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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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von Mir, und etwas für sich sein, oder gar Mir imponiren,
so habe Ich nichts Eiligeres zu thun, als sie in ihr Nichts,
d. h. in Mich, den Schöpfer, zurückzunehmen. Gott, Christus,
Dreieinigkeit, Sittlichkeit, das Gute u.s.w. sind solche Ge¬
schöpfe, von denen Ich Mir nicht bloß erlauben muß, zu
sagen, sie seien Wahrheiten, sondern auch, sie seien Täuschun¬
gen. Wie Ich einmal ihr Dasein gewollt und decretirt habe,
so will Ich auch ihr Nichtsein wollen dürfen; Ich darf sie
Mir nicht über den Kopf wachsen, darf nicht die Schwachheit
haben, etwas "Absolutes" aus ihnen werden zu lassen, wo¬
durch sie verewigt und meiner Macht und Bestimmung ent¬
zogen würden. Damit würde Ich dem Stabilitätsprin¬
cip
verfallen, dem eigentlichen Lebensprincip der Religion, die
sich's angelegen sein läßt, "unantastbare Heiligthümer", "ewige
Wahrheiten", kurz ein "Heiliges" zu creiren und Dir das
Deinige zu entziehen.

Das Object macht Uns in seiner heiligen Gestalt [unleserliches Material - 3 Zeichen fehlen]nso
zu Besessenen, wie in seiner unheiligen, als übersinnliches [o]b¬
ject ebenso, wie als sinnliches. Auf beide bezieht sich [d]ie
Begierde oder Sucht, und auf gleicher Stufe stehen Geld[g][i][e]r
und Sehnsucht nach dem Himmel. Als die Aufklärer die
Leute für die sinnliche Welt gewinnen wollten, predigte Lavater
die Sehnsucht nach dem Unsichtbaren. Rührung wollen die
Einen hervorrufen, Rührigkeit die Andern.

Die Auffassung der Gegenstände ist eine durchaus ver¬
schiedene, wie denn Gott, Christus, Welt u.s.w. auf die
mannigfaltigste Weise aufgefaßt wurden und werden. Jeder
ist darin ein "Andersdenkender", und nach blutigen Kämpfen
hat man endlich so viel erreicht, daß die entgegengesetzten An¬
sichten über ein und denselben Gegenstand nicht mehr als

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von Mir, und etwas für ſich ſein, oder gar Mir imponiren,
ſo habe Ich nichts Eiligeres zu thun, als ſie in ihr Nichts,
d. h. in Mich, den Schöpfer, zurückzunehmen. Gott, Chriſtus,
Dreieinigkeit, Sittlichkeit, das Gute u.ſ.w. ſind ſolche Ge¬
ſchöpfe, von denen Ich Mir nicht bloß erlauben muß, zu
ſagen, ſie ſeien Wahrheiten, ſondern auch, ſie ſeien Täuſchun¬
gen. Wie Ich einmal ihr Daſein gewollt und decretirt habe,
ſo will Ich auch ihr Nichtſein wollen dürfen; Ich darf ſie
Mir nicht über den Kopf wachſen, darf nicht die Schwachheit
haben, etwas „Abſolutes“ aus ihnen werden zu laſſen, wo¬
durch ſie verewigt und meiner Macht und Beſtimmung ent¬
zogen würden. Damit würde Ich dem Stabilitätsprin¬
cip
verfallen, dem eigentlichen Lebensprincip der Religion, die
ſich's angelegen ſein läßt, „unantaſtbare Heiligthümer“, „ewige
Wahrheiten“, kurz ein „Heiliges“ zu creiren und Dir das
Deinige zu entziehen.

Das Object macht Uns in ſeiner heiligen Geſtalt [unleserliches Material – 3 Zeichen fehlen]nſo
zu Beſeſſenen, wie in ſeiner unheiligen, als überſinnliches [o]b¬
ject ebenſo, wie als ſinnliches. Auf beide bezieht ſich [d]ie
Begierde oder Sucht, und auf gleicher Stufe ſtehen Geld[g][i][e]r
und Sehnſucht nach dem Himmel. Als die Aufklärer die
Leute für die ſinnliche Welt gewinnen wollten, predigte Lavater
die Sehnſucht nach dem Unſichtbaren. Rührung wollen die
Einen hervorrufen, Rührigkeit die Andern.

Die Auffaſſung der Gegenſtände iſt eine durchaus ver¬
ſchiedene, wie denn Gott, Chriſtus, Welt u.ſ.w. auf die
mannigfaltigſte Weiſe aufgefaßt wurden und werden. Jeder
iſt darin ein „Andersdenkender“, und nach blutigen Kämpfen
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ſichten über ein und denſelben Gegenſtand nicht mehr als

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[451/0459] von Mir, und etwas für ſich ſein, oder gar Mir imponiren, ſo habe Ich nichts Eiligeres zu thun, als ſie in ihr Nichts, d. h. in Mich, den Schöpfer, zurückzunehmen. Gott, Chriſtus, Dreieinigkeit, Sittlichkeit, das Gute u.ſ.w. ſind ſolche Ge¬ ſchöpfe, von denen Ich Mir nicht bloß erlauben muß, zu ſagen, ſie ſeien Wahrheiten, ſondern auch, ſie ſeien Täuſchun¬ gen. Wie Ich einmal ihr Daſein gewollt und decretirt habe, ſo will Ich auch ihr Nichtſein wollen dürfen; Ich darf ſie Mir nicht über den Kopf wachſen, darf nicht die Schwachheit haben, etwas „Abſolutes“ aus ihnen werden zu laſſen, wo¬ durch ſie verewigt und meiner Macht und Beſtimmung ent¬ zogen würden. Damit würde Ich dem Stabilitätsprin¬ cip verfallen, dem eigentlichen Lebensprincip der Religion, die ſich's angelegen ſein läßt, „unantaſtbare Heiligthümer“, „ewige Wahrheiten“, kurz ein „Heiliges“ zu creiren und Dir das Deinige zu entziehen. Das Object macht Uns in ſeiner heiligen Geſtalt ___nſo zu Beſeſſenen, wie in ſeiner unheiligen, als überſinnliches ob¬ ject ebenſo, wie als ſinnliches. Auf beide bezieht ſich die Begierde oder Sucht, und auf gleicher Stufe ſtehen Geldgier und Sehnſucht nach dem Himmel. Als die Aufklärer die Leute für die ſinnliche Welt gewinnen wollten, predigte Lavater die Sehnſucht nach dem Unſichtbaren. Rührung wollen die Einen hervorrufen, Rührigkeit die Andern. Die Auffaſſung der Gegenſtände iſt eine durchaus ver¬ ſchiedene, wie denn Gott, Chriſtus, Welt u.ſ.w. auf die mannigfaltigſte Weiſe aufgefaßt wurden und werden. Jeder iſt darin ein „Andersdenkender“, und nach blutigen Kämpfen hat man endlich ſo viel erreicht, daß die entgegengeſetzten An¬ ſichten über ein und denſelben Gegenſtand nicht mehr als 29 *

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/459>, abgerufen am 23.11.2024.