Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

zwischen Trendelenburg und Becker rücksichtlich der allgemei-
nen Weise der wissenschaftlichen Forschung Statt findet; auch
haben wir schon speciell bei der Ansicht Beckers von der Ent-
stehung und Bildung des Urtheils seinen Widerspruch gegen
Trendelenburg hervorgehoben. Hier kommen wir auf diesen
Punkt zurück. Denn es ist für unsere Absicht, die Verschie-
denheit von Logik und Grammatik darzuthun, interessant, zu
sehen, wie Trendelenburg, so gern er sich auch der sprach-
lichen Anschauung nähern möchte, ihr dennoch fern bleibt, als
Logiker: und wie dagegen Becker, von der Sprache immer zur
Logik abspringend, die eine verläßt, ohne die andere zu gewin-
nen, und so statt der grammatischen Ansicht nur eine schlechte
logische gewinnt; denn die sprachlichen Verhältnisse wirken doch
zu mächtig auf ihn, um zu einer reinen logischen Untersuchung
gelangen zu können. So kann uns also Beckers Widerspruch
gegen Trendelenburg in doppelter Beziehung die Verschiedenheit
von Grammatik und Logik zeigen; und noch abgesehen hiervon
werden wir diese Verschiedenheit auch daraus ersehen, daß
Trendelenburgs logische Theorie vom Urtheil den Satz nicht
berührt.

§. 77. Begriff und Urtheil und Satz.

Wenn Becker den Satz oder das Urtheil erklärt als die
Aufnahme eines Besondern, eines Seins, in ein Allgemeines, eine
Thätigkeit, welche beide als fertige Begriffe in dem Begriffsvor-
rathe der Sprache liegen: so findet sich hiervon bei Trendelenburg
nichts oder vielmehr gerade das Gegentheil. Er läßt den Begriff
aus einem primitiven Urtheil entstehen, welches eine bloße Thä-
tigkeit ohne Subject enthält. "Der Begriff", heißt es bei ihm
(II. S. 145), "entsteht auf ähnliche Weise aus dem ersten Ur-
theil der bloßen Thätigkeit, wie die Substanz aus der gestalten-
den Thätigkeit; und wie sich ferner die Substanz in der Thä-
tigkeit äußert, so wird das Subject im Prädicate, der Begriff
im Urtheil lebendig. -- Ein einfaches Beispiel mag es erläutern.
Die Sprache faßt den Satz: es blitzt nach seiner Form als
ein Urtheil einer ursprünglichen Thätigkeit auf. Diese Thätig-
keit wird im Begriffe Blitz Substanz, und die Substanz äußert
sich in Eigenschaften. Der Begriff offenbart sich im Prädicate,
z. B. der Blitz leuchtet, zackt sich u. s. w. So verhält es sich
ursprünglich immer; nur daß wir selten aus ersten Thätigkeiten,
sondern meistens aus der Thätigkeit der Subjecte ableiten."

zwischen Trendelenburg und Becker rücksichtlich der allgemei-
nen Weise der wissenschaftlichen Forschung Statt findet; auch
haben wir schon speciell bei der Ansicht Beckers von der Ent-
stehung und Bildung des Urtheils seinen Widerspruch gegen
Trendelenburg hervorgehoben. Hier kommen wir auf diesen
Punkt zurück. Denn es ist für unsere Absicht, die Verschie-
denheit von Logik und Grammatik darzuthun, interessant, zu
sehen, wie Trendelenburg, so gern er sich auch der sprach-
lichen Anschauung nähern möchte, ihr dennoch fern bleibt, als
Logiker: und wie dagegen Becker, von der Sprache immer zur
Logik abspringend, die eine verläßt, ohne die andere zu gewin-
nen, und so statt der grammatischen Ansicht nur eine schlechte
logische gewinnt; denn die sprachlichen Verhältnisse wirken doch
zu mächtig auf ihn, um zu einer reinen logischen Untersuchung
gelangen zu können. So kann uns also Beckers Widerspruch
gegen Trendelenburg in doppelter Beziehung die Verschiedenheit
von Grammatik und Logik zeigen; und noch abgesehen hiervon
werden wir diese Verschiedenheit auch daraus ersehen, daß
Trendelenburgs logische Theorie vom Urtheil den Satz nicht
berührt.

