Auskunft über Kulisehu und Kuluene. Antonio und Carlos zurück. Ein Weltteil, in dem nicht gelacht wird. Dorfanlage. Vorstellung der Personen. Mein Flötenhaus. In Paleko's Haus. Bewirtung. Bohnenkochen und Tanzlieder. Aeussere Erscheinung der Indianer. Nacktheit und Schamgefühl. Essen und Schamgefühl. Tabakkollegium. Pantomime: Flussfahrt, Tagereisen, Stämme, Steinbeilarbeit. Vorführung von "Mäh" und "Wauwau". Tabakpflanzen. Fisch- fang in der Lagune. Kanubau.
Schon am ersten Abend erhielt ich eine ziemlich klare Vorstellung von den Anwohnern des Kulisehu, die uns in Aussicht standen. Es gab drei Bakairi- dörfer; ihnen sollten folgen ein Dorf der "Nahuqua", zwei Dörfer der "Minaku", ein Dorf der "Auiti", ein Dorf der "Yaulapihü" und am "Kuluene" ein Dorf der "Trumai". Zwischen dem Kulisehu und dem Tamitotoala-Batovy sollten noch die "Kamayula" und die "Waura" wohnen. Unsicher blieb, was der Flussname "Ku- luene" bedeute, den ich jetzt zum ersten Mal hörte. Erst allmählich lernte ich ver- stehen, dass es der im Osten gelegene Hauptfluss sei, grösser als der Kulisehu, der in ihn einmünde. Also war der Fluss, den wir 1884 bei Schingu-Koblenz von SO hatten heranziehen sehen, nicht eigentlich der "Kulisehu", wie wir damals verstanden und bisher geglaubt hatten, sondern der vereinigte Kuluene-Kulisehu gewesen: der Name "Kuluene" blieb auch dem Schingu selbst unterhalb der grossen Gabelung, sodass z. B. die Suya am Kuluene wohnten. Wollte man nach der Nomenklatur der Eingeborenen verfahren, müsste man an Stelle von "Schingu" den Namen "Kuluene" gebrauchen und nun sagen, dass der Kuluene zuerst den Kulisehu und dann bei "Koblenz" den Ronuro mit dem Tamitotoala-Batovy aufnimmt.
Es war ein schwer Stück Arbeit, diese Angaben von den Bakairi heraus- zubekommen; es wurde dabei viel in den Sand gezeichnet, viel Pantomime ge- trieben und, wenn ein Stück des Weges unklar geblieben war, immer wieder von vorne angefangen. Für's Erste wusste ich genug; die einzelnen Stämme wohnten offenbar nur um wenige, im höchsten Fall drei Tagereisen von einander entfernt. Auch eine böse Nachricht wurde mir zu Teil, und ich gestehe, dass sie mir die bisher so angenehme Erinnerung an die erste Expedition verdarb: als die Trumai
V. KAPITEL. Bakaïrí-Idylle.
I.
Auskunft über Kulisehu und Kuluëne. Antonio und Carlos zurück. Ein Weltteil, in dem nicht gelacht wird. Dorfanlage. Vorstellung der Personen. Mein Flötenhaus. In Paleko’s Haus. Bewirtung. Bohnenkochen und Tanzlieder. Aeussere Erscheinung der Indianer. Nacktheit und Schamgefühl. Essen und Schamgefühl. Tabakkollegium. Pantomime: Flussfahrt, Tagereisen, Stämme, Steinbeilarbeit. Vorführung von »Mäh« und »Wauwau«. Tabakpflanzen. Fisch- fang in der Lagune. Kanubau.
Schon am ersten Abend erhielt ich eine ziemlich klare Vorstellung von den Anwohnern des Kulisehu, die uns in Aussicht standen. Es gab drei Bakaïrí- dörfer; ihnen sollten folgen ein Dorf der »Nahuquá«, zwei Dörfer der »Minakú«, ein Dorf der »Auití«, ein Dorf der »Yaulapihü« und am »Kuluëne« ein Dorf der »Trumaí«. Zwischen dem Kulisehu und dem Tamitotoala-Batovy sollten noch die »Kamayulá« und die »Waurá« wohnen. Unsicher blieb, was der Flussname »Ku- luëne« bedeute, den ich jetzt zum ersten Mal hörte. Erst allmählich lernte ich ver- stehen, dass es der im Osten gelegene Hauptfluss sei, grösser als der Kulisehu, der in ihn einmünde. Also war der Fluss, den wir 1884 bei Schingú-Koblenz von SO hatten heranziehen sehen, nicht eigentlich der »Kulisehu«, wie wir damals verstanden und bisher geglaubt hatten, sondern der vereinigte Kuluëne-Kulisehu gewesen: der Name »Kuluëne« blieb auch dem Schingú selbst unterhalb der grossen Gabelung, sodass z. B. die Suyá am Kuluëne wohnten. Wollte man nach der Nomenklatur der Eingeborenen verfahren, müsste man an Stelle von »Schingú« den Namen »Kuluëne« gebrauchen und nun sagen, dass der Kuluëne zuerst den Kulisehu und dann bei »Koblenz« den Ronuro mit dem Tamitotoala-Batovy aufnimmt.
