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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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hatte, thaten mir jederzeit die Bretter leid, aus denen
etwas in unserem Hause verfertigt wurde, weil sie
einmal solche Fichten und Tannen gewesen waren.
Ich fragte den Vater, wenn wir durch die Stadt gingen,
wer die große Kirche des heiligen Stephan gebaut
habe, warum sie nur einen Thurm habe, warum die¬
ser so spizig sei, warum die Kirche so schwarz sei,
wem dieses oder jenes Haus gehöre, warum es so
groß sei, weßhalb sich an einem andern Hause immer
zwei Fenster neben einander befänden, und in einem
weiteren Hause zwei steinerne Männer das Sims des
Hausthores tragen. Der Vater beantwortete solche
Fragen je nach seinem Wissen. Bei einigen äußerte
er nur Muthmaßungen, bei anderen sagte er, er wisse
es nicht. Wenn wir auf das Land kamen, wollte ich
alle Gewächse und Steine kennen, und fragte um die
Namen der Landleute und der Hunde. Der Vater
pflegte zu sagen, ich müßte einmal ein Beschreiber der
Dinge werden, oder ein Künstler, welcher aus Stoffen
Gegenstände fertigt, an denen er so Antheil nimmt,
oder wenigstens ein Gelehrter, der die Merkmale und
Beschaffenheiten der Sachen erforscht.

Diese Eigenschaft nun führte mich, da ich auf dem
Lande wohnte, in eine besondere Richtung. Ich legte

hatte, thaten mir jederzeit die Bretter leid, aus denen
etwas in unſerem Hauſe verfertigt wurde, weil ſie
einmal ſolche Fichten und Tannen geweſen waren.
Ich fragte den Vater, wenn wir durch die Stadt gingen,
wer die große Kirche des heiligen Stephan gebaut
habe, warum ſie nur einen Thurm habe, warum die¬
ſer ſo ſpizig ſei, warum die Kirche ſo ſchwarz ſei,
wem dieſes oder jenes Haus gehöre, warum es ſo
groß ſei, weßhalb ſich an einem andern Hauſe immer
zwei Fenſter neben einander befänden, und in einem
weiteren Hauſe zwei ſteinerne Männer das Sims des
Hausthores tragen. Der Vater beantwortete ſolche
Fragen je nach ſeinem Wiſſen. Bei einigen äußerte
er nur Muthmaßungen, bei anderen ſagte er, er wiſſe
es nicht. Wenn wir auf das Land kamen, wollte ich
alle Gewächſe und Steine kennen, und fragte um die
Namen der Landleute und der Hunde. Der Vater
pflegte zu ſagen, ich müßte einmal ein Beſchreiber der
Dinge werden, oder ein Künſtler, welcher aus Stoffen
Gegenſtände fertigt, an denen er ſo Antheil nimmt,
oder wenigſtens ein Gelehrter, der die Merkmale und
Beſchaffenheiten der Sachen erforſcht.

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[34/0048] hatte, thaten mir jederzeit die Bretter leid, aus denen etwas in unſerem Hauſe verfertigt wurde, weil ſie einmal ſolche Fichten und Tannen geweſen waren. Ich fragte den Vater, wenn wir durch die Stadt gingen, wer die große Kirche des heiligen Stephan gebaut habe, warum ſie nur einen Thurm habe, warum die¬ ſer ſo ſpizig ſei, warum die Kirche ſo ſchwarz ſei, wem dieſes oder jenes Haus gehöre, warum es ſo groß ſei, weßhalb ſich an einem andern Hauſe immer zwei Fenſter neben einander befänden, und in einem weiteren Hauſe zwei ſteinerne Männer das Sims des Hausthores tragen. Der Vater beantwortete ſolche Fragen je nach ſeinem Wiſſen. Bei einigen äußerte er nur Muthmaßungen, bei anderen ſagte er, er wiſſe es nicht. Wenn wir auf das Land kamen, wollte ich alle Gewächſe und Steine kennen, und fragte um die Namen der Landleute und der Hunde. Der Vater pflegte zu ſagen, ich müßte einmal ein Beſchreiber der Dinge werden, oder ein Künſtler, welcher aus Stoffen Gegenſtände fertigt, an denen er ſo Antheil nimmt, oder wenigſtens ein Gelehrter, der die Merkmale und Beſchaffenheiten der Sachen erforſcht. Dieſe Eigenſchaft nun führte mich, da ich auf dem Lande wohnte, in eine beſondere Richtung. Ich legte

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/48>, abgerufen am 28.04.2024.