Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.den Hals getrunken: "Capitän," sagte er, als er den Athem wieder oben hatte, "ich bin der nüchternste Mensch; von Euerem gebrannten Zeuge habe ich fast nimmer noch ein Glas getrunken; aber Kaffee, das ist ja ein Getränk für Kinder!" - Und ich erzählte weiter und sprach wie ein Prediger; aber nur aus Angst und um der Anna ihre bösen Fragen aus dem Kopf zu schaffen. Da läutete zum Glück die Hausthürglocke und sie mußte in den Laden. Als sie wiederkam, war davon nicht mehr die Rede, und so hatte ich ihr heilig Vaterbild nicht zu beschmutzen brauchen. Und endlich kam die Nacht, in der das Kind geboren wurde; ein Knabe, derselbe, der jetzt oben hier im Hause schläft. Es ist die einzige Geburt gewesen, der ich in meinem Leben so nahe beigewohnt: aber Freude war nicht dabei. Anna freilich war gesund geblieben; nur nähren konnte sie ihr Kind nicht selber. Wenn man es ihr aufs Deckbett brachte, sah sie es jammervoll aus ihren dunklen Augen an; aber sie gab es kopfschüttelnd wieder fort, und ich sah nicht, daß sie es küßte oder nur sich zärtlich zu ihm niederbeugte. Sie lag in dem Wohnstübchen, den Hals getrunken: „Capitän,“ sagte er, als er den Athem wieder oben hatte, „ich bin der nüchternste Mensch; von Euerem gebrannten Zeuge habe ich fast nimmer noch ein Glas getrunken; aber Kaffee, das ist ja ein Getränk für Kinder!“ – Und ich erzählte weiter und sprach wie ein Prediger; aber nur aus Angst und um der Anna ihre bösen Fragen aus dem Kopf zu schaffen. Da läutete zum Glück die Hausthürglocke und sie mußte in den Laden. Als sie wiederkam, war davon nicht mehr die Rede, und so hatte ich ihr heilig Vaterbild nicht zu beschmutzen brauchen. Und endlich kam die Nacht, in der das Kind geboren wurde; ein Knabe, derselbe, der jetzt oben hier im Hause schläft. Es ist die einzige Geburt gewesen, der ich in meinem Leben so nahe beigewohnt: aber Freude war nicht dabei. Anna freilich war gesund geblieben; nur nähren konnte sie ihr Kind nicht selber. Wenn man es ihr aufs Deckbett brachte, sah sie es jammervoll aus ihren dunklen Augen an; aber sie gab es kopfschüttelnd wieder fort, und ich sah nicht, daß sie es küßte oder nur sich zärtlich zu ihm niederbeugte. Sie lag in dem Wohnstübchen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0083" n="79"/> den Hals getrunken: „Capitän,“ sagte er, als er den Athem wieder oben hatte, „ich bin der nüchternste Mensch; von Euerem gebrannten Zeuge habe ich fast nimmer noch ein Glas getrunken; aber Kaffee, das ist ja ein Getränk für Kinder!“ – Und ich erzählte weiter und sprach wie ein Prediger; aber nur aus Angst und um der Anna ihre bösen Fragen aus dem Kopf zu schaffen. Da läutete zum Glück die Hausthürglocke und sie mußte in den Laden.</p> <p>Als sie wiederkam, war davon nicht mehr die Rede, und so hatte ich ihr heilig Vaterbild nicht zu beschmutzen brauchen.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Und endlich kam die Nacht, in der das Kind geboren wurde; ein Knabe, derselbe, der jetzt oben hier im Hause schläft. Es ist die einzige Geburt gewesen, der ich in meinem Leben so nahe beigewohnt: aber Freude war nicht dabei. Anna freilich war gesund geblieben; nur nähren konnte sie ihr Kind nicht selber. Wenn man es ihr aufs Deckbett brachte, sah sie es jammervoll aus ihren dunklen Augen an; aber sie gab es kopfschüttelnd wieder fort, und ich sah nicht, daß sie es küßte oder nur sich zärtlich zu ihm niederbeugte. Sie lag in dem Wohnstübchen, </p> </div> </body> </text> </TEI> [79/0083]
den Hals getrunken: „Capitän,“ sagte er, als er den Athem wieder oben hatte, „ich bin der nüchternste Mensch; von Euerem gebrannten Zeuge habe ich fast nimmer noch ein Glas getrunken; aber Kaffee, das ist ja ein Getränk für Kinder!“ – Und ich erzählte weiter und sprach wie ein Prediger; aber nur aus Angst und um der Anna ihre bösen Fragen aus dem Kopf zu schaffen. Da läutete zum Glück die Hausthürglocke und sie mußte in den Laden.
Als sie wiederkam, war davon nicht mehr die Rede, und so hatte ich ihr heilig Vaterbild nicht zu beschmutzen brauchen.
Und endlich kam die Nacht, in der das Kind geboren wurde; ein Knabe, derselbe, der jetzt oben hier im Hause schläft. Es ist die einzige Geburt gewesen, der ich in meinem Leben so nahe beigewohnt: aber Freude war nicht dabei. Anna freilich war gesund geblieben; nur nähren konnte sie ihr Kind nicht selber. Wenn man es ihr aufs Deckbett brachte, sah sie es jammervoll aus ihren dunklen Augen an; aber sie gab es kopfschüttelnd wieder fort, und ich sah nicht, daß sie es küßte oder nur sich zärtlich zu ihm niederbeugte. Sie lag in dem Wohnstübchen,
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