maßregeln Bezug haben; und da es keine solche gibt, die nicht mit großen und allgemein wirthschaftlichen Interessen in Berührung stünden, so kann es geschehen, daß jetzt in der Volks- wirthschaft statt eines wissenschaftlichen Systems vielmehr Parteien und Parteiinteressen entstehen, jede mit ihrer Volkswirthschafts- lehre als Troß und Dienerin des bestimmten administrativen Zweckes, den man ins Auge faßt. Damit verliert denn die reine Wissenschaft ihren Werth, und die Wahrheiten gewinnen die alte Eigenschaft, um so ernstlicher bekämpft zu werden, je weniger sie sich den speciellen Zwecken dienstbar erzeigen können. Die Volkswirthschaftslehre aber, will sie in einem solchen Zustand noch Bedeutung haben, muß von ihrer Stellung herabsteigen, und aus einer großen organischen Wissen- schaft zu einer geistigen Räumlichkeit werden, in die man Ueberflüssiges hineinstellt oder Nothwendiges aufbewahrt, eine ordnungs- und vor allen Dingen charakterlose Sammlung von Einzelheiten, die für und gegen alles Gründe und Citate hat, ein Nachschlagebuch für jedes Interesse, eine bereite Dienerin, die niemandem absolut wider- spricht, allen in etwas nützt, dafür aber auch selbständig weder Mühe noch Gefahr, weder tiefen Ernst noch ernste Tiefe hat, und zu einer Berieselungs-Anstalt für alle möglichen Ansichten des sogenannten "praktischen Lebens" wird. Das ist zum Theil die Lage dieser Wissen- schaft geworden; nirgends deutlicher ist dieselbe, als in dem bekannten Streit über Freihandel und Schutzzoll, die durchaus volkswirthschaftliche
liche Verwaltung nicht liegen läßt, ſondern zum Theil mit großer Energie fortſetzt, ſo ergibt ſich leicht, daß die Volkswirthſchaftslehre, die ſelbſt ohne Syſtem iſt, ſich unbewußt dem an Macht und Bedeutung weit überwiegenden Gange der Verwaltung anſchließt; ſie wird ihre Hauptaufgabe darin ſuchen, eben dieſes Syſtem und dieſe Maßregeln der Verwaltung zu erklären, zu fördern, auch zu bekämpfen; ſie wird aus einer Wiſſenſchaft zu einem großen Commentar der wirklichen Ver- waltung; ſie findet ſich ſelbſt nur in demjenigen, was ſie für oder gegen jene Richtung der Verwaltung zu ſagen weiß, und ſchließt damit, das verwaltungsrechtliche Princip für das nationalökono- miſche zu halten, und eine beſtimmte Grundauffaſſung für die Thä- tigkeit der Verwaltung in wirthſchaftlichen Dingen für eine Schule der Volkswirthſchaftslehre anzuſehen. Damit iſt denn der Boden feſter Beſtimmungen verloren; jetzt erſcheinen die Begriffe der „reinen“ Nationalökonomie nur noch in dem Lichte, in welchem jene — ihres eigenen Weſens unbewußte — Verwaltungs- lehre ſie fordert oder braucht; ſie werden nur ſo weit herbeigezogen, als man ſie braucht; ſie werden nur in ſo weit entwickelt, als ſie auf jene volkswirthſchaftlichen Maßregeln Bezug haben; und da es keine ſolche gibt, die nicht mit großen und allgemein wirthſchaftlichen Intereſſen in Berührung ſtünden, ſo kann es geſchehen, daß jetzt in der Volks- wirthſchaft ſtatt eines wiſſenſchaftlichen Syſtems vielmehr Parteien und Parteiintereſſen entſtehen, jede mit ihrer Volkswirthſchafts- lehre als Troß und Dienerin des beſtimmten adminiſtrativen Zweckes, den man ins Auge faßt. Damit verliert denn die reine Wiſſenſchaft ihren Werth, und die Wahrheiten gewinnen die alte Eigenſchaft, um ſo ernſtlicher bekämpft zu werden, je weniger ſie ſich den ſpeciellen Zwecken dienſtbar erzeigen können. Die Volkswirthſchaftslehre aber, will ſie in einem ſolchen Zuſtand noch Bedeutung haben, muß von ihrer Stellung herabſteigen, und aus einer großen organiſchen Wiſſen- ſchaft zu einer geiſtigen Räumlichkeit werden, in die man Ueberflüſſiges