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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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gehalten, und hast du alle Zeit zu dem Aufsuchen
und Pflücken dieser Blumen verwendet?" fragte Ma¬
thilde.

"Ich weiß nicht, wie lange ich mich auf dem
Berge aufgehalten habe; aber ich meine, es wird
nicht lange gewesen sein," antwortete Natalie, "ich
habe nicht blos diese Blumen gepflückt, sondern auch
auf die Gebirge geschaut, ich habe auf den Himmel
gesehen, und auf die Gegend auf diesen Garten und
auf dieses Haus geblickt."

"Mein Kind," sagte Mathilde, "es ist kein Übel,
wenn du in den Umgebungen dieses Hauses herum
gehst; aber es ist nicht gut, wenn du in der heißen
Sonne, die gegen Mittag zwar nicht am heißesten ist,
aber immerhin schon heiß genug, auf dem Hügel
herum gehst, welcher ihr ganz ausgesezt ist, welcher
keinen Baum -- außer bei der Felderrast -- und kei¬
nen Strauch hat, der Schatten biethen könnte. Und
du weißt auch nicht, wie lange du in der Hize ver¬
weilest, wenn du dich in das Herumsehen vertiefest,
oder wenn du Blumen pflückest, und in dieser Be¬
schäftigung die Zeit nicht beachtest."

"Ich habe mich in das Blumenpflücken nicht ver¬
tieft," erwiederte Natalie, "ich habe die Blumen nur

gehalten, und haſt du alle Zeit zu dem Aufſuchen
und Pflücken dieſer Blumen verwendet?“ fragte Ma¬
thilde.

„Ich weiß nicht, wie lange ich mich auf dem
Berge aufgehalten habe; aber ich meine, es wird
nicht lange geweſen ſein,“ antwortete Natalie, „ich
habe nicht blos dieſe Blumen gepflückt, ſondern auch
auf die Gebirge geſchaut, ich habe auf den Himmel
geſehen, und auf die Gegend auf dieſen Garten und
auf dieſes Haus geblickt.“

„Mein Kind,“ ſagte Mathilde, „es iſt kein Übel,
wenn du in den Umgebungen dieſes Hauſes herum
gehſt; aber es iſt nicht gut, wenn du in der heißen
Sonne, die gegen Mittag zwar nicht am heißeſten iſt,
aber immerhin ſchon heiß genug, auf dem Hügel
herum gehſt, welcher ihr ganz ausgeſezt iſt, welcher
keinen Baum — außer bei der Felderraſt — und kei¬
nen Strauch hat, der Schatten biethen könnte. Und
du weißt auch nicht, wie lange du in der Hize ver¬
weileſt, wenn du dich in das Herumſehen vertiefeſt,
oder wenn du Blumen pflückeſt, und in dieſer Be¬
ſchäftigung die Zeit nicht beachteſt.“

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[302/0316] gehalten, und haſt du alle Zeit zu dem Aufſuchen und Pflücken dieſer Blumen verwendet?“ fragte Ma¬ thilde. „Ich weiß nicht, wie lange ich mich auf dem Berge aufgehalten habe; aber ich meine, es wird nicht lange geweſen ſein,“ antwortete Natalie, „ich habe nicht blos dieſe Blumen gepflückt, ſondern auch auf die Gebirge geſchaut, ich habe auf den Himmel geſehen, und auf die Gegend auf dieſen Garten und auf dieſes Haus geblickt.“ „Mein Kind,“ ſagte Mathilde, „es iſt kein Übel, wenn du in den Umgebungen dieſes Hauſes herum gehſt; aber es iſt nicht gut, wenn du in der heißen Sonne, die gegen Mittag zwar nicht am heißeſten iſt, aber immerhin ſchon heiß genug, auf dem Hügel herum gehſt, welcher ihr ganz ausgeſezt iſt, welcher keinen Baum — außer bei der Felderraſt — und kei¬ nen Strauch hat, der Schatten biethen könnte. Und du weißt auch nicht, wie lange du in der Hize ver¬ weileſt, wenn du dich in das Herumſehen vertiefeſt, oder wenn du Blumen pflückeſt, und in dieſer Be¬ ſchäftigung die Zeit nicht beachteſt.“ „Ich habe mich in das Blumenpflücken nicht ver¬ tieft,“ erwiederte Natalie, „ich habe die Blumen nur

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/316>, abgerufen am 22.11.2024.