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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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doch schien es ihnen auch wieder nicht unstatthaft, daß ich die schöne Flur von Hinterdux recht augenfreundlich finden wollte. Uns däucht es außen fein, enk herinnen, sagte endlich ein Alter gewissermaßen als Vergleichsvorschlag und die andern wiederholten es wie eine tief empfundene Wahrheit. Die jüngern, noch schulpflichtigen aus dem "Umstand" duzten mich, die ältern sagten Ihr und Sie. In allem was sie sprachen, war ein so freundliches Wohlwollen ausgesprochen, daß ich mich nur ungern aus der Runde losmachte, um nach Lannersbach in Vorderdux zu gehen, wo eine gute Nachtherberge zu erwarten stand, während in Hinterdux nur ein sehr kümmerliches Wirthshaus zu finden ist. Aehnliche Aeußerungen wie die der Duxer von der schiechen Natur ihres Thales hätten auch an andern Orten wiedergegeben werden können, da sie fast allenthalben zu vernehmen sind. Der Mann, der der Scholle sein knappes Leben abgewinnen muß, berechnet die Schönheit des Landes nach der Fruchtbarkeit des Bodens, nach der Bequemlichkeit und Sicherheit der Feldarbeit. Der bäuerliche Tiroler hält daher die Ebene für viel "feiner," als das Gebirge und seine Geburtsstätte mit den abschüssigen Halden unter Lahnen- und Muhrengefahr, mit den Felsenwänden, die alle Frühjahre donnernd in das Thal herunterpoltern, mit den Wildbächen, die jeden Lenz verwüstend losbrechen, sein eigen Mutterland nennt er am liebsten "schiech," ganz unbeschadet seiner Liebe zu der strengen Erzeugerin. Die volle Herrlichkeit der Bergwelt geht ihm oft erst im Heimweh auf. Landschaftsmaler, die im Gebirge bekannt sind, wissen zur Genüge, daß eine Gegend desto weniger Ausbeute gewährt, je feiner sie geschildert wird und umgekehrt, je schiecher desto voller die Mappen. Die grimmigsten Ausdrücke versprechen die erhabensten Schönheiten; ich wenigstens habe nie solche Lust verspürt, einer Empfehlung nachzugehen, als einmal auf den Wiesen von Sterzing, wo ein Bauernjunge auf die Gletscher des Ridnaunthals deutend, lustig hervorbrach: Ei ja, da sollt es hineingehen, da sind Ferner drinnen, daß es eine Schand' ist.

Nicht weit von Hinterdux kamen mir zwei Novizen der

doch schien es ihnen auch wieder nicht unstatthaft, daß ich die schöne Flur von Hinterdux recht augenfreundlich finden wollte. Uns däucht es außen fein, enk herinnen, sagte endlich ein Alter gewissermaßen als Vergleichsvorschlag und die andern wiederholten es wie eine tief empfundene Wahrheit. Die jüngern, noch schulpflichtigen aus dem „Umstand“ duzten mich, die ältern sagten Ihr und Sie. In allem was sie sprachen, war ein so freundliches Wohlwollen ausgesprochen, daß ich mich nur ungern aus der Runde losmachte, um nach Lannersbach in Vorderdux zu gehen, wo eine gute Nachtherberge zu erwarten stand, während in Hinterdux nur ein sehr kümmerliches Wirthshaus zu finden ist. Aehnliche Aeußerungen wie die der Duxer von der schiechen Natur ihres Thales hätten auch an andern Orten wiedergegeben werden können, da sie fast allenthalben zu vernehmen sind. Der Mann, der der Scholle sein knappes Leben abgewinnen muß, berechnet die Schönheit des Landes nach der Fruchtbarkeit des Bodens, nach der Bequemlichkeit und Sicherheit der Feldarbeit. Der bäuerliche Tiroler hält daher die Ebene für viel „feiner,“ als das Gebirge und seine Geburtsstätte mit den abschüssigen Halden unter Lahnen- und Muhrengefahr, mit den Felsenwänden, die alle Frühjahre donnernd in das Thal herunterpoltern, mit den Wildbächen, die jeden Lenz verwüstend losbrechen, sein eigen Mutterland nennt er am liebsten „schiech,“ ganz unbeschadet seiner Liebe zu der strengen Erzeugerin. Die volle Herrlichkeit der Bergwelt geht ihm oft erst im Heimweh auf. Landschaftsmaler, die im Gebirge bekannt sind, wissen zur Genüge, daß eine Gegend desto weniger Ausbeute gewährt, je feiner sie geschildert wird und umgekehrt, je schiecher desto voller die Mappen. Die grimmigsten Ausdrücke versprechen die erhabensten Schönheiten; ich wenigstens habe nie solche Lust verspürt, einer Empfehlung nachzugehen, als einmal auf den Wiesen von Sterzing, wo ein Bauernjunge auf die Gletscher des Ridnaunthals deutend, lustig hervorbrach: Ei ja, da sollt es hineingehen, da sind Ferner drinnen, daß es eine Schand’ ist.

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[511/0515] doch schien es ihnen auch wieder nicht unstatthaft, daß ich die schöne Flur von Hinterdux recht augenfreundlich finden wollte. Uns däucht es außen fein, enk herinnen, sagte endlich ein Alter gewissermaßen als Vergleichsvorschlag und die andern wiederholten es wie eine tief empfundene Wahrheit. Die jüngern, noch schulpflichtigen aus dem „Umstand“ duzten mich, die ältern sagten Ihr und Sie. In allem was sie sprachen, war ein so freundliches Wohlwollen ausgesprochen, daß ich mich nur ungern aus der Runde losmachte, um nach Lannersbach in Vorderdux zu gehen, wo eine gute Nachtherberge zu erwarten stand, während in Hinterdux nur ein sehr kümmerliches Wirthshaus zu finden ist. Aehnliche Aeußerungen wie die der Duxer von der schiechen Natur ihres Thales hätten auch an andern Orten wiedergegeben werden können, da sie fast allenthalben zu vernehmen sind. Der Mann, der der Scholle sein knappes Leben abgewinnen muß, berechnet die Schönheit des Landes nach der Fruchtbarkeit des Bodens, nach der Bequemlichkeit und Sicherheit der Feldarbeit. Der bäuerliche Tiroler hält daher die Ebene für viel „feiner,“ als das Gebirge und seine Geburtsstätte mit den abschüssigen Halden unter Lahnen- und Muhrengefahr, mit den Felsenwänden, die alle Frühjahre donnernd in das Thal herunterpoltern, mit den Wildbächen, die jeden Lenz verwüstend losbrechen, sein eigen Mutterland nennt er am liebsten „schiech,“ ganz unbeschadet seiner Liebe zu der strengen Erzeugerin. Die volle Herrlichkeit der Bergwelt geht ihm oft erst im Heimweh auf. Landschaftsmaler, die im Gebirge bekannt sind, wissen zur Genüge, daß eine Gegend desto weniger Ausbeute gewährt, je feiner sie geschildert wird und umgekehrt, je schiecher desto voller die Mappen. Die grimmigsten Ausdrücke versprechen die erhabensten Schönheiten; ich wenigstens habe nie solche Lust verspürt, einer Empfehlung nachzugehen, als einmal auf den Wiesen von Sterzing, wo ein Bauernjunge auf die Gletscher des Ridnaunthals deutend, lustig hervorbrach: Ei ja, da sollt es hineingehen, da sind Ferner drinnen, daß es eine Schand’ ist. Nicht weit von Hinterdux kamen mir zwei Novizen der

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/515>, abgerufen am 23.11.2024.