eine bloße unfruchtbare Neugier beschränkt. Alles, was im vorigen Abschnitte über die gesellschaftliche Toleranz gesagt worden ist, lei- det unter den Deutschen starke Ausnahmen. Nirgend wird der Deutsche schärfer gefaßt und härter beurtheilt, als unter Deutschen. Statt alle für Einen und Einer für alle zu stehen, wie dies bey mehreren Kolonieen der Fall ist, geben sich die Deutschen selbst einan- der preis.
Ist es nicht natürlich, daß sie unter diesen Umständen im Ganzen der Achtung nicht ge- nießen, die ihnen übrigens ihre mannigfaltigen guten Seiten und das persönliche Verdienst so vieler achtungswürdigen Leute aus ihrem Mit- tel zusichern könnten? -- Es scheint das böse Loos der Deutschen zu seyn, daß ihre Natio- nalfehler und Schwachheiten so hervorstechend, und ihre guten und trefflichen Eigenschaften so unscheinbar sind!
Doch, auch diese zeigen sich hier nicht sel- ten in einem glänzenden, gefälligen Lichte, und es thut mir wohl, diese Bemerkung nieder- schreiben zu können. Die großen Nationaltu- genden der Deutschen, Arbeitsamkeit und
eine bloße unfruchtbare Neugier beſchraͤnkt. Alles, was im vorigen Abſchnitte uͤber die geſellſchaftliche Toleranz geſagt worden iſt, lei- det unter den Deutſchen ſtarke Ausnahmen. Nirgend wird der Deutſche ſchaͤrfer gefaßt und haͤrter beurtheilt, als unter Deutſchen. Statt alle fuͤr Einen und Einer fuͤr alle zu ſtehen, wie dies bey mehreren Kolonieen der Fall iſt, geben ſich die Deutſchen ſelbſt einan- der preis.
Iſt es nicht natuͤrlich, daß ſie unter dieſen Umſtaͤnden im Ganzen der Achtung nicht ge- nießen, die ihnen uͤbrigens ihre mannigfaltigen guten Seiten und das perſoͤnliche Verdienſt ſo vieler achtungswuͤrdigen Leute aus ihrem Mit- tel zuſichern koͤnnten? — Es ſcheint das boͤſe Loos der Deutſchen zu ſeyn, daß ihre Natio- nalfehler und Schwachheiten ſo hervorſtechend, und ihre guten und trefflichen Eigenſchaften ſo unſcheinbar ſind!
Doch, auch dieſe zeigen ſich hier nicht ſel- ten in einem glaͤnzenden, gefaͤlligen Lichte, und es thut mir wohl, dieſe Bemerkung nieder- ſchreiben zu koͤnnen. Die großen Nationaltu- genden der Deutſchen, Arbeitſamkeit und
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eine bloße unfruchtbare Neugier beſchraͤnkt.
Alles, was im vorigen Abſchnitte uͤber die
geſellſchaftliche Toleranz geſagt worden iſt, lei-
det unter den Deutſchen ſtarke Ausnahmen.
Nirgend wird der Deutſche ſchaͤrfer gefaßt
und haͤrter beurtheilt, als unter Deutſchen.
Statt alle fuͤr Einen und Einer fuͤr alle zu
ſtehen, wie dies bey mehreren Kolonieen der
Fall iſt, geben ſich die Deutſchen ſelbſt einan-
der preis.
Iſt es nicht natuͤrlich, daß ſie unter dieſen
Umſtaͤnden im Ganzen der Achtung nicht ge-
nießen, die ihnen uͤbrigens ihre mannigfaltigen
guten Seiten und das perſoͤnliche Verdienſt ſo
vieler achtungswuͤrdigen Leute aus ihrem Mit-
tel zuſichern koͤnnten? — Es ſcheint das boͤſe
Loos der Deutſchen zu ſeyn, daß ihre Natio-
nalfehler und Schwachheiten ſo hervorſtechend,
und ihre guten und trefflichen Eigenſchaften ſo
unſcheinbar ſind!
Doch, auch dieſe zeigen ſich hier nicht ſel-
ten in einem glaͤnzenden, gefaͤlligen Lichte, und
es thut mir wohl, dieſe Bemerkung nieder-
ſchreiben zu koͤnnen. Die großen Nationaltu-
genden der Deutſchen, Arbeitſamkeit und
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/508>, abgerufen am 24.11.2024.
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