§. 77. Begriff und Urtheil und Satz.

Wenn Becker den Satz oder das Urtheil erklärt als die
Aufnahme eines Besondern, eines Seins, in ein Allgemeines, eine
Thätigkeit, welche beide als fertige Begriffe in dem Begriffsvor-
rathe der Sprache liegen: so findet sich hiervon bei Trendelenburg
nichts oder vielmehr gerade das Gegentheil. Er läßt den Begriff
aus einem primitiven Urtheil entstehen, welches eine bloße Thä-
tigkeit ohne Subject enthält. „Der Begriff“, heißt es bei ihm
(II. S. 145), „entsteht auf ähnliche Weise aus dem ersten Ur-
theil der bloßen Thätigkeit, wie die Substanz aus der gestalten-
den Thätigkeit; und wie sich ferner die Substanz in der Thä-
tigkeit äußert, so wird das Subject im Prädicate, der Begriff
im Urtheil lebendig. — Ein einfaches Beispiel mag es erläutern.
Die Sprache faßt den Satz: es blitzt nach seiner Form als
ein Urtheil einer ursprünglichen Thätigkeit auf. Diese Thätig-
keit wird im Begriffe Blitz Substanz, und die Substanz äußert
sich in Eigenschaften. Der Begriff offenbart sich im Prädicate,
z. B. der Blitz leuchtet, zackt sich u. s. w. So verhält es sich
ursprünglich immer; nur daß wir selten aus ersten Thätigkeiten,
sondern meistens aus der Thätigkeit der Subjecte ableiten.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0230" n="192"/>
zwischen Trendelenburg und Becker rücksichtlich der allgemei-<lb/>
nen Weise der wissenschaftlichen Forschung Statt findet; auch<lb/>
haben wir schon speciell bei der Ansicht Beckers von der Ent-<lb/>
stehung und Bildung des Urtheils seinen Widerspruch gegen<lb/>
Trendelenburg hervorgehoben. Hier kommen wir auf diesen<lb/>
Punkt zurück. Denn es ist für unsere Absicht, die Verschie-<lb/>
denheit von Logik und Grammatik darzuthun, interessant, zu<lb/>
sehen, wie Trendelenburg, so gern er sich auch der sprach-<lb/>
lichen Anschauung nähern möchte, ihr dennoch fern bleibt, als<lb/>
Logiker: und wie dagegen Becker, von der Sprache immer zur<lb/>
Logik abspringend, die eine verläßt, ohne die andere zu gewin-<lb/>
nen, und so statt der grammatischen Ansicht nur eine schlechte<lb/>
logische gewinnt; denn die sprachlichen Verhältnisse wirken doch<lb/>
zu mächtig auf ihn, um zu einer reinen logischen Untersuchung<lb/>
gelangen zu können. So kann uns also Beckers Widerspruch<lb/>
gegen Trendelenburg in doppelter Beziehung die Verschiedenheit<lb/>
von Grammatik und Logik zeigen; und noch abgesehen hiervon<lb/>
werden wir diese Verschiedenheit auch daraus ersehen, daß<lb/>
Trendelenburgs logische Theorie vom Urtheil den Satz nicht<lb/>
berührt.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 77. Begriff und Urtheil und Satz.</head><lb/>
              <p>Wenn Becker den Satz oder das Urtheil erklärt als die<lb/>
Aufnahme eines Besondern, eines Seins, in ein Allgemeines, eine<lb/>
Thätigkeit, welche beide als fertige Begriffe in dem Begriffsvor-<lb/>
rathe der Sprache liegen: so findet sich hiervon bei Trendelenburg<lb/>
nichts oder vielmehr gerade das Gegentheil. Er läßt den Begriff<lb/>
aus einem primitiven Urtheil entstehen, welches eine bloße Thä-<lb/>
tigkeit ohne Subject enthält. &#x201E;Der Begriff&#x201C;, heißt es bei ihm<lb/>
(II. S. 145), &#x201E;entsteht auf ähnliche Weise aus dem ersten Ur-<lb/>
theil der bloßen Thätigkeit, wie die Substanz aus der gestalten-<lb/>