Es war ein schwer Stück Arbeit, diese Angaben von den Bakaïrí heraus- zubekommen; es wurde dabei viel in den Sand gezeichnet, viel Pantomime ge- trieben und, wenn ein Stück des Weges unklar geblieben war, immer wieder von vorne angefangen. Für’s Erste wusste ich genug; die einzelnen Stämme wohnten offenbar nur um wenige, im höchsten Fall drei Tagereisen von einander entfernt. Auch eine böse Nachricht wurde mir zu Teil, und ich gestehe, dass sie mir die bisher so angenehme Erinnerung an die erste Expedition verdarb: als die Trumaí
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Bakaïrí-Idylle.
I.
Auskunft über Kulisehu und Kuluëne. Antonio und Carlos zurück. Ein Weltteil, in dem
nicht gelacht wird. Dorfanlage. Vorstellung der Personen. Mein Flötenhaus. In Paleko’s Haus.
Bewirtung. Bohnenkochen und Tanzlieder. Aeussere Erscheinung der Indianer. Nacktheit und
Schamgefühl. Essen und Schamgefühl. Tabakkollegium. Pantomime: Flussfahrt,
Tagereisen, Stämme, Steinbeilarbeit. Vorführung von »Mäh« und »Wauwau«. Tabakpflanzen. Fisch-
fang in der Lagune. Kanubau.
Schon am ersten Abend erhielt ich eine ziemlich klare Vorstellung von den
Anwohnern des Kulisehu, die uns in Aussicht standen. Es gab drei Bakaïrí-
dörfer; ihnen sollten folgen ein Dorf der »Nahuquá«, zwei Dörfer der »Minakú«,
ein Dorf der »Auití«, ein Dorf der »Yaulapihü« und am »Kuluëne« ein Dorf der
»Trumaí«. Zwischen dem Kulisehu und dem Tamitotoala-Batovy sollten noch die
»Kamayulá« und die »Waurá« wohnen. Unsicher blieb, was der Flussname »Ku-
luëne« bedeute, den ich jetzt zum ersten Mal hörte. Erst allmählich lernte ich ver-
stehen, dass es der im Osten gelegene Hauptfluss sei, grösser als der Kulisehu, der in
ihn einmünde. Also war der Fluss, den wir 1884 bei Schingú-Koblenz von SO
hatten heranziehen sehen, nicht eigentlich der »Kulisehu«, wie wir damals verstanden
und bisher geglaubt hatten, sondern der vereinigte Kuluëne-Kulisehu gewesen: der
Name »Kuluëne« blieb auch dem Schingú selbst unterhalb der grossen Gabelung,
sodass z. B. die Suyá am Kuluëne wohnten. Wollte man nach der Nomenklatur
der Eingeborenen verfahren, müsste man an Stelle von »Schingú« den Namen
»Kuluëne« gebrauchen und nun sagen, dass der Kuluëne zuerst den Kulisehu
und dann bei »Koblenz« den Ronuro mit dem Tamitotoala-Batovy aufnimmt.
Es war ein schwer Stück Arbeit, diese Angaben von den Bakaïrí heraus-
zubekommen; es wurde dabei viel in den Sand gezeichnet, viel Pantomime ge-
trieben und, wenn ein Stück des Weges unklar geblieben war, immer wieder von
vorne angefangen. Für’s Erste wusste ich genug; die einzelnen Stämme wohnten
offenbar nur um wenige, im höchsten Fall drei Tagereisen von einander entfernt.
Auch eine böse Nachricht wurde mir zu Teil, und ich gestehe, dass sie mir die
bisher so angenehme Erinnerung an die erste Expedition verdarb: als die Trumaí
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. [55]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/83>, abgerufen am 25.11.2024.
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