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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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An dem Himmel, dessen Dämmerung heute viel
früher gekommen war, hatte sich eine Veränderung
eingefunden. Die Wolkendecke war getheilt, die Wolken
standen in einzelnen Stücken gleichsam wie Berge an
dem Gewölbe herum, und einzelne reine Theile blickten
zwischen ihnen heraus. Die Blize aber waren stärker
und häufiger, die Donner klangen heller und kürzer.

Als ich eine Weile bei dem Fenster hinaus gesehen
hatte, hörte ich ein Pochen an meiner Thür, eine
Magd trat herein, und meldete, daß man mich zum
Abendessen erwarte. Ich legte meine Papiere auf das
Tischchen, das neben meinem Bette stand, legte den
Humboldt darauf, und folgte der Magd, nachdem ich
die Thür hinter mir gesperrt hatte. Sie führte mich
in das Speisezimmer.

Bei dem Eintritte sah ich drei Personen; den alten
Mann, der mit mir den Spaziergang gemacht hatte,
einen andern ebenfalls ältlichen Mann, der durch
nichts besonders auffiel als durch seine Kleidung, welche
einen Priester verrieth, und den Pflegesohn des Haus¬
besitzers in seinem blaugestreiften Linnengewande.

Der Herr des Hauses stellte mich dem Priester
vor, indem er sagte: "Das ist der hochwürdige Pfarrer
von Rohrberg, der ein Gewitter fürchtet, und deßhalb

Stifter, Nachsommer. I. 8

An dem Himmel, deſſen Dämmerung heute viel
früher gekommen war, hatte ſich eine Veränderung
eingefunden. Die Wolkendecke war getheilt, die Wolken
ſtanden in einzelnen Stücken gleichſam wie Berge an
dem Gewölbe herum, und einzelne reine Theile blickten
zwiſchen ihnen heraus. Die Blize aber waren ſtärker
und häufiger, die Donner klangen heller und kürzer.

Als ich eine Weile bei dem Fenſter hinaus geſehen
hatte, hörte ich ein Pochen an meiner Thür, eine
Magd trat herein, und meldete, daß man mich zum
Abendeſſen erwarte. Ich legte meine Papiere auf das
Tiſchchen, das neben meinem Bette ſtand, legte den
Humboldt darauf, und folgte der Magd, nachdem ich
die Thür hinter mir geſperrt hatte. Sie führte mich
in das Speiſezimmer.

Bei dem Eintritte ſah ich drei Perſonen; den alten
Mann, der mit mir den Spaziergang gemacht hatte,
einen andern ebenfalls ältlichen Mann, der durch
nichts beſonders auffiel als durch ſeine Kleidung, welche
einen Prieſter verrieth, und den Pflegeſohn des Haus¬
beſitzers in ſeinem blaugeſtreiften Linnengewande.

Der Herr des Hauſes ſtellte mich dem Prieſter
vor, indem er ſagte: „Das iſt der hochwürdige Pfarrer
von Rohrberg, der ein Gewitter fürchtet, und deßhalb

Stifter, Nachſommer. I. 8
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[113/0127] An dem Himmel, deſſen Dämmerung heute viel früher gekommen war, hatte ſich eine Veränderung eingefunden. Die Wolkendecke war getheilt, die Wolken ſtanden in einzelnen Stücken gleichſam wie Berge an dem Gewölbe herum, und einzelne reine Theile blickten zwiſchen ihnen heraus. Die Blize aber waren ſtärker und häufiger, die Donner klangen heller und kürzer. Als ich eine Weile bei dem Fenſter hinaus geſehen hatte, hörte ich ein Pochen an meiner Thür, eine Magd trat herein, und meldete, daß man mich zum Abendeſſen erwarte. Ich legte meine Papiere auf das Tiſchchen, das neben meinem Bette ſtand, legte den Humboldt darauf, und folgte der Magd, nachdem ich die Thür hinter mir geſperrt hatte. Sie führte mich in das Speiſezimmer. Bei dem Eintritte ſah ich drei Perſonen; den alten Mann, der mit mir den Spaziergang gemacht hatte, einen andern ebenfalls ältlichen Mann, der durch nichts beſonders auffiel als durch ſeine Kleidung, welche einen Prieſter verrieth, und den Pflegeſohn des Haus¬ beſitzers in ſeinem blaugeſtreiften Linnengewande. Der Herr des Hauſes ſtellte mich dem Prieſter vor, indem er ſagte: „Das iſt der hochwürdige Pfarrer von Rohrberg, der ein Gewitter fürchtet, und deßhalb Stifter, Nachſommer. I. 8

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/127>, abgerufen am 13.05.2024.