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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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aber auch wohl noch gerne für den Überrest meines Le¬
bens ein Wort von diesem merkwürdigen Manne ver¬
nehmen möchte, werde ich mir die Bücher neu kaufen,
für mich haben die neuen die Bedeutung wie die al¬
ten. Du aber nimm die deinigen in Empfang und
bringe sie an den Ort, der dir dafür eingeräumt ist."

Gustav küßte ihr die Hand, und legte seinen Arm
wie in unbeholfener Zärtlichkeit auf die Schulter ihres
Gewandes. Er sprach aber kein Wort, sondern ging
zu den Büchern, und begann, ihre Schnur zu lösen.

Als ihm dies gelungen war, als er die Bücher
aus den Umschlagpapieren gelöst, und in mehreren
geblättert hatte, kam er plözlich mit einem in der
Hand zu uns, und sagte: "Aber siehst du Mutter, da
sind manche Zeilen mit einem feinen Bleistifte unter¬
strichen, und mit demselben feingespizten Stifte sind
Worte an den Rand geschrieben, die von deiner Hand
sind. Diese Dinge sind dein Eigenthum, sie sind in
den neugekauften Büchern nicht enthalten, und ich
darf dir dein Eigenthum nicht entziehen."

"Ich gebe es dir aber," antwortete sie, "ich gebe
es dir am liebsten, der du jezt schon von mir entfernt
bist, und in Zukunft wahrscheinlich noch viel weiter
von mir entfernt leben wirst. Wenn du in den Bü¬

aber auch wohl noch gerne für den Überreſt meines Le¬
bens ein Wort von dieſem merkwürdigen Manne ver¬
nehmen möchte, werde ich mir die Bücher neu kaufen,
für mich haben die neuen die Bedeutung wie die al¬
ten. Du aber nimm die deinigen in Empfang und
bringe ſie an den Ort, der dir dafür eingeräumt iſt.“

Guſtav küßte ihr die Hand, und legte ſeinen Arm
wie in unbeholfener Zärtlichkeit auf die Schulter ihres
Gewandes. Er ſprach aber kein Wort, ſondern ging
zu den Büchern, und begann, ihre Schnur zu löſen.

Als ihm dies gelungen war, als er die Bücher
aus den Umſchlagpapieren gelöst, und in mehreren
geblättert hatte, kam er plözlich mit einem in der
Hand zu uns, und ſagte: „Aber ſiehſt du Mutter, da
ſind manche Zeilen mit einem feinen Bleiſtifte unter¬
ſtrichen, und mit demſelben feingeſpizten Stifte ſind
Worte an den Rand geſchrieben, die von deiner Hand
ſind. Dieſe Dinge ſind dein Eigenthum, ſie ſind in
den neugekauften Büchern nicht enthalten, und ich
darf dir dein Eigenthum nicht entziehen.“

„Ich gebe es dir aber,“ antwortete ſie, „ich gebe
es dir am liebſten, der du jezt ſchon von mir entfernt
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[388/0402] aber auch wohl noch gerne für den Überreſt meines Le¬ bens ein Wort von dieſem merkwürdigen Manne ver¬ nehmen möchte, werde ich mir die Bücher neu kaufen, für mich haben die neuen die Bedeutung wie die al¬ ten. Du aber nimm die deinigen in Empfang und bringe ſie an den Ort, der dir dafür eingeräumt iſt.“ Guſtav küßte ihr die Hand, und legte ſeinen Arm wie in unbeholfener Zärtlichkeit auf die Schulter ihres Gewandes. Er ſprach aber kein Wort, ſondern ging zu den Büchern, und begann, ihre Schnur zu löſen. Als ihm dies gelungen war, als er die Bücher aus den Umſchlagpapieren gelöst, und in mehreren geblättert hatte, kam er plözlich mit einem in der Hand zu uns, und ſagte: „Aber ſiehſt du Mutter, da ſind manche Zeilen mit einem feinen Bleiſtifte unter¬ ſtrichen, und mit demſelben feingeſpizten Stifte ſind Worte an den Rand geſchrieben, die von deiner Hand ſind. Dieſe Dinge ſind dein Eigenthum, ſie ſind in den neugekauften Büchern nicht enthalten, und ich darf dir dein Eigenthum nicht entziehen.“ „Ich gebe es dir aber,“ antwortete ſie, „ich gebe es dir am liebſten, der du jezt ſchon von mir entfernt biſt, und in Zukunft wahrſcheinlich noch viel weiter von mir entfernt leben wirſt. Wenn du in den Bü¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/402>, abgerufen am 22.11.2024.