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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Den ganzen Samstag wartete ich also ruhig auf den Sonntag. Nachmittags ging ich etwas lustwandeln auf den Bühel jenseits des Baches. Es sind dort Preißelbeeren in Menge, aber eine sehr beschränkte Aussicht. Das Thal ist schmal und nicht lange zu verfolgen, da sich oben und unten das Gebirge bald wieder in einander schiebt. Die düstern Häuser stechen lebhaft ab von dem hellen Grün; die Kirche steht tempelhaft in der Au. Heerdengebrüll und Glöckchenklang versteht sich von selbst; ebenso daß auf den Berghängen weithin lockende Sennhütten zu sehen sind. Hinten erhebt sich ganz weiß und bedräulich die gefrorne Wand, aus welcher der Duxer Ferner zu den Kasern herabsteigt.

Als ich mich da an der Betrachtung der Lannersbacher Flur gelabt hatte, stieg ich wieder abwärts und lernte den Schulmeister kennen, von dem mir schon Abends vorher die beiden Studenten erzählt hatten, weil sie ihm auf dem Wege von Zell herein begegnet und über seine Belesenheit in Staunen gerathen waren. Es ist ein Duxer Bue von zweiunddreißig Jahren, ganz in die Thaltracht gekleidet, auch sonst in Thun und Lassen von Duxer Art, nur in der Sprache mit einem Anfluge städtischen Schliffes. Er sagte mir', wie er von Jugend auf Lust am Lesen gehabt, wie er dann allerlei Bücher, deren er habhaft werden konnte, durchgegangen und sich besonders an Raffs Naturgeschichte und Stolbergs Geschichte der Religion Jesu erfreut habe. Nach diesem und andern Autoren hatte er einen Abriß der Weltgeschichte gemacht, in einem dicken schweinsledernen Quartband. Dieser war ursprünglich von seinem Vater, dem Meßner bestimmt worden, die Geheimnisse des Kirchendienstes aufzunehmen, aber der Alte war des Schreibens bald müde und so blieb der Quartband als ein theures Vermächtniß dem Sohne, der, als er zu seinen Tagen gekommen war, auf den leeren Seiten seine ersten schriftstellerischen Versuche anstellte. Ferner hatte er aus einem "epischen" Gedichte die Historie des Feldzugs, welchen Herzog Theodo I von Bayern gegen die Avaren unternommen, prosaisch ausgezogen. Dieser Schulmeister, Georg Mariacher mit Namen, hat etliche dreißig Knaben unter

Den ganzen Samstag wartete ich also ruhig auf den Sonntag. Nachmittags ging ich etwas lustwandeln auf den Bühel jenseits des Baches. Es sind dort Preißelbeeren in Menge, aber eine sehr beschränkte Aussicht. Das Thal ist schmal und nicht lange zu verfolgen, da sich oben und unten das Gebirge bald wieder in einander schiebt. Die düstern Häuser stechen lebhaft ab von dem hellen Grün; die Kirche steht tempelhaft in der Au. Heerdengebrüll und Glöckchenklang versteht sich von selbst; ebenso daß auf den Berghängen weithin lockende Sennhütten zu sehen sind. Hinten erhebt sich ganz weiß und bedräulich die gefrorne Wand, aus welcher der Duxer Ferner zu den Kasern herabsteigt.

Als ich mich da an der Betrachtung der Lannersbacher Flur gelabt hatte, stieg ich wieder abwärts und lernte den Schulmeister kennen, von dem mir schon Abends vorher die beiden Studenten erzählt hatten, weil sie ihm auf dem Wege von Zell herein begegnet und über seine Belesenheit in Staunen gerathen waren. Es ist ein Duxer Bue von zweiunddreißig Jahren, ganz in die Thaltracht gekleidet, auch sonst in Thun und Lassen von Duxer Art, nur in der Sprache mit einem Anfluge städtischen Schliffes. Er sagte mir’, wie er von Jugend auf Lust am Lesen gehabt, wie er dann allerlei Bücher, deren er habhaft werden konnte, durchgegangen und sich besonders an Raffs Naturgeschichte und Stolbergs Geschichte der Religion Jesu erfreut habe. Nach diesem und andern Autoren hatte er einen Abriß der Weltgeschichte gemacht, in einem dicken schweinsledernen Quartband. Dieser war ursprünglich von seinem Vater, dem Meßner bestimmt worden, die Geheimnisse des Kirchendienstes aufzunehmen, aber der Alte war des Schreibens bald müde und so blieb der Quartband als ein theures Vermächtniß dem Sohne, der, als er zu seinen Tagen gekommen war, auf den leeren Seiten seine ersten schriftstellerischen Versuche anstellte. Ferner hatte er aus einem „epischen“ Gedichte die Historie des Feldzugs, welchen Herzog Theodo I von Bayern gegen die Avaren unternommen, prosaisch ausgezogen. Dieser Schulmeister, Georg Mariacher mit Namen, hat etliche dreißig Knaben unter

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[515/0519] Den ganzen Samstag wartete ich also ruhig auf den Sonntag. Nachmittags ging ich etwas lustwandeln auf den Bühel jenseits des Baches. Es sind dort Preißelbeeren in Menge, aber eine sehr beschränkte Aussicht. Das Thal ist schmal und nicht lange zu verfolgen, da sich oben und unten das Gebirge bald wieder in einander schiebt. Die düstern Häuser stechen lebhaft ab von dem hellen Grün; die Kirche steht tempelhaft in der Au. Heerdengebrüll und Glöckchenklang versteht sich von selbst; ebenso daß auf den Berghängen weithin lockende Sennhütten zu sehen sind. Hinten erhebt sich ganz weiß und bedräulich die gefrorne Wand, aus welcher der Duxer Ferner zu den Kasern herabsteigt. Als ich mich da an der Betrachtung der Lannersbacher Flur gelabt hatte, stieg ich wieder abwärts und lernte den Schulmeister kennen, von dem mir schon Abends vorher die beiden Studenten erzählt hatten, weil sie ihm auf dem Wege von Zell herein begegnet und über seine Belesenheit in Staunen gerathen waren. Es ist ein Duxer Bue von zweiunddreißig Jahren, ganz in die Thaltracht gekleidet, auch sonst in Thun und Lassen von Duxer Art, nur in der Sprache mit einem Anfluge städtischen Schliffes. Er sagte mir’, wie er von Jugend auf Lust am Lesen gehabt, wie er dann allerlei Bücher, deren er habhaft werden konnte, durchgegangen und sich besonders an Raffs Naturgeschichte und Stolbergs Geschichte der Religion Jesu erfreut habe. Nach diesem und andern Autoren hatte er einen Abriß der Weltgeschichte gemacht, in einem dicken schweinsledernen Quartband. Dieser war ursprünglich von seinem Vater, dem Meßner bestimmt worden, die Geheimnisse des Kirchendienstes aufzunehmen, aber der Alte war des Schreibens bald müde und so blieb der Quartband als ein theures Vermächtniß dem Sohne, der, als er zu seinen Tagen gekommen war, auf den leeren Seiten seine ersten schriftstellerischen Versuche anstellte. Ferner hatte er aus einem „epischen“ Gedichte die Historie des Feldzugs, welchen Herzog Theodo I von Bayern gegen die Avaren unternommen, prosaisch ausgezogen. Dieser Schulmeister, Georg Mariacher mit Namen, hat etliche dreißig Knaben unter

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/519>, abgerufen am 23.11.2024.