die nähere Verwandtschaft, daß sie ebenso, wie die andern Be- wegungen dieser Classe, eine Athembewegung ist. Denn die Erzeugung der Sprachlaute, wie das Lachen, Gähnen, Niesen, Aechzen, Stöhnen sind nichts als ein eigenthümlich abgeänder- tes Athmen, welches im ruhigen, leidenschafts- und affectlosen Zustande des Menschen unhörbar, tonlos, vorgeht, durch leiden- schaftliche Erregungen und Affecte aber gestört, gehemmt, tö- nend wirkt und hörbar wird. Tönen und Hörbarkeit könnte also als dritte Aehnlichkeit der Sprache mit den Erscheinungen der obigen zweiten Classe gelten. Die Verwandtschaft der Spra- che mit den letztern ist also wohl klar und sicher. In der er- sten Classe treten wohl auch Athembewegungen auf, aber eben nur unter unzähligen andern Bewegungen. Das Athmen ist hier nicht das Charakteristische. Weil gerade eine Athembewegung vorgestellt, gesehen wird, wird sie ausgeführt, wie es jeder an- dern eben so hätte widerfahren können; und der Zusammenhang mit der Vorstellung ist klar. -- Bei den Erscheinungen der zwei- ten Classe bleibt es zwar nicht immer bei einer bloßen Athembe- wegung; sondern es verknüpft sich mit ihr noch manche andere Bewegung. Wenn ein Stein vom Dache vor uns niederfällt, wenn wir plötzlich einen Lärm hören, so fahren wir erschrocken zu- sammen, indem wir ein he! ausstoßen. Aber die Sprache wird ja gerade ebenso von mancherlei Gesticulationsbewegungen be- gleitet! Und so finden wir hier in einer scheinbaren Unähnlich- keit eine neue Aehnlichkeit.
Wird uns nun die reflectirte Athembewegung besonders wich- tig, so wollen wir sie uns auch noch vollständiger zu vergegen- wärtigen suchen. Kempelen (Le Mecanisme de la parole, Vienne 1791) sagt §. 32: "Nous savons que tous les mouvemens violens et les efforts du corps humain causent des variations dans la respiration, la ralentissent ou l'accelerent et l'interrompent meme quelques fois entierement pendant quelque temps. Mais aussi les plus legers mouvemens donnent lieu a des variations de cette nature. Il suffit par exemple de tourner seulement les yeux sur un autre objet, de porter la main sur une autre chose, pour trou- bler une respiration regulierement periodique. -- §. 33. Les chan- gemens que subit notre ame influent aussi sur la respiration. Le saisissement, la peur, la colere, la pitie, la joie, l'amour, tout cela fait une impression sur nos poumons, comme sur le coeur. Mais ce ne sont pas les mouvemens et les passions violentes de
die nähere Verwandtschaft, daß sie ebenso, wie die andern Be- wegungen dieser Classe, eine Athembewegung ist. Denn die Erzeugung der Sprachlaute, wie das Lachen, Gähnen, Niesen, Aechzen, Stöhnen sind nichts als ein eigenthümlich abgeänder- tes Athmen, welches im ruhigen, leidenschafts- und affectlosen Zustande des Menschen unhörbar, tonlos, vorgeht, durch leiden- schaftliche Erregungen und Affecte aber gestört, gehemmt, tö- nend wirkt und hörbar wird. Tönen und Hörbarkeit könnte also als dritte Aehnlichkeit der Sprache mit den Erscheinungen der obigen zweiten Classe gelten. Die Verwandtschaft der Spra- che mit den letztern ist also wohl klar und sicher. In der er- sten Classe treten wohl auch Athembewegungen auf, aber eben nur unter unzähligen andern Bewegungen. Das Athmen ist hier nicht das Charakteristische. Weil gerade eine Athembewegung vorgestellt, gesehen wird, wird sie ausgeführt, wie es jeder an- dern eben so hätte widerfahren können; und der Zusammenhang mit der Vorstellung ist klar. — Bei den Erscheinungen der zwei- ten Classe bleibt es zwar nicht immer bei einer bloßen Athembe- wegung; sondern es verknüpft sich mit ihr noch manche andere Bewegung. Wenn ein Stein vom Dache vor uns niederfällt, wenn wir plötzlich einen Lärm hören, so fahren wir erschrocken zu- sammen, indem wir ein he! ausstoßen. Aber die Sprache wird ja gerade ebenso von mancherlei Gesticulationsbewegungen be- gleitet! Und so finden wir hier in einer scheinbaren Unähnlich- keit eine neue Aehnlichkeit.