hineinſtellt oder Nothwendiges aufbewahrt, eine ordnungs- und vor allen Dingen charakterloſe Sammlung von Einzelheiten, die für und gegen alles Gründe und Citate hat, ein Nachſchlagebuch für jedes Intereſſe, eine bereite Dienerin, die niemandem abſolut wider- ſpricht, allen in etwas nützt, dafür aber auch ſelbſtändig weder Mühe noch Gefahr, weder tiefen Ernſt noch ernſte Tiefe hat, und zu einer Berieſelungs-Anſtalt für alle möglichen Anſichten des ſogenannten „praktiſchen Lebens“ wird. Das iſt zum Theil die Lage dieſer Wiſſen- ſchaft geworden; nirgends deutlicher iſt dieſelbe, als in dem bekannten Streit über Freihandel und Schutzzoll, die durchaus volkswirthſchaftliche
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[16/0034]
liche Verwaltung nicht liegen läßt, ſondern zum Theil mit großer
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ſelbſt ohne Syſtem iſt, ſich unbewußt dem an Macht und Bedeutung
weit überwiegenden Gange der Verwaltung anſchließt; ſie wird ihre
Hauptaufgabe darin ſuchen, eben dieſes Syſtem und dieſe Maßregeln
der Verwaltung zu erklären, zu fördern, auch zu bekämpfen; ſie wird
aus einer Wiſſenſchaft zu einem großen Commentar der wirklichen Ver-
waltung; ſie findet ſich ſelbſt nur in demjenigen, was ſie für oder
gegen jene Richtung der Verwaltung zu ſagen weiß, und ſchließt damit,
das verwaltungsrechtliche Princip für das nationalökono-
miſche zu halten, und eine beſtimmte Grundauffaſſung für die Thä-
tigkeit der Verwaltung in wirthſchaftlichen Dingen für
eine Schule der Volkswirthſchaftslehre anzuſehen. Damit
iſt denn der Boden feſter Beſtimmungen verloren; jetzt erſcheinen die
Begriffe der „reinen“ Nationalökonomie nur noch in dem Lichte, in
welchem jene — ihres eigenen Weſens unbewußte — Verwaltungs-
lehre ſie fordert oder braucht; ſie werden nur ſo weit herbeigezogen,
als man ſie braucht; ſie werden nur in ſo weit entwickelt, als ſie auf
jene volkswirthſchaftlichen Maßregeln Bezug haben; und da es keine
ſolche gibt, die nicht mit großen und allgemein wirthſchaftlichen Intereſſen
in Berührung ſtünden, ſo kann es geſchehen, daß jetzt in der Volks-
wirthſchaft ſtatt eines wiſſenſchaftlichen Syſtems vielmehr Parteien
und Parteiintereſſen entſtehen, jede mit ihrer Volkswirthſchafts-
lehre als Troß und Dienerin des beſtimmten adminiſtrativen Zweckes,
den man ins Auge faßt. Damit verliert denn die reine Wiſſenſchaft
ihren Werth, und die Wahrheiten gewinnen die alte Eigenſchaft, um
ſo ernſtlicher bekämpft zu werden, je weniger ſie ſich den ſpeciellen
Zwecken dienſtbar erzeigen können. Die Volkswirthſchaftslehre aber,
will ſie in einem ſolchen Zuſtand noch Bedeutung haben, muß von
ihrer Stellung herabſteigen, und aus einer großen organiſchen Wiſſen-
ſchaft zu einer geiſtigen Räumlichkeit werden, in die man Ueberflüſſiges
hineinſtellt oder Nothwendiges aufbewahrt, eine ordnungs- und vor
allen Dingen charakterloſe Sammlung von Einzelheiten, die für
und gegen alles Gründe und Citate hat, ein Nachſchlagebuch für
jedes Intereſſe, eine bereite Dienerin, die niemandem abſolut wider-
ſpricht, allen in etwas nützt, dafür aber auch ſelbſtändig weder Mühe
noch Gefahr, weder tiefen Ernſt noch ernſte Tiefe hat, und zu einer
Berieſelungs-Anſtalt für alle möglichen Anſichten des ſogenannten
„praktiſchen Lebens“ wird. Das iſt zum Theil die Lage dieſer Wiſſen-
ſchaft geworden; nirgends deutlicher iſt dieſelbe, als in dem bekannten
Streit über Freihandel und Schutzzoll, die durchaus volkswirthſchaftliche
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/34>, abgerufen am 03.12.2024.
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