daraus machen will, wird die Freiheit des Machens über¬ haupt gehindert, und an deren Stelle der Zwang einer An¬ sicht oder eines Urtheils gesetzt. Wer das Urtheil fällte, es sei die Bibel ein langer Irrthum der Menschheit, der urtheilte -- verbrecherisch.
In der That urtheilt das Kind, welches sie zerfetzt oder damit spielt, der Inka Atahualpa, der sein Ohr daran legt und sie verächtlich wegwirft, als sie stumm bleibt, eben so richtig über die Bibel, als der Pfaffe, welcher in ihr das "Wort Gottes" anpreist, oder der Kritiker, der sie ein Mach¬ werk von Menschenhänden nennt. Denn wie Wir mit den Dingen umspringen, das ist die Sache unseres Beliebens, unserer Willkühr: Wir gebrauchen sie nach Herzenslust, oder deutlicher, Wir gebrauchen sie, wie Wir eben können. Worüber schreien denn die Pfaffen, wenn sie sehen, wie Hegel und die speculativen Theologen aus dem Inhalte der Bibel speculative Gedanken machen? Gerade darüber, daß jene nach Herzenslust damit gebahren oder "willkührlich damit verfahren".
Weil Wir aber Alle im Behandeln der Objecte Uns will¬ kührlich zeigen, d. h. so mit ihnen umgehen, wie es Uns am besten gefällt, nach unserem Gefallen (dem Philosophen gefällt nichts so sehr, als wenn er in Allem eine "Idee" auf¬ spüren kann, wie es dem Gottesfürchtigen gefällt, durch Alles, also z. B. durch Heilighaltung der Bibel, sich Gott zum Freunde zu machen): so begegnen Wir nirgends so peinlicher Willkühr, so fürchterlicher Gewaltthätigkeit, so dummem Zwange, als eben in diesem Gebiete unserer -- eigenen Willkühr. Verfahren Wir willkührlich, indem Wir die heiligen Gegen¬ stände so oder so nehmen, wie wollen Wir's da den Pfaffen¬ geistern verargen, wenn sie Uns ebenso willkührlich nach ihrer
29
daraus machen will, wird die Freiheit des Machens über¬ haupt gehindert, und an deren Stelle der Zwang einer An¬ ſicht oder eines Urtheils geſetzt. Wer das Urtheil fällte, es ſei die Bibel ein langer Irrthum der Menſchheit, der urtheilte — verbrecheriſch.
In der That urtheilt das Kind, welches ſie zerfetzt oder damit ſpielt, der Inka Atahualpa, der ſein Ohr daran legt und ſie verächtlich wegwirft, als ſie ſtumm bleibt, eben ſo richtig über die Bibel, als der Pfaffe, welcher in ihr das „Wort Gottes“ anpreiſt, oder der Kritiker, der ſie ein Mach¬ werk von Menſchenhänden nennt. Denn wie Wir mit den Dingen umſpringen, das iſt die Sache unſeres Beliebens, unſerer Willkühr: Wir gebrauchen ſie nach Herzensluſt, oder deutlicher, Wir gebrauchen ſie, wie Wir eben können. Worüber ſchreien denn die Pfaffen, wenn ſie ſehen, wie Hegel und die ſpeculativen Theologen aus dem Inhalte der Bibel ſpeculative Gedanken machen? Gerade darüber, daß jene nach Herzensluſt damit gebahren oder „willkührlich damit verfahren“.
Weil Wir aber Alle im Behandeln der Objecte Uns will¬ kührlich zeigen, d. h. ſo mit ihnen umgehen, wie es Uns am beſten gefällt, nach unſerem Gefallen (dem Philoſophen gefällt nichts ſo ſehr, als wenn er in Allem eine „Idee“ auf¬ ſpüren kann, wie es dem Gottesfürchtigen gefällt, durch Alles, alſo z. B. durch Heilighaltung der Bibel, ſich Gott zum Freunde zu machen): ſo begegnen Wir nirgends ſo peinlicher Willkühr, ſo fürchterlicher Gewaltthätigkeit, ſo dummem Zwange, als eben in dieſem Gebiete unſerer — eigenen Willkühr. Verfahren Wir willkührlich, indem Wir die heiligen Gegen¬ ſtände ſo oder ſo nehmen, wie wollen Wir's da den Pfaffen¬ geiſtern verargen, wenn ſie Uns ebenſo willkührlich nach ihrer
29
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0457"n="449"/>
daraus machen will, wird die Freiheit des Machens über¬<lb/>
haupt gehindert, und an deren Stelle der Zwang einer An¬<lb/>ſicht oder eines Urtheils geſetzt. Wer das Urtheil fällte, es<lb/>ſei die Bibel ein langer Irrthum der Menſchheit, der urtheilte<lb/>—<hirendition="#g">verbrecheriſch</hi>.</p><lb/><p>In der That urtheilt das Kind, welches ſie zerfetzt oder<lb/>