Wird uns nun die reflectirte Athembewegung besonders wich- tig, so wollen wir sie uns auch noch vollständiger zu vergegen- wärtigen suchen. Kempelen (Le Mécanisme de la parole, Vienne 1791) sagt §. 32: „Nous savons que tous les mouvemens violens et les efforts du corps humain causent des variations dans la respiration, la ralentissent ou l’accêlèrent et l’interrompent même quelques fois entièrement pendant quelque temps. Mais aussi les plus legers mouvemens donnent lieu à des variations de cette nature. Il suffit par exemple de tourner seulement les yeux sur un autre objet, de porter la main sur une autre chose, pour trou- bler une respiration régulièrement périodique. — §. 33. Les chan- gemens que subit notre ame influent aussi sur la respiration. Le saisissement, la peur, la colère, la pitié, la joie, l’amour, tout cela fait une impression sur nos poumons, comme sur le coeur. Mais ce ne sont pas les mouvemens et les passions violentes de
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0291"n="253"/>
die nähere Verwandtschaft, daß sie ebenso, wie die andern Be-<lb/>
wegungen dieser Classe, eine Athembewegung ist. Denn die<lb/>
Erzeugung der Sprachlaute, wie das Lachen, Gähnen, Niesen,<lb/>
Aechzen, Stöhnen sind nichts als ein eigenthümlich abgeänder-<lb/>
tes Athmen, welches im ruhigen, leidenschafts- und affectlosen<lb/>
Zustande des Menschen unhörbar, tonlos, vorgeht, durch leiden-<lb/>
schaftliche Erregungen und Affecte aber gestört, gehemmt, tö-<lb/>
nend wirkt und hörbar wird. Tönen und Hörbarkeit könnte<lb/>
also als dritte Aehnlichkeit der Sprache mit den Erscheinungen<lb/>
der obigen zweiten Classe gelten. Die Verwandtschaft der Spra-<lb/>
che mit den letztern ist also wohl klar und sicher. In der er-<lb/>
sten Classe treten wohl auch Athembewegungen auf, aber eben<lb/>
nur unter unzähligen andern Bewegungen. Das Athmen ist hier<lb/>
nicht das Charakteristische. Weil gerade eine Athembewegung<lb/>
vorgestellt, gesehen wird, wird sie ausgeführt, wie es jeder an-<lb/>
dern eben so hätte widerfahren können; und der Zusammenhang<lb/>
mit der Vorstellung ist klar. — Bei den Erscheinungen der zwei-<lb/>
ten Classe bleibt es zwar nicht immer bei einer bloßen Athembe-<lb/>
wegung; sondern es verknüpft sich mit ihr noch manche andere<lb/>
Bewegung. Wenn ein Stein vom Dache vor uns niederfällt, wenn<lb/>
wir plötzlich einen Lärm hören, so fahren wir erschrocken zu-<lb/>
sammen, indem wir ein <hirendition="#g">he</hi>! ausstoßen. Aber die Sprache wird<lb/>
ja gerade ebenso von mancherlei Gesticulationsbewegungen be-<lb/>
gleitet! Und so finden wir hier in einer scheinbaren Unähnlich-<lb/>
keit eine neue Aehnlichkeit.</p><lb/><p>Wird uns nun die reflectirte Athembewegung besonders wich-<lb/>
tig, so wollen wir sie uns auch noch vollständiger zu vergegen-<lb/>
wärtigen suchen. <hirendition="#g">Kempelen</hi> (<hirendition="#i">Le Mécanisme de la parole,<lb/>
Vienne</hi> 1791) sagt §. 32: „<hirendition="#i">Nous savons que tous les mouvemens<lb/>
violens et les efforts du corps humain causent des variations dans<lb/>
la respiration, la ralentissent ou l’accêlèrent et l’interrompent<lb/>
même quelques fois entièrement pendant quelque temps. Mais aussi<lb/>
