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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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wie man den Ausdruck nehmen will -- war ihr ein
Bedürfniß geblieben. Sie wollte nicht blos das
wissen, was jezt noch auf den geistigen Gebiethen
hervor gebracht wurde, und in dieser Beziehung,
wenn irgend ein Werk Ruhm erlangte und Aufsehen
machte, suchte sie auch an dessen Pforte zu klopfen,
und zu sehen, ob sie eintreten könnte; sondern sie
nahm oft auch ein Buch von solchen Personen in die
Hand, die in ihre Jugendzeit gefallen, und dort be¬
deutsam gewesen waren, sie ging das Werk durch,
und erforschte, ob sie auch jezt noch die zahlreichen
mit Rothstift gemachten Zeichen und Anmerkungen
wieder in derselben Art machen, oder ob sie andere an
ihre Stelle sezen würde; ja sie nahm Werke der älte¬
sten Vergangenheit vor, die jezt die Leute, außer sie
wären Gelehrte nur in dem Munde führen, nicht
lesen; sie wollte doch sehen, was sie enthielten, und
wenn sie ihr gefielen, wurden sie nach manchen Zwi¬
schenzeiten wieder hervorgeholt. Von dem, was in
den Verhältnissen der Staaten und Völker vorging,
wollte sie beständig unterrichtet sein. Sie empfing
daher von manchen ihrer Verwandten und Bekannten
Briefe, und die vorzüglichsten Zeitungsblätter mußten
auf ihren Tisch kommen. Weil aber, obwohl ihre

wie man den Ausdruck nehmen will — war ihr ein
Bedürfniß geblieben. Sie wollte nicht blos das
wiſſen, was jezt noch auf den geiſtigen Gebiethen
hervor gebracht wurde, und in dieſer Beziehung,
wenn irgend ein Werk Ruhm erlangte und Aufſehen
machte, ſuchte ſie auch an deſſen Pforte zu klopfen,
und zu ſehen, ob ſie eintreten könnte; ſondern ſie
nahm oft auch ein Buch von ſolchen Perſonen in die
Hand, die in ihre Jugendzeit gefallen, und dort be¬
deutſam geweſen waren, ſie ging das Werk durch,
und erforſchte, ob ſie auch jezt noch die zahlreichen
mit Rothſtift gemachten Zeichen und Anmerkungen
wieder in derſelben Art machen, oder ob ſie andere an
ihre Stelle ſezen würde; ja ſie nahm Werke der älte¬
ſten Vergangenheit vor, die jezt die Leute, außer ſie
wären Gelehrte nur in dem Munde führen, nicht
leſen; ſie wollte doch ſehen, was ſie enthielten, und
wenn ſie ihr gefielen, wurden ſie nach manchen Zwi¬
ſchenzeiten wieder hervorgeholt. Von dem, was in
den Verhältniſſen der Staaten und Völker vorging,
wollte ſie beſtändig unterrichtet ſein. Sie empfing
daher von manchen ihrer Verwandten und Bekannten
Briefe, und die vorzüglichſten Zeitungsblätter mußten
auf ihren Tiſch kommen. Weil aber, obwohl ihre

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[77/0091] wie man den Ausdruck nehmen will — war ihr ein Bedürfniß geblieben. Sie wollte nicht blos das wiſſen, was jezt noch auf den geiſtigen Gebiethen hervor gebracht wurde, und in dieſer Beziehung, wenn irgend ein Werk Ruhm erlangte und Aufſehen machte, ſuchte ſie auch an deſſen Pforte zu klopfen, und zu ſehen, ob ſie eintreten könnte; ſondern ſie nahm oft auch ein Buch von ſolchen Perſonen in die Hand, die in ihre Jugendzeit gefallen, und dort be¬ deutſam geweſen waren, ſie ging das Werk durch, und erforſchte, ob ſie auch jezt noch die zahlreichen mit Rothſtift gemachten Zeichen und Anmerkungen wieder in derſelben Art machen, oder ob ſie andere an ihre Stelle ſezen würde; ja ſie nahm Werke der älte¬ ſten Vergangenheit vor, die jezt die Leute, außer ſie wären Gelehrte nur in dem Munde führen, nicht leſen; ſie wollte doch ſehen, was ſie enthielten, und wenn ſie ihr gefielen, wurden ſie nach manchen Zwi¬ ſchenzeiten wieder hervorgeholt. Von dem, was in den Verhältniſſen der Staaten und Völker vorging, wollte ſie beſtändig unterrichtet ſein. Sie empfing daher von manchen ihrer Verwandten und Bekannten Briefe, und die vorzüglichſten Zeitungsblätter mußten auf ihren Tiſch kommen. Weil aber, obwohl ihre

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/91>, abgerufen am 20.05.2024.