Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

men, und dies erfüllte mich mit Ruhe und einer süßen
Empfindung, die mir in der lezten Zeit beinahe fremd
geworden war.

Ich sah am anderen Tage, als ich in das Speise¬
zimmer ging, den Vater, wie er vor den Verkleidun¬
gen stand, und sie betrachtete. Bald neigte er sich
näher zu ihnen, bald kniete er nieder, und befühlte
manches mit der Hand, oder untersuchte es genauer
mit den Augen. Mir klopfte das Herz vor Freude,
und die weißen Haare, welche unter den dunkeln im¬
mer häufiger auf seinem Haupte zum Vorschein ka¬
men, erschienen mir doppelt ehrwürdig, und die leichte
Falte der Sorge auf seiner Stirne, die in der Arbeit
für uns auf diesem Size seiner Gedanken entstanden
war, während ich meiner Freude nachgehen und die
Welt und die Menschen genießen konnte, und wäh¬
rend meine Schwester wie eine prachtvolle Rose er¬
blühen durfte, erfüllte mich beinahe mit einer Andacht.
Die Mutter kam dazu, er zeigte ihr manches, er er¬
klärte ihr die Stellungen der Gestalten die Führung
und die Schwingung der Stengel und der Blätter
und die Eintheilung des Ganzen. Die Mutter ver¬
stand diese Dinge durch die langjährige Übung viel
besser als ich, und ich sah jezt, daß ich dem Vater

men, und dies erfüllte mich mit Ruhe und einer ſüßen
Empfindung, die mir in der lezten Zeit beinahe fremd
geworden war.

Ich ſah am anderen Tage, als ich in das Speiſe¬
zimmer ging, den Vater, wie er vor den Verkleidun¬
gen ſtand, und ſie betrachtete. Bald neigte er ſich
näher zu ihnen, bald kniete er nieder, und befühlte
manches mit der Hand, oder unterſuchte es genauer
mit den Augen. Mir klopfte das Herz vor Freude,
und die weißen Haare, welche unter den dunkeln im¬
mer häufiger auf ſeinem Haupte zum Vorſchein ka¬
men, erſchienen mir doppelt ehrwürdig, und die leichte
Falte der Sorge auf ſeiner Stirne, die in der Arbeit
für uns auf dieſem Size ſeiner Gedanken entſtanden
war, während ich meiner Freude nachgehen und die
Welt und die Menſchen genießen konnte, und wäh¬
rend meine Schweſter wie eine prachtvolle Roſe er¬
blühen durfte, erfüllte mich beinahe mit einer Andacht.
Die Mutter kam dazu, er zeigte ihr manches, er er¬
klärte ihr die Stellungen der Geſtalten die Führung
und die Schwingung der Stengel und der Blätter
und die Eintheilung des Ganzen. Die Mutter ver¬
ſtand dieſe Dinge durch die langjährige Übung viel
beſſer als ich, und ich ſah jezt, daß ich dem Vater

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026" n="12"/>
men, und dies erfüllte mich mit Ruhe und einer &#x017F;üßen<lb/>
Empfindung, die mir in der lezten Zeit beinahe fremd<lb/>
geworden war.</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;ah am anderen Tage, als ich in das Spei&#x017F;<lb/>
zimmer ging, den Vater, wie er vor den Verkleidun¬<lb/>
gen &#x017F;tand, und &#x017F;ie betrachtete. Bald neigte er &#x017F;ich<lb/>
näher zu ihnen, bald kniete er nieder, und befühlte<lb/>
manches mit der Hand, oder unter&#x017F;uchte es genauer<lb/>
mit den Augen. Mir klopfte das Herz vor Freude,<lb/>
und die weißen Haare, welche unter den dunkeln im¬<lb/>
mer häufiger auf &#x017F;einem Haupte zum Vor&#x017F;chein ka¬<lb/>
men, er&#x017F;chienen mir doppelt ehrwürdig, und die leichte<lb/>
Falte der Sorge auf &#x017F;einer Stirne, die in der Arbeit<lb/>
für uns auf die&#x017F;em Size &#x017F;einer Gedanken ent&#x017F;tanden<lb/>
war, während ich meiner Freude nachgehen und die<lb/>
Welt und die Men&#x017F;chen genießen konnte, und wäh¬<lb/>
rend meine Schwe&#x017F;ter wie eine prachtvolle Ro&#x017F;e er¬<lb/>
blühen durfte, erfüllte mich beinahe mit einer Andacht.<lb/>
Die Mutter kam dazu, er zeigte ihr manches, er er¬<lb/>
klärte ihr die Stellungen der Ge&#x017F;talten die Führung<lb/>
und die Schwingung der Stengel und der Blätter<lb/>
und die Eintheilung des Ganzen. Die Mutter ver¬<lb/>
&#x017F;tand die&#x017F;e Dinge durch die langjährige Übung viel<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er als ich, und ich &#x017F;ah jezt, daß ich dem Vater<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0026] men, und dies erfüllte mich mit Ruhe und einer ſüßen Empfindung, die mir in der lezten Zeit beinahe fremd geworden war. Ich ſah am anderen Tage, als ich in das Speiſe¬ zimmer ging, den Vater, wie er vor den Verkleidun¬ gen ſtand, und ſie betrachtete. Bald neigte er ſich näher zu ihnen, bald kniete er nieder, und befühlte manches mit der Hand, oder unterſuchte es genauer mit den Augen. Mir klopfte das Herz vor Freude, und die weißen Haare, welche unter den dunkeln im¬ mer häufiger auf ſeinem Haupte zum Vorſchein ka¬ men, erſchienen mir doppelt ehrwürdig, und die leichte Falte der Sorge auf ſeiner Stirne, die in der Arbeit für uns auf dieſem Size ſeiner Gedanken entſtanden war, während ich meiner Freude nachgehen und die Welt und die Menſchen genießen konnte, und wäh¬ rend meine Schweſter wie eine prachtvolle Roſe er¬ blühen durfte, erfüllte mich beinahe mit einer Andacht. Die Mutter kam dazu, er zeigte ihr manches, er er¬ klärte ihr die Stellungen der Geſtalten die Führung und die Schwingung der Stengel und der Blätter und die Eintheilung des Ganzen. Die Mutter ver¬ ſtand dieſe Dinge durch die langjährige Übung viel beſſer als ich, und ich ſah jezt, daß ich dem Vater

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/26
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/26>, abgerufen am 21.11.2024.