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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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schlimmen Trümpfen allen Umgang mit uns untersagte. Der Aelpler nahm darauf knurrend seinen Branntwein und begab sich an den andern Tisch. Am andern Tische und zwar in der Ofenecke saß übrigens auch, den breitrandigen Hut tief ins Gesicht gedrückt und dazu noch von dem Lichte der dünnen Kerze nur unsicher beleuchtet, das Duxer Maidele, ruhig und schweigsam, denn sie litt an einem bösen "Schinken" (Schienbein). Sie war längst verschwunden, als wir zu Bette gingen; vorher hatten wir sie nicht angeredet.

Es war Samstag, der 3 September 1842. Die Studenten waren in der Frühe davon; ich dagegen wollte warten bis auf den Sonntag, den Kirchweihtag von Lannersbach. Die Duxer Kirchweih war in den Tagen, wo das Volk noch offen und vor aller Welt sich seines Daseyns freuen durfte, eine Musterkirchweih, wie die zu Zell am Ziller. Liebhaber des Volkslebens kamen von fern und nah in das abgelegene Thal, um die Duxer fröhlich zu sehen. Die Duxer sind nämlich so zu sagen die Schooßkinder der gefürsteten Grafschaft in Schimpf und Ernst, und ihrer Kindlichkeit gönnt man auch gerne diese Auszeichnung. Es ist kein zweites Thal im Lande, das mit dem ihrigen verglichen werden könnte. Der natürlichen Lage nach ein Zuthal des Zillerthales, welches ohnedem schon ein Seitenthal ist, hat es doch seine Sonderphysiognomie gerettet in Tracht, Sprache und Lebensweise. Die Zillerthaler, ehemals wohl in den meisten Stücken ihren Hintermännern ähnlich, haben neuerer Zeit durch bekannte Verhältnisse in der Verfeinerung solche Sprünge gemacht, daß sie jetzt für das weltläufigste, geschliffenste Bauernvolk in Tirol gelten können; die Duxer aber sind in ihrer alpenhaften Geistesjugend geblieben wie vorher, noch immer keine Fernzügler, sondern gern am heimischen Herde, unverlockt durch die abenteuernden Handelschaften der andern, ehrlich und ohne Falsch. So müssen sie sich zwar wie alle alterthümelnden Bevölkerungen manche hirtliche Naivetät nachsagen lassen, sind aber gerade deßwegen so beliebt bei den Landsleuten, die in ihnen das Bild der Väter, die ächtesten Enkel der "Thölderer" von ehemals verehren.

schlimmen Trümpfen allen Umgang mit uns untersagte. Der Aelpler nahm darauf knurrend seinen Branntwein und begab sich an den andern Tisch. Am andern Tische und zwar in der Ofenecke saß übrigens auch, den breitrandigen Hut tief ins Gesicht gedrückt und dazu noch von dem Lichte der dünnen Kerze nur unsicher beleuchtet, das Duxer Maidele, ruhig und schweigsam, denn sie litt an einem bösen „Schinken“ (Schienbein). Sie war längst verschwunden, als wir zu Bette gingen; vorher hatten wir sie nicht angeredet.

Es war Samstag, der 3 September 1842. Die Studenten waren in der Frühe davon; ich dagegen wollte warten bis auf den Sonntag, den Kirchweihtag von Lannersbach. Die Duxer Kirchweih war in den Tagen, wo das Volk noch offen und vor aller Welt sich seines Daseyns freuen durfte, eine Musterkirchweih, wie die zu Zell am Ziller. Liebhaber des Volkslebens kamen von fern und nah in das abgelegene Thal, um die Duxer fröhlich zu sehen. Die Duxer sind nämlich so zu sagen die Schooßkinder der gefürsteten Grafschaft in Schimpf und Ernst, und ihrer Kindlichkeit gönnt man auch gerne diese Auszeichnung. Es ist kein zweites Thal im Lande, das mit dem ihrigen verglichen werden könnte. Der natürlichen Lage nach ein Zuthal des Zillerthales, welches ohnedem schon ein Seitenthal ist, hat es doch seine Sonderphysiognomie gerettet in Tracht, Sprache und Lebensweise. Die Zillerthaler, ehemals wohl in den meisten Stücken ihren Hintermännern ähnlich, haben neuerer Zeit durch bekannte Verhältnisse in der Verfeinerung solche Sprünge gemacht, daß sie jetzt für das weltläufigste, geschliffenste Bauernvolk in Tirol gelten können; die Duxer aber sind in ihrer alpenhaften Geistesjugend geblieben wie vorher, noch immer keine Fernzügler, sondern gern am heimischen Herde, unverlockt durch die abenteuernden Handelschaften der andern, ehrlich und ohne Falsch. So müssen sie sich zwar wie alle alterthümelnden Bevölkerungen manche hirtliche Naivetät nachsagen lassen, sind aber gerade deßwegen so beliebt bei den Landsleuten, die in ihnen das Bild der Väter, die ächtesten Enkel der „Thölderer“ von ehemals verehren.

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[514/0518] schlimmen Trümpfen allen Umgang mit uns untersagte. Der Aelpler nahm darauf knurrend seinen Branntwein und begab sich an den andern Tisch. Am andern Tische und zwar in der Ofenecke saß übrigens auch, den breitrandigen Hut tief ins Gesicht gedrückt und dazu noch von dem Lichte der dünnen Kerze nur unsicher beleuchtet, das Duxer Maidele, ruhig und schweigsam, denn sie litt an einem bösen „Schinken“ (Schienbein). Sie war längst verschwunden, als wir zu Bette gingen; vorher hatten wir sie nicht angeredet. Es war Samstag, der 3 September 1842. Die Studenten waren in der Frühe davon; ich dagegen wollte warten bis auf den Sonntag, den Kirchweihtag von Lannersbach. Die Duxer Kirchweih war in den Tagen, wo das Volk noch offen und vor aller Welt sich seines Daseyns freuen durfte, eine Musterkirchweih, wie die zu Zell am Ziller. Liebhaber des Volkslebens kamen von fern und nah in das abgelegene Thal, um die Duxer fröhlich zu sehen. Die Duxer sind nämlich so zu sagen die Schooßkinder der gefürsteten Grafschaft in Schimpf und Ernst, und ihrer Kindlichkeit gönnt man auch gerne diese Auszeichnung. Es ist kein zweites Thal im Lande, das mit dem ihrigen verglichen werden könnte. Der natürlichen Lage nach ein Zuthal des Zillerthales, welches ohnedem schon ein Seitenthal ist, hat es doch seine Sonderphysiognomie gerettet in Tracht, Sprache und Lebensweise. Die Zillerthaler, ehemals wohl in den meisten Stücken ihren Hintermännern ähnlich, haben neuerer Zeit durch bekannte Verhältnisse in der Verfeinerung solche Sprünge gemacht, daß sie jetzt für das weltläufigste, geschliffenste Bauernvolk in Tirol gelten können; die Duxer aber sind in ihrer alpenhaften Geistesjugend geblieben wie vorher, noch immer keine Fernzügler, sondern gern am heimischen Herde, unverlockt durch die abenteuernden Handelschaften der andern, ehrlich und ohne Falsch. So müssen sie sich zwar wie alle alterthümelnden Bevölkerungen manche hirtliche Naivetät nachsagen lassen, sind aber gerade deßwegen so beliebt bei den Landsleuten, die in ihnen das Bild der Väter, die ächtesten Enkel der „Thölderer“ von ehemals verehren.

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/518>, abgerufen am 18.06.2024.