Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

nigen. Ich hatte nicht die geringste Vorliebe für das
eine oder das andere Fach, sondern es schienen alle
anstrebenswerth, und ich hatte keinen Anhaltspunkt,
aus dem ich hätte schließen können, daß ich zu irgend
einem Gegenstande eine hervorragende Fähigkeit be¬
säße, sondern es erschienen mir alle nicht unüberwind¬
lich. Auch meine Angehörigen konnten kein Merkmal
finden, aus dem sie einen ausschließlichen Beruf für
eine Sache in mir hätten wahrnehmen können.

Nicht die Ungeheuerlichkeit, welche in diesem Be¬
ginnen lag, war es, was die Leute meinem Vater übel
nahmen, sondern sie sagten, er hätte mir einen Stand,
der der bürgerlichen Gesellschaft nüzlich ist, befehlen
sollen, damit ich demselben meine Zeit und mein Leben
widme, und einmal mit dem Bewußtsein scheiden
könne, meine Schuldigkeit gethan zu haben.

Gegen diesen Einwurf sagte mein Vater, der
Mensch sei nicht zuerst der menschlichen Gesellschaft
wegen da sondern seiner selbst willen. Und wenn jeder
seiner selbst willen auf die beste Art da sei, so sei er es
auch für die menschliche Gesellschaft. Wen Gott zum
besten Maler auf dieser Welt geschaffen hätte, der
würde der Menschheit einen schlechten Dienst thun,
wenn er etwa ein Gerichtsmann werden wollte: wenn

nigen. Ich hatte nicht die geringſte Vorliebe für das
eine oder das andere Fach, ſondern es ſchienen alle
anſtrebenswerth‚ und ich hatte keinen Anhaltspunkt,
aus dem ich hätte ſchließen können, daß ich zu irgend
einem Gegenſtande eine hervorragende Fähigkeit be¬
ſäße, ſondern es erſchienen mir alle nicht unüberwind¬
lich. Auch meine Angehörigen konnten kein Merkmal
finden, aus dem ſie einen ausſchließlichen Beruf für
eine Sache in mir hätten wahrnehmen können.

Nicht die Ungeheuerlichkeit, welche in dieſem Be¬
ginnen lag, war es, was die Leute meinem Vater übel
nahmen, ſondern ſie ſagten, er hätte mir einen Stand,
der der bürgerlichen Geſellſchaft nüzlich iſt, befehlen
ſollen, damit ich demſelben meine Zeit und mein Leben
widme, und einmal mit dem Bewußtſein ſcheiden
könne, meine Schuldigkeit gethan zu haben.

Gegen dieſen Einwurf ſagte mein Vater, der
Menſch ſei nicht zuerſt der menſchlichen Geſellſchaft
wegen da ſondern ſeiner ſelbſt willen. Und wenn jeder
ſeiner ſelbſt willen auf die beſte Art da ſei, ſo ſei er es
auch für die menſchliche Geſellſchaft. Wen Gott zum
beſten Maler auf dieſer Welt geſchaffen hätte, der
würde der Menſchheit einen ſchlechten Dienſt thun,
wenn er etwa ein Gerichtsmann werden wollte: wenn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0030" n="16"/>
nigen. Ich hatte nicht die gering&#x017F;te Vorliebe für das<lb/>
eine oder das andere Fach, &#x017F;ondern es &#x017F;chienen alle<lb/>
an&#x017F;trebenswerth&#x201A; und ich hatte keinen Anhaltspunkt,<lb/>
aus dem ich hätte &#x017F;chließen können, daß ich zu irgend<lb/>
einem Gegen&#x017F;tande eine hervorragende Fähigkeit be¬<lb/>
&#x017F;äße, &#x017F;ondern es er&#x017F;chienen mir alle nicht unüberwind¬<lb/>
lich. Auch meine Angehörigen konnten kein Merkmal<lb/>
finden, aus dem &#x017F;ie einen aus&#x017F;chließlichen Beruf für<lb/>
eine Sache in mir hätten wahrnehmen können.</p><lb/>
        <p>Nicht die Ungeheuerlichkeit, welche in die&#x017F;em Be¬<lb/>
ginnen lag, war es, was die Leute meinem Vater übel<lb/>
nahmen, &#x017F;ondern &#x017F;ie &#x017F;agten, er hätte mir einen Stand,<lb/>
der der bürgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft nüzlich i&#x017F;t, befehlen<lb/>
&#x017F;ollen, damit ich dem&#x017F;elben meine Zeit und mein Leben<lb/>
widme, und einmal mit dem Bewußt&#x017F;ein &#x017F;cheiden<lb/>
könne, meine Schuldigkeit gethan zu haben.</p><lb/>
        <p>Gegen die&#x017F;en Einwurf &#x017F;agte mein Vater, der<lb/>
Men&#x017F;ch &#x017F;ei nicht zuer&#x017F;t der men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
wegen da &#x017F;ondern &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t willen. Und wenn jeder<lb/>
&#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t willen auf die be&#x017F;te Art da &#x017F;ei, &#x017F;o &#x017F;ei er es<lb/>
auch für die men&#x017F;chliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Wen Gott zum<lb/>
be&#x017F;ten Maler auf die&#x017F;er Welt ge&#x017F;chaffen hätte, der<lb/>
würde der Men&#x017F;chheit einen &#x017F;chlechten Dien&#x017F;t thun,<lb/>
wenn er etwa ein Gerichtsmann werden wollte: wenn<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0030] nigen. Ich hatte nicht die geringſte Vorliebe für das eine oder das andere Fach, ſondern es ſchienen alle anſtrebenswerth‚ und ich hatte keinen Anhaltspunkt, aus dem ich hätte ſchließen können, daß ich zu irgend einem Gegenſtande eine hervorragende Fähigkeit be¬ ſäße, ſondern es erſchienen mir alle nicht unüberwind¬ lich. Auch meine Angehörigen konnten kein Merkmal finden, aus dem ſie einen ausſchließlichen Beruf für eine Sache in mir hätten wahrnehmen können. Nicht die Ungeheuerlichkeit, welche in dieſem Be¬ ginnen lag, war es, was die Leute meinem Vater übel nahmen, ſondern ſie ſagten, er hätte mir einen Stand, der der bürgerlichen Geſellſchaft nüzlich iſt, befehlen ſollen, damit ich demſelben meine Zeit und mein Leben widme, und einmal mit dem Bewußtſein ſcheiden könne, meine Schuldigkeit gethan zu haben. Gegen dieſen Einwurf ſagte mein Vater, der Menſch ſei nicht zuerſt der menſchlichen Geſellſchaft wegen da ſondern ſeiner ſelbſt willen. Und wenn jeder ſeiner ſelbſt willen auf die beſte Art da ſei, ſo ſei er es auch für die menſchliche Geſellſchaft. Wen Gott zum beſten Maler auf dieſer Welt geſchaffen hätte, der würde der Menſchheit einen ſchlechten Dienſt thun, wenn er etwa ein Gerichtsmann werden wollte: wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/30
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/30>, abgerufen am 27.04.2024.