les plus legers mouvemens donnent lieu à des variations de cette<lb/>
nature. Il suffit par exemple de tourner seulement les yeux sur<lb/>
un autre objet, de porter la main sur une autre chose, pour trou-<lb/>
bler une respiration régulièrement périodique.</hi>— §. 33. <hirendition="#i">Les chan-<lb/>
gemens que subit notre ame influent aussi sur la respiration.<lb/>
Le saisissement, la peur, la colère, la pitié, la joie, l’amour, tout<lb/>
cela fait une impression sur nos poumons, comme sur le coeur.<lb/>
Mais ce ne sont pas les mouvemens et les passions violentes de<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[253/0291]
die nähere Verwandtschaft, daß sie ebenso, wie die andern Be-
wegungen dieser Classe, eine Athembewegung ist. Denn die
Erzeugung der Sprachlaute, wie das Lachen, Gähnen, Niesen,
Aechzen, Stöhnen sind nichts als ein eigenthümlich abgeänder-
tes Athmen, welches im ruhigen, leidenschafts- und affectlosen
Zustande des Menschen unhörbar, tonlos, vorgeht, durch leiden-
schaftliche Erregungen und Affecte aber gestört, gehemmt, tö-
nend wirkt und hörbar wird. Tönen und Hörbarkeit könnte
also als dritte Aehnlichkeit der Sprache mit den Erscheinungen
der obigen zweiten Classe gelten. Die Verwandtschaft der Spra-
che mit den letztern ist also wohl klar und sicher. In der er-
sten Classe treten wohl auch Athembewegungen auf, aber eben
nur unter unzähligen andern Bewegungen. Das Athmen ist hier
nicht das Charakteristische. Weil gerade eine Athembewegung
vorgestellt, gesehen wird, wird sie ausgeführt, wie es jeder an-
dern eben so hätte widerfahren können; und der Zusammenhang
mit der Vorstellung ist klar. — Bei den Erscheinungen der zwei-
ten Classe bleibt es zwar nicht immer bei einer bloßen Athembe-
wegung; sondern es verknüpft sich mit ihr noch manche andere
Bewegung. Wenn ein Stein vom Dache vor uns niederfällt, wenn
wir plötzlich einen Lärm hören, so fahren wir erschrocken zu-
sammen, indem wir ein he! ausstoßen. Aber die Sprache wird
ja gerade ebenso von mancherlei Gesticulationsbewegungen be-
gleitet! Und so finden wir hier in einer scheinbaren Unähnlich-
keit eine neue Aehnlichkeit.
Wird uns nun die reflectirte Athembewegung besonders wich-
tig, so wollen wir sie uns auch noch vollständiger zu vergegen-
wärtigen suchen. Kempelen (Le Mécanisme de la parole,
Vienne 1791) sagt §. 32: „Nous savons que tous les mouvemens
violens et les efforts du corps humain causent des variations dans
la respiration, la ralentissent ou l’accêlèrent et l’interrompent
même quelques fois entièrement pendant quelque temps. Mais aussi
les plus legers mouvemens donnent lieu à des variations de cette
nature. Il suffit par exemple de tourner seulement les yeux sur
un autre objet, de porter la main sur une autre chose, pour trou-
bler une respiration régulièrement périodique. — §. 33. Les chan-
gemens que subit notre ame influent aussi sur la respiration.
Le saisissement, la peur, la colère, la pitié, la joie, l’amour, tout
cela fait une impression sur nos poumons, comme sur le coeur.
Mais ce ne sont pas les mouvemens et les passions violentes de
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/291>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.