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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Art nehmen, und Uns des Ketzerfeuers oder einer andern
Strafe, etwa der -- Censur, würdig erachten?

Was ein Mensch ist, das macht er aus den Dingen;
"wie Du die Welt anschaust, so schaut sie Dich wieder an".
Da läßt sich denn gleich der weise Rath vernehmen: Du mußt
sie nur "recht, unbefangen" u. s. w. anschauen. Als ob das
Kind die Bibel nicht "recht und unbefangen" anschaute, wenn
es dieselbe zum Spielzeug macht. Jene kluge Weisung giebt
Uns z. B. Feuerbach. Die Dinge schaut man eben recht an,
wenn man aus ihnen macht, was man will (unter Dingen
sind hier Objecte, Gegenstände überhaupt verstanden, wie Gott,
unsere Mitmenschen, ein Liebchen, ein Buch, ein Thier u. s. w.).
Und darum sind die Dinge und ihre Anschauung nicht das
Erste, sondern Ich bin's, mein Wille ist's. Man will Ge¬
danken aus den Dingen herausbringen, will Vernunft in der
Welt entdecken, will Heiligkeit in ihr haben: daher wird man
sie finden. "Suchet, so werdet Ihr finden." Was Ich suchen
will, das bestimme Ich: Ich will Mir z. B. aus der Bibel
Erbauung holen: sie ist zu finden; Ich will die Bibel gründ¬
lich lesen und prüfen: es wird Mir eine gründliche Belehrung
und Kritik entstehen -- nach meinen Kräften. Ich erkiese Mir
das, wonach mein Sinn steht, und erkiesend beweise Ich Mich
-- willkührlich.

Hieran knüpft sich die Einsicht, daß jedes Urtheil, welches
Ich über ein Object fälle, das Geschöpf meines Willens ist,
und wiederum leitet Mich jene Einsicht dahin, daß Ich Mich
nicht an das Geschöpf, das Urtheil, verliere, sondern der
Schöpfer bleibe, der Urtheilende, der stets von neuem schafft.
Alle Prädicate von den Gegenständen sind meine Aussagen,
meine Urtheile, meine -- Geschöpfe. Wollen sie sich losreißen

Art nehmen, und Uns des Ketzerfeuers oder einer andern
Strafe, etwa der — Cenſur, würdig erachten?

Was ein Menſch iſt, das macht er aus den Dingen;
„wie Du die Welt anſchauſt, ſo ſchaut ſie Dich wieder an“.
Da läßt ſich denn gleich der weiſe Rath vernehmen: Du mußt
ſie nur „recht, unbefangen“ u. ſ. w. anſchauen. Als ob das
Kind die Bibel nicht „recht und unbefangen“ anſchaute, wenn
es dieſelbe zum Spielzeug macht. Jene kluge Weiſung giebt
Uns z. B. Feuerbach. Die Dinge ſchaut man eben recht an,
wenn man aus ihnen macht, was man will (unter Dingen
ſind hier Objecte, Gegenſtände überhaupt verſtanden, wie Gott,
unſere Mitmenſchen, ein Liebchen, ein Buch, ein Thier u. ſ. w.).
Und darum ſind die Dinge und ihre Anſchauung nicht das
Erſte, ſondern Ich bin's, mein Wille iſt's. Man will Ge¬
danken aus den Dingen herausbringen, will Vernunft in der
Welt entdecken, will Heiligkeit in ihr haben: daher wird man
ſie finden. „Suchet, ſo werdet Ihr finden.“ Was Ich ſuchen
will, das beſtimme Ich: Ich will Mir z. B. aus der Bibel
Erbauung holen: ſie iſt zu finden; Ich will die Bibel gründ¬
lich leſen und prüfen: es wird Mir eine gründliche Belehrung
und Kritik entſtehen — nach meinen Kräften. Ich erkieſe Mir
das, wonach mein Sinn ſteht, und erkieſend beweiſe Ich Mich
— willkührlich.

Hieran knüpft ſich die Einſicht, daß jedes Urtheil, welches
Ich über ein Object fälle, das Geſchöpf meines Willens iſt,
und wiederum leitet Mich jene Einſicht dahin, daß Ich Mich
nicht an das Geſchöpf, das Urtheil, verliere, ſondern der
Schöpfer bleibe, der Urtheilende, der ſtets von neuem ſchafft.
Alle Prädicate von den Gegenſtänden ſind meine Ausſagen,
meine Urtheile, meine — Geſchöpfe. Wollen ſie ſich losreißen

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[450/0458] Art nehmen, und Uns des Ketzerfeuers oder einer andern Strafe, etwa der — Cenſur, würdig erachten? Was ein Menſch iſt, das macht er aus den Dingen; „wie Du die Welt anſchauſt, ſo ſchaut ſie Dich wieder an“. Da läßt ſich denn gleich der weiſe Rath vernehmen: Du mußt ſie nur „recht, unbefangen“ u. ſ. w. anſchauen. Als ob das Kind die Bibel nicht „recht und unbefangen“ anſchaute, wenn es dieſelbe zum Spielzeug macht. Jene kluge Weiſung giebt Uns z. B. Feuerbach. Die Dinge ſchaut man eben recht an, wenn man aus ihnen macht, was man will (unter Dingen ſind hier Objecte, Gegenſtände überhaupt verſtanden, wie Gott, unſere Mitmenſchen, ein Liebchen, ein Buch, ein Thier u. ſ. w.). Und darum ſind die Dinge und ihre Anſchauung nicht das Erſte, ſondern Ich bin's, mein Wille iſt's. Man will Ge¬ danken aus den Dingen herausbringen, will Vernunft in der Welt entdecken, will Heiligkeit in ihr haben: daher wird man ſie finden. „Suchet, ſo werdet Ihr finden.“ Was Ich ſuchen will, das beſtimme Ich: Ich will Mir z. B. aus der Bibel Erbauung holen: ſie iſt zu finden; Ich will die Bibel gründ¬ lich leſen und prüfen: es wird Mir eine gründliche Belehrung und Kritik entſtehen — nach meinen Kräften. Ich erkieſe Mir das, wonach mein Sinn ſteht, und erkieſend beweiſe Ich Mich — willkührlich. Hieran knüpft ſich die Einſicht, daß jedes Urtheil, welches Ich über ein Object fälle, das Geſchöpf meines Willens iſt, und wiederum leitet Mich jene Einſicht dahin, daß Ich Mich nicht an das Geſchöpf, das Urtheil, verliere, ſondern der Schöpfer bleibe, der Urtheilende, der ſtets von neuem ſchafft. Alle Prädicate von den Gegenſtänden ſind meine Ausſagen, meine Urtheile, meine — Geſchöpfe. Wollen ſie ſich losreißen

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/458>, abgerufen am 23.11.2024.