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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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sprach Abends, wenn wir in der Herberge angelangt
sein würden, noch Mehreres vorzulegen.

Am nächsten Tage Nachmittags kamen wir nach
Kerberg, und besahen die Kirche und den schönen
geschnizten Hochaltar. Mir gefiel er jezt viel besser,
als da ich ihn in Gesellschaft meines Gastfreundes
und Eustachs zum ersten Male gesehen hatte. Ich
begrif nicht, wie ich damals mit so wenig Antheil vor
diesem außerordentlichen Werke hatte stehen können;
denn außerordentlich erschien es mir troz seiner Feh¬
ler, die, wie ich wohl sah, in jedem Werke altdeut¬
scher Kunst zu finden sein würden, die ich aber in
dem Bildnerwerke, das auf der Treppe meines Freun¬
des stand, nicht fand. Wir blieben lange in der
Kirche, und ich wäre gerne noch länger geblieben.
Vor der Ruhe dem Ernste der Würde und der Kind¬
lichkeit dieses Werkes kam eine Ehrfurcht ja fast ein
Schauer in mein Herz, und die Einfachheit der An¬
lage bei dem großen Reichthume des Einzelnen be¬
ruhigte das Auge und das Gemüth. Wir sprachen
über das Werk, und aus dem Gespräche erkannte ich
jezt recht deutlich, daß früher auch vor diesem Werke
die zwei Männer auf meine Unkenntniß Rücksicht ge¬
nommen hatten, und ich dankte es ihnen in meinem

ſprach Abends, wenn wir in der Herberge angelangt
ſein würden, noch Mehreres vorzulegen.

Am nächſten Tage Nachmittags kamen wir nach
Kerberg, und beſahen die Kirche und den ſchönen
geſchnizten Hochaltar. Mir gefiel er jezt viel beſſer,
als da ich ihn in Geſellſchaft meines Gaſtfreundes
und Euſtachs zum erſten Male geſehen hatte. Ich
begrif nicht, wie ich damals mit ſo wenig Antheil vor
dieſem außerordentlichen Werke hatte ſtehen können;
denn außerordentlich erſchien es mir troz ſeiner Feh¬
ler, die, wie ich wohl ſah, in jedem Werke altdeut¬
ſcher Kunſt zu finden ſein würden, die ich aber in
dem Bildnerwerke, das auf der Treppe meines Freun¬
des ſtand, nicht fand. Wir blieben lange in der
Kirche, und ich wäre gerne noch länger geblieben.
Vor der Ruhe dem Ernſte der Würde und der Kind¬
lichkeit dieſes Werkes kam eine Ehrfurcht ja faſt ein
Schauer in mein Herz, und die Einfachheit der An¬
lage bei dem großen Reichthume des Einzelnen be¬
ruhigte das Auge und das Gemüth. Wir ſprachen
über das Werk, und aus dem Geſpräche erkannte ich
jezt recht deutlich, daß früher auch vor dieſem Werke
die zwei Männer auf meine Unkenntniß Rückſicht ge¬
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[217/0231] ſprach Abends, wenn wir in der Herberge angelangt ſein würden, noch Mehreres vorzulegen. Am nächſten Tage Nachmittags kamen wir nach Kerberg, und beſahen die Kirche und den ſchönen geſchnizten Hochaltar. Mir gefiel er jezt viel beſſer, als da ich ihn in Geſellſchaft meines Gaſtfreundes und Euſtachs zum erſten Male geſehen hatte. Ich begrif nicht, wie ich damals mit ſo wenig Antheil vor dieſem außerordentlichen Werke hatte ſtehen können; denn außerordentlich erſchien es mir troz ſeiner Feh¬ ler, die, wie ich wohl ſah, in jedem Werke altdeut¬ ſcher Kunſt zu finden ſein würden, die ich aber in dem Bildnerwerke, das auf der Treppe meines Freun¬ des ſtand, nicht fand. Wir blieben lange in der Kirche, und ich wäre gerne noch länger geblieben. Vor der Ruhe dem Ernſte der Würde und der Kind¬ lichkeit dieſes Werkes kam eine Ehrfurcht ja faſt ein Schauer in mein Herz, und die Einfachheit der An¬ lage bei dem großen Reichthume des Einzelnen be¬ ruhigte das Auge und das Gemüth. Wir ſprachen über das Werk, und aus dem Geſpräche erkannte ich jezt recht deutlich, daß früher auch vor dieſem Werke die zwei Männer auf meine Unkenntniß Rückſicht ge¬ nommen hatten, und ich dankte es ihnen in meinem

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/231>, abgerufen am 21.11.2024.