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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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ihren einschmeichelnden Gesang und ihr liebliches Be¬
nehmen ohnehin unser Vergnügen sind, die uns nichts
anders thun als lauter Wohlthaten, werden wie Ver¬
brecher verfolgt, werden meistens, wenn sie ihrem
Triebe der Geselligkeit folgen, erschossen, oder, wenn
sie ihren nagenden Hunger stillen wollen, erhängt.
Und dies geschieht nicht, um ein unabweisliches Be¬
dürfniß zu erfüllen, sondern einer Lust und Laune
willen. Es wäre unglaublich, wenn man nicht wüßte,
daß es aus Mangel an Nachdenken oder aus Gewohn¬
heit so geschieht. Aber das zeigt eben, wie weit wir
noch von wahrer Gesittung entfernt sind. Darum
haben weise Menschen bei wilden Völkern und bei sol¬
chen, die ihre Gierde nicht zu zähmen wußten, oder
einen höhern Gebrauch von ihren Kräften noch nicht
machen konnten, den Aberglauben aufgeregt, um einen
Vogel seiner Schönheit oder Nüzlichkeit willen zu ret¬
ten. So ist die Schwalbe ein heiliger Vogel gewor¬
den, der dem Hause Segen bringt, das er besucht,
und den zu tödten Sünde ist. Und selten dürfte es
ein Vogel mehr verdienen als die Schwalbe, die so wun¬
derschön ist, und so unberechenbaren Nuzen bringt.
So ist der Storch unter göttlichen Schuz gestellt, und
den Staaren hängen wir hölzerne Häuser in unsere

ihren einſchmeichelnden Geſang und ihr liebliches Be¬
nehmen ohnehin unſer Vergnügen ſind, die uns nichts
anders thun als lauter Wohlthaten, werden wie Ver¬
brecher verfolgt, werden meiſtens, wenn ſie ihrem
Triebe der Geſelligkeit folgen, erſchoſſen, oder, wenn
ſie ihren nagenden Hunger ſtillen wollen, erhängt.
Und dies geſchieht nicht, um ein unabweisliches Be¬
dürfniß zu erfüllen, ſondern einer Luſt und Laune
willen. Es wäre unglaublich, wenn man nicht wüßte,
daß es aus Mangel an Nachdenken oder aus Gewohn¬
heit ſo geſchieht. Aber das zeigt eben, wie weit wir
noch von wahrer Geſittung entfernt ſind. Darum
haben weiſe Menſchen bei wilden Völkern und bei ſol¬
chen, die ihre Gierde nicht zu zähmen wußten, oder
einen höhern Gebrauch von ihren Kräften noch nicht
machen konnten, den Aberglauben aufgeregt, um einen
Vogel ſeiner Schönheit oder Nüzlichkeit willen zu ret¬
ten. So iſt die Schwalbe ein heiliger Vogel gewor¬
den, der dem Hauſe Segen bringt, das er beſucht,
und den zu tödten Sünde iſt. Und ſelten dürfte es
ein Vogel mehr verdienen als die Schwalbe, die ſo wun¬
derſchön iſt, und ſo unberechenbaren Nuzen bringt.
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[247/0261] ihren einſchmeichelnden Geſang und ihr liebliches Be¬ nehmen ohnehin unſer Vergnügen ſind, die uns nichts anders thun als lauter Wohlthaten, werden wie Ver¬ brecher verfolgt, werden meiſtens, wenn ſie ihrem Triebe der Geſelligkeit folgen, erſchoſſen, oder, wenn ſie ihren nagenden Hunger ſtillen wollen, erhängt. Und dies geſchieht nicht, um ein unabweisliches Be¬ dürfniß zu erfüllen, ſondern einer Luſt und Laune willen. Es wäre unglaublich, wenn man nicht wüßte, daß es aus Mangel an Nachdenken oder aus Gewohn¬ heit ſo geſchieht. Aber das zeigt eben, wie weit wir noch von wahrer Geſittung entfernt ſind. Darum haben weiſe Menſchen bei wilden Völkern und bei ſol¬ chen, die ihre Gierde nicht zu zähmen wußten, oder einen höhern Gebrauch von ihren Kräften noch nicht machen konnten, den Aberglauben aufgeregt, um einen Vogel ſeiner Schönheit oder Nüzlichkeit willen zu ret¬ ten. So iſt die Schwalbe ein heiliger Vogel gewor¬ den, der dem Hauſe Segen bringt, das er beſucht, und den zu tödten Sünde iſt. Und ſelten dürfte es ein Vogel mehr verdienen als die Schwalbe, die ſo wun¬ derſchön iſt, und ſo unberechenbaren Nuzen bringt. So iſt der Storch unter göttlichen Schuz geſtellt, und den Staaren hängen wir hölzerne Häuſer in unſere

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/261>, abgerufen am 21.11.2024.