den Thätigkeit; und wie sich ferner die Substanz in der Thä-<lb/>
tigkeit äußert, so wird das Subject im Prädicate, der Begriff<lb/>
im Urtheil lebendig. &#x2014; Ein einfaches Beispiel mag es erläutern.<lb/>
Die Sprache faßt den Satz: <hi rendition="#i">es blitzt</hi> nach seiner Form als<lb/>
ein Urtheil einer ursprünglichen Thätigkeit auf. Diese Thätig-<lb/>
keit wird im Begriffe <hi rendition="#i">Blitz</hi> Substanz, und die Substanz äußert<lb/>
sich in Eigenschaften. Der Begriff offenbart sich im Prädicate,<lb/>
z. B. <hi rendition="#i">der Blitz leuchtet, zackt sich</hi> u. s. w. So verhält es sich<lb/>
ursprünglich immer; nur daß wir selten aus ersten Thätigkeiten,<lb/>
sondern meistens aus der Thätigkeit der Subjecte ableiten.&#x201C;<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0230] zwischen Trendelenburg und Becker rücksichtlich der allgemei- nen Weise der wissenschaftlichen Forschung Statt findet; auch haben wir schon speciell bei der Ansicht Beckers von der Ent- stehung und Bildung des Urtheils seinen Widerspruch gegen Trendelenburg hervorgehoben. Hier kommen wir auf diesen Punkt zurück. Denn es ist für unsere Absicht, die Verschie- denheit von Logik und Grammatik darzuthun, interessant, zu sehen, wie Trendelenburg, so gern er sich auch der sprach- lichen Anschauung nähern möchte, ihr dennoch fern bleibt, als Logiker: und wie dagegen Becker, von der Sprache immer zur Logik abspringend, die eine verläßt, ohne die andere zu gewin- nen, und so statt der grammatischen Ansicht nur eine schlechte logische gewinnt; denn die sprachlichen Verhältnisse wirken doch zu mächtig auf ihn, um zu einer reinen logischen Untersuchung gelangen zu können. So kann uns also Beckers Widerspruch gegen Trendelenburg in doppelter Beziehung die Verschiedenheit von Grammatik und Logik zeigen; und noch abgesehen hiervon werden wir diese Verschiedenheit auch daraus ersehen, daß Trendelenburgs logische Theorie vom Urtheil den Satz nicht berührt. §. 77. Begriff und Urtheil und Satz. Wenn Becker den Satz oder das Urtheil erklärt als die Aufnahme eines Besondern, eines Seins, in ein Allgemeines, eine Thätigkeit, welche beide als fertige Begriffe in dem Begriffsvor- rathe der Sprache liegen: so findet sich hiervon bei Trendelenburg nichts oder vielmehr gerade das Gegentheil. Er läßt den Begriff aus einem primitiven Urtheil entstehen, welches eine bloße Thä- tigkeit ohne Subject enthält. „Der Begriff“, heißt es bei ihm (II. S. 145), „entsteht auf ähnliche Weise aus dem ersten Ur- theil der bloßen Thätigkeit, wie die Substanz aus der gestalten- den Thätigkeit; und wie sich ferner die Substanz in der Thä- tigkeit äußert, so wird das Subject im Prädicate, der Begriff im Urtheil lebendig. — Ein einfaches Beispiel mag es erläutern. Die Sprache faßt den Satz: es blitzt nach seiner Form als ein Urtheil einer ursprünglichen Thätigkeit auf. Diese Thätig- keit wird im Begriffe Blitz Substanz, und die Substanz äußert sich in Eigenschaften. Der Begriff offenbart sich im Prädicate, z. B. der Blitz leuchtet, zackt sich u. s. w. So verhält es sich ursprünglich immer; nur daß wir selten aus ersten Thätigkeiten, sondern meistens aus der Thätigkeit der Subjecte ableiten.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/230
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/230>, abgerufen am 21.11.2024.