Unter den übrigen Gefängnissen, deren über- haupt nur drey sind, ist das Polizeygefäng- niß das merkwürdigste. Dieses Haus, welches man gewöhnlich die Polizey nennt, weil hier ehe- mals die Kanzelley derselben war, ist seiner jetzigen Bestimmung nach, der vorzüglichste Verwahrungsort für alle Straffällige mit de- nen es die Polizey zu thun hat. Man findet hier also ungerichtete Verbrecher aller Art, bö- se Schuldner, Bankerotteurs, falsche Spie- ler, Händelmacher, Betrüger, Diebe, Nacht- schwärmer von allen Glaubenssekten und von allen Nationen in bunter Mannigfaltigkeit un- ter einander. Dieses Beysammenseyn einer so sonderbaren Menschengattung ist die Quelle sehr sonderbarer Wirkungen. Der Reichere erkauft sich Bequemlichkeiten vom Aermern; der Verschmitzte überlistet den Einfältigen; ausge- sondert von der menschlichen Gesellschaft bildet sich innerhalb dieser Mauern eine kleine Repu- blik, in welcher die beyden großen Hebel der menschlichen Thätigkeit, Bedürfniß und Lei- denschaft, ihre Rolle so gut als ausserhalb spielen. So wucherte vor einigen Jahren ein Bewohner dieses Hauses mit den Geheimnissen
Erster Theil. N
Unter den uͤbrigen Gefaͤngniſſen, deren uͤber- haupt nur drey ſind, iſt das Polizeygefaͤng- niß das merkwuͤrdigſte. Dieſes Haus, welches man gewoͤhnlich die Polizey nennt, weil hier ehe- mals die Kanzelley derſelben war, iſt ſeiner jetzigen Beſtimmung nach, der vorzuͤglichſte Verwahrungsort fuͤr alle Straffaͤllige mit de- nen es die Polizey zu thun hat. Man findet hier alſo ungerichtete Verbrecher aller Art, boͤ- ſe Schuldner, Bankerotteurs, falſche Spie- ler, Haͤndelmacher, Betruͤger, Diebe, Nacht- ſchwaͤrmer von allen Glaubensſekten und von allen Nationen in bunter Mannigfaltigkeit un- ter einander. Dieſes Beyſammenſeyn einer ſo ſonderbaren Menſchengattung iſt die Quelle ſehr ſonderbarer Wirkungen. Der Reichere erkauft ſich Bequemlichkeiten vom Aermern; der Verſchmitzte uͤberliſtet den Einfaͤltigen; ausge- ſondert von der menſchlichen Geſellſchaft bildet ſich innerhalb dieſer Mauern eine kleine Repu- blik, in welcher die beyden großen Hebel der menſchlichen Thaͤtigkeit, Beduͤrfniß und Lei- denſchaft, ihre Rolle ſo gut als auſſerhalb ſpielen. So wucherte vor einigen Jahren ein Bewohner dieſes Hauſes mit den Geheimniſſen
Erſter Theil. N
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Unter den uͤbrigen Gefaͤngniſſen, deren uͤber-
haupt nur drey ſind, iſt das Polizeygefaͤng-
niß das merkwuͤrdigſte. Dieſes Haus, welches
man gewoͤhnlich die Polizey nennt, weil hier ehe-
mals die Kanzelley derſelben war, iſt ſeiner
jetzigen Beſtimmung nach, der vorzuͤglichſte
Verwahrungsort fuͤr alle Straffaͤllige mit de-
nen es die Polizey zu thun hat. Man findet
hier alſo ungerichtete Verbrecher aller Art, boͤ-
ſe Schuldner, Bankerotteurs, falſche Spie-
ler, Haͤndelmacher, Betruͤger, Diebe, Nacht-
ſchwaͤrmer von allen Glaubensſekten und von
allen Nationen in bunter Mannigfaltigkeit un-
ter einander. Dieſes Beyſammenſeyn einer ſo
ſonderbaren Menſchengattung iſt die Quelle
ſehr ſonderbarer Wirkungen. Der Reichere
erkauft ſich Bequemlichkeiten vom Aermern; der
Verſchmitzte uͤberliſtet den Einfaͤltigen; ausge-
ſondert von der menſchlichen Geſellſchaft bildet
ſich innerhalb dieſer Mauern eine kleine Repu-
blik, in welcher die beyden großen Hebel der
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/227>, abgerufen am 16.02.2025.
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