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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Wohlwollens und eurer Schonung gegeben," antwor¬
tete ich, "daß ich gar nicht weiß, wie ich sie verdiene;
denn Vorzüge von was immer für einer Art sind gar
nicht an mir."

"Das Urtheil über den Grund, woraus Achtung
und Neigung oder Mißachtung und Abneigung ent¬
steht, muß immer andern überlassen werden; denn
wenn man zulezt auch annähernd weiß, was man in
einem Fache geleistet hat, wenn man sich auch seines
guten Willens im Wandel bewußt ist, so kennt man
doch alle Abschattungen seines Wesens nicht, in wie
ferne sie gegen andere gerichtet sind, man kennt sie
nur in der Richtung gegen sich selbst, und beide Rich¬
tungen sind sehr verschieden. Übrigens, mein lieber
Sohn, wenn es auch ganz in der Ordnung ist, daß
man in der Gesellschaft der Menschen einen gewissen
Anstand und Abstand in Kleidern und sonstigem Be¬
nehmen zeigt, so wäre es in der eigenen Familie eine
Last. Komme also in Zukunft in deinen Alltagsge¬
wändern zu mir. Und wenn ich auch kein Verwandter
deiner Braut bin, so betrachte mich als einen solchen,
wie etwa als ihren Pflegevater. Es wird schon alles
recht werden, es wird schon alles gut werden."

Er hatte bei diesen Worten die Hand auf mein

Wohlwollens und eurer Schonung gegeben,“ antwor¬
tete ich, „daß ich gar nicht weiß, wie ich ſie verdiene;
denn Vorzüge von was immer für einer Art ſind gar
nicht an mir.“

„Das Urtheil über den Grund, woraus Achtung
und Neigung oder Mißachtung und Abneigung ent¬
ſteht, muß immer andern überlaſſen werden; denn
wenn man zulezt auch annähernd weiß, was man in
einem Fache geleiſtet hat, wenn man ſich auch ſeines
guten Willens im Wandel bewußt iſt, ſo kennt man
doch alle Abſchattungen ſeines Weſens nicht, in wie
ferne ſie gegen andere gerichtet ſind, man kennt ſie
nur in der Richtung gegen ſich ſelbſt, und beide Rich¬
tungen ſind ſehr verſchieden. Übrigens, mein lieber
Sohn, wenn es auch ganz in der Ordnung iſt, daß
man in der Geſellſchaft der Menſchen einen gewiſſen
Anſtand und Abſtand in Kleidern und ſonſtigem Be¬
nehmen zeigt, ſo wäre es in der eigenen Familie eine
Laſt. Komme alſo in Zukunft in deinen Alltagsge¬
wändern zu mir. Und wenn ich auch kein Verwandter
deiner Braut bin, ſo betrachte mich als einen ſolchen,
wie etwa als ihren Pflegevater. Es wird ſchon alles
recht werden, es wird ſchon alles gut werden.“

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[359/0373] Wohlwollens und eurer Schonung gegeben,“ antwor¬ tete ich, „daß ich gar nicht weiß, wie ich ſie verdiene; denn Vorzüge von was immer für einer Art ſind gar nicht an mir.“ „Das Urtheil über den Grund, woraus Achtung und Neigung oder Mißachtung und Abneigung ent¬ ſteht, muß immer andern überlaſſen werden; denn wenn man zulezt auch annähernd weiß, was man in einem Fache geleiſtet hat, wenn man ſich auch ſeines guten Willens im Wandel bewußt iſt, ſo kennt man doch alle Abſchattungen ſeines Weſens nicht, in wie ferne ſie gegen andere gerichtet ſind, man kennt ſie nur in der Richtung gegen ſich ſelbſt, und beide Rich¬ tungen ſind ſehr verſchieden. Übrigens, mein lieber Sohn, wenn es auch ganz in der Ordnung iſt, daß man in der Geſellſchaft der Menſchen einen gewiſſen Anſtand und Abſtand in Kleidern und ſonſtigem Be¬ nehmen zeigt, ſo wäre es in der eigenen Familie eine Laſt. Komme alſo in Zukunft in deinen Alltagsge¬ wändern zu mir. Und wenn ich auch kein Verwandter deiner Braut bin, ſo betrachte mich als einen ſolchen, wie etwa als ihren Pflegevater. Es wird ſchon alles recht werden, es wird ſchon alles gut werden.“ Er hatte bei dieſen Worten die Hand auf mein

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/373>, abgerufen am 26.06.2024.