eine Nahrung finden würden, und dann lief er selber von der Hütte weg, weil er den todten Mann und das todte Weib entsezlich fürchtete. Er ging auf eine freie Stelle des Waldes, und da war jezt überall niemand, niemand als der Tod. Wenn er in der Mitte von Blumen und Gesträuchen nieder kniete und bethete, oder wenn er um Vater und Mutter und um die andern Leute weinte und jammerte, und wenn er dann wieder aufstand, so war nichts um ihn als die Blumen und Gesträuche, und das Vieh, welches unter die Bäume des Waldes hinein weidete, und mit den Gloken läutete. Siehst du, so war es mit dem Knaben, der vielleicht gerade so groß war wie du. Aber siehe, die Pechbrennerknaben sind nicht wie die in den Marktfleken oder in den Städten, sie sind schon unterrichteter in den Dingen der Natur, sie wachsen in dem Walde auf, sie können mit dem Feuer umgehen, sie fürchten die Gewitter nicht, und haben wenig Klei¬ der, im Sommer keine Schuhe und auf dem Haupte statt eines Hutes die berußten Haare. Am Abende nahm der Knabe Stahl Stein und Schwamm aus seiner Tasche, und machte sich ein Feuer; das in den Öfen der Pechbrenner war längst ausgegangen, und erloschen. Als ihn hungerte, grub er mit der Hand Kartoffeln aus, die unter den emporwachsenden Reben
eine Nahrung finden würden, und dann lief er ſelber von der Hütte weg, weil er den todten Mann und das todte Weib entſezlich fürchtete. Er ging auf eine freie Stelle des Waldes, und da war jezt überall niemand, niemand als der Tod. Wenn er in der Mitte von Blumen und Geſträuchen nieder kniete und bethete, oder wenn er um Vater und Mutter und um die andern Leute weinte und jammerte, und wenn er dann wieder aufſtand, ſo war nichts um ihn als die Blumen und Geſträuche, und das Vieh, welches unter die Bäume des Waldes hinein weidete, und mit den Gloken läutete. Siehſt du, ſo war es mit dem Knaben, der vielleicht gerade ſo groß war wie du. Aber ſiehe, die Pechbrennerknaben ſind nicht wie die in den Marktfleken oder in den Städten, ſie ſind ſchon unterrichteter in den Dingen der Natur, ſie wachſen in dem Walde auf, ſie können mit dem Feuer umgehen, ſie fürchten die Gewitter nicht, und haben wenig Klei¬ der, im Sommer keine Schuhe und auf dem Haupte ſtatt eines Hutes die berußten Haare. Am Abende nahm der Knabe Stahl Stein und Schwamm aus ſeiner Taſche, und machte ſich ein Feuer; das in den Öfen der Pechbrenner war längſt ausgegangen, und erloſchen. Als ihn hungerte, grub er mit der Hand Kartoffeln aus, die unter den emporwachſenden Reben
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eine Nahrung finden würden, und dann lief er ſelber
von der Hütte weg, weil er den todten Mann und
das todte Weib entſezlich fürchtete. Er ging auf eine
freie Stelle des Waldes, und da war jezt überall
niemand, niemand als der Tod. Wenn er in der
Mitte von Blumen und Geſträuchen nieder kniete und
bethete, oder wenn er um Vater und Mutter und um
die andern Leute weinte und jammerte, und wenn er
dann wieder aufſtand, ſo war nichts um ihn als die
Blumen und Geſträuche, und das Vieh, welches
unter die Bäume des Waldes hinein weidete, und
mit den Gloken läutete. Siehſt du, ſo war es mit
dem Knaben, der vielleicht gerade ſo groß war wie du.
Aber ſiehe, die Pechbrennerknaben ſind nicht wie die
in den Marktfleken oder in den Städten, ſie ſind ſchon
unterrichteter in den Dingen der Natur, ſie wachſen
in dem Walde auf, ſie können mit dem Feuer umgehen,
ſie fürchten die Gewitter nicht, und haben wenig Klei¬
der, im Sommer keine Schuhe und auf dem Haupte
ſtatt eines Hutes die berußten Haare. Am Abende
nahm der Knabe Stahl Stein und Schwamm aus
ſeiner Taſche, und machte ſich ein Feuer; das in den
Öfen der Pechbrenner war längſt ausgegangen, und
erloſchen. Als ihn hungerte, grub er mit der Hand
Kartoffeln aus, die unter den emporwachſenden Reben
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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/76>, abgerufen am 27.11.2024.
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