damit ſpielt, der Inka Atahualpa, der ſein Ohr daran legt<lb/>
und ſie verächtlich wegwirft, als ſie ſtumm bleibt, eben ſo<lb/>
richtig über die Bibel, als der Pfaffe, welcher in ihr das<lb/>„Wort Gottes“ anpreiſt, oder der Kritiker, der ſie ein Mach¬<lb/>
werk von Menſchenhänden nennt. Denn wie Wir mit den<lb/>
Dingen umſpringen, das iſt die Sache unſeres <hirendition="#g">Beliebens</hi>,<lb/>
unſerer <hirendition="#g">Willkühr</hi>: Wir gebrauchen ſie nach <hirendition="#g">Herzensluſt</hi>,<lb/>
oder deutlicher, Wir gebrauchen ſie, wie Wir eben <hirendition="#g">können</hi>.<lb/>
Worüber ſchreien denn die Pfaffen, wenn ſie ſehen, wie Hegel<lb/>
und die ſpeculativen Theologen aus dem Inhalte der Bibel<lb/>ſpeculative Gedanken machen? Gerade darüber, daß jene nach<lb/>
Herzensluſt damit gebahren oder „willkührlich damit verfahren“.</p><lb/><p>Weil Wir aber Alle im Behandeln der Objecte Uns will¬<lb/>
kührlich zeigen, d. h. ſo mit ihnen umgehen, wie es Uns am<lb/>
beſten <hirendition="#g">gefällt</hi>, nach unſerem <hirendition="#g">Gefallen</hi> (dem Philoſophen<lb/>
gefällt nichts ſo ſehr, als wenn er in Allem eine „Idee“ auf¬<lb/>ſpüren kann, wie es dem Gottesfürchtigen gefällt, durch Alles,<lb/>
alſo z. B. durch Heilighaltung der Bibel, ſich Gott zum<lb/>
Freunde zu machen): ſo begegnen Wir nirgends ſo peinlicher<lb/>
Willkühr, ſo fürchterlicher Gewaltthätigkeit, ſo dummem Zwange,<lb/>
als eben in dieſem Gebiete unſerer —<hirendition="#g">eigenen Willkühr</hi>.<lb/>
Verfahren <hirendition="#g">Wir</hi> willkührlich, indem Wir die heiligen Gegen¬<lb/>ſtände ſo oder ſo nehmen, wie wollen Wir's da den Pfaffen¬<lb/>
geiſtern verargen, wenn ſie Uns ebenſo willkührlich <hirendition="#g">nach ihrer</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">29<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[449/0457]
daraus machen will, wird die Freiheit des Machens über¬
haupt gehindert, und an deren Stelle der Zwang einer An¬
ſicht oder eines Urtheils geſetzt. Wer das Urtheil fällte, es
ſei die Bibel ein langer Irrthum der Menſchheit, der urtheilte
— verbrecheriſch.
In der That urtheilt das Kind, welches ſie zerfetzt oder
damit ſpielt, der Inka Atahualpa, der ſein Ohr daran legt
und ſie verächtlich wegwirft, als ſie ſtumm bleibt, eben ſo
richtig über die Bibel, als der Pfaffe, welcher in ihr das
„Wort Gottes“ anpreiſt, oder der Kritiker, der ſie ein Mach¬
werk von Menſchenhänden nennt. Denn wie Wir mit den
Dingen umſpringen, das iſt die Sache unſeres Beliebens,
unſerer Willkühr: Wir gebrauchen ſie nach Herzensluſt,
oder deutlicher, Wir gebrauchen ſie, wie Wir eben können.
Worüber ſchreien denn die Pfaffen, wenn ſie ſehen, wie Hegel
und die ſpeculativen Theologen aus dem Inhalte der Bibel
ſpeculative Gedanken machen? Gerade darüber, daß jene nach
Herzensluſt damit gebahren oder „willkührlich damit verfahren“.
Weil Wir aber Alle im Behandeln der Objecte Uns will¬
kührlich zeigen, d. h. ſo mit ihnen umgehen, wie es Uns am
beſten gefällt, nach unſerem Gefallen (dem Philoſophen
gefällt nichts ſo ſehr, als wenn er in Allem eine „Idee“ auf¬
ſpüren kann, wie es dem Gottesfürchtigen gefällt, durch Alles,
alſo z. B. durch Heilighaltung der Bibel, ſich Gott zum
Freunde zu machen): ſo begegnen Wir nirgends ſo peinlicher
Willkühr, ſo fürchterlicher Gewaltthätigkeit, ſo dummem Zwange,
als eben in dieſem Gebiete unſerer — eigenen Willkühr.
Verfahren Wir willkührlich, indem Wir die heiligen Gegen¬
ſtände ſo oder ſo nehmen, wie wollen Wir's da den Pfaffen¬
geiſtern verargen, wenn ſie Uns ebenſo willkührlich nach ihrer
29
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/